Justizskandal:Die lange Liste der Seltsamkeiten im Fall Oury Jalloh

Prozess um Feuertod von Oury Jalloh

Ein Polizist neben einem Transparent mit dem Porträt des toten Afrikaners Oury Jalloh während einer Protestaktion vor dem Landgericht in Magdeburg 2012.

(Foto: dpa)

Vor zwölfeinhalb Jahren verbrannte der Flüchtling in einer Polizeizelle. Von einer Aufklärung des Todesfalls kann bis heute keine Rede sein. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss muss Aufklärung schaffen.

Kommentar von Heribert Prantl

Wenn Oury Jalloh das Feuer nicht selbst gelegt hat, wofür vieles spricht, wer hat es gelegt? Wer ist schuld daran, dass der Flüchtling in der Polizeizelle verbrannte? Wer hat warum verhindert, dass der Fall aufgeklärt werden konnte? Solche Fragen addieren sich - nein, nicht nur zu einem Skandal, sie addieren sich zu einer Anklage, die aber wohl nicht mehr geschrieben werden wird. Jede neue Nachricht über diesen Fall weckt Argwohn.

Das Wort "Skandal" wird schnell und oft gebraucht. Manchmal bezeichnet es einfach einen Fehler, ein Ärgernis, eine Laxheit, eine Pflichtverletzung. Das Wort wird daher, wenn es wirklich um einen Skandal geht, gern mit einem skandalisierenden Adjektiv ergänzt; dann wird der Skandal zum "furchtbaren" oder "unglaublichen" Skandal. Im Fall Oury Jalloh wirken all diese Vokabeln abgenutzt, schwach und billig. Dieser Fall ist von unendlicher Trostlosigkeit: Der Flüchtling Oury Jalloh verbrannte im Januar 2005 in einer Polizeizelle von Dessau. Und von einer Aufklärung kann auch zwölfeinhalb Jahre nach diesem Geschehen nicht die Rede sein.

Die Rede muss sein von einer kriminellen Kaltschnäuzigkeit der Polizei, die den Flüchtling rechtswidrig, gekettet und gefesselt in der Zelle beließ und auf Brandalarm nicht reagierte. Die Rede muss sein von armseligen und vertuschenden Zeugenaussagen der Beamten. Die Rede muss sein von einer langen Liste der Seltsamkeiten, Wirrnisse und Widersprüchlichkeiten, die in x Gerichtsverhandlungen zu Tage traten. Die Rede muss sein von verschwundenen Beweisstücken.

Offensichtliche Geringschätzung des Getöteten

Das obszöne Desinteresse an ordentlichen Ermittlungen, das den Beginn des Falles Oury Jalloh kennzeichnete, beruhte offensichtlich auf einer Geringschätzung des Flüchtlings. Man glaubte, bei einem Flüchtling müsse man es nicht so genau nehmen - noch dazu, wenn der bekifft und betrunken ist. "Selber schuld!" - das war die Ausgangsthese. Der Mann habe sich selbst angezündet und sei halt verbrannt. Die Zweifel an der These sind gewaltig. Selbst der Staatsanwalt, der in diesem Fall früher ermittelt und damals die Selbstverbrennungsthese gestützt hatte, rückt davon ab. Es wäre besser gewesen, er wäre seinem Zweifel früher nachgegangen. Weil über dem Fall so viel Verdunklung liegt, ist die Trotzigkeit verständlich, mit der Menschenrechtsgruppen von einem rassistischen Mord durch die Polizei sprechen.

Es gibt kaum einen anderen Fall, in dem sich die zuständigen Richter, schier in Verzweiflung, so drastisch geäußert haben: Man habe nicht die Chance gehabt, "das, was man ein rechtsstaatliches Verfahren nennt, durchzuführen". Polizeibeamte hätten "bedenkenlos und grottendämlich" falsch ausgesagt. Und die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof sagte, der Tod des Mannes in der Zelle hinterlasse "nicht nur bei Angehörigen und Freunden Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit". Fassungslosigkeit, Ratlosigkeit. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Außer einem Untersuchungsausschuss im Landtag.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: