Justizministerin über rechten Terror in Deutschland:"Die Politik hat die Dimension des Rechtsextremismus unterschätzt"

Lesezeit: 5 min

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger fordert Konsequenzen aus den Fehlern bei der Terror-Fahndung - auf die umstrittenen V-Leute will sie aber nicht verzichten. Im SZ-Gespräch erklärt die Ministerin, wie ein NPD-Verbotsverfahren dennoch erfolgreich sein könnte und was der Staat im Kampf gegen rechts jetzt tun muss.

Heribert Prantl

Sie gehört ins linksliberale Segment der FDP - und ist schon zum zweiten Mal Bundesjustizministerin. Im Kabinett Kohl trat sie 1995 zurück, als ihre Partei dem großen Lauschangriff zustimmte. Im Kabinett Merkel versucht sie, die Grundrechte zu verteidigen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist FDP-Landesvorsitzende in Bayern.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fordert weitreichende Konsequenzen aus den Ermittlungspannen im Fall der Zwickauer Terrorzelle. (Foto: dapd)

SZ: Es ist Feuer am Dach der deutschen Sicherheit. Zum ersten Mal nach dem 11. September 2001 und nach der RAF-Zeit kommen alle deutschen Innen- und Justizminister an diesem Freitag zu einer Sonderkonferenz ins Kanzleramt. Wie soll das Feuer gelöscht werden?

Leutheusser-Schnarrenberger: In Ihrem Bild: Das Feuer ist nicht nur am Dach. Das gesamte System deutscher Sicherheitsinstitutionen, unter anderem 32 Landeskriminal- und Landesverfassungsschutzämter, haben es nicht geschafft, eine rechtsextreme Mordserie zu verhindern oder die Taten in einen rechtsextremen Zusammenhang einzuordnen. Obwohl es Hinweise gab. Jetzt braucht es eine genaue Fehleranalyse. Die Sonderkonferenz soll helfen, wesentlich schneller ein umfassendes Lagebild zu bekommen. Sie ist ein erster Schritt, auch um organisatorische Antworten zu finden. Es ist unfassbar, dass die Zwickauer Zelle diese schrecklichen Taten begehen konnte. So viel Leid und so viel Trauer hat die Zwickauer Zelle über unser Land gebracht. In die Trauer über die Opfer mischt sich auch Entsetzen. Das gesamte Alarmsystem gegen rechts hat nicht funktioniert und das mehr als zehn Jahre.

SZ: Bereits im dritten Jahrhundert formulierte der Theologe Irenäus: "Nihil salvatur, nisi acceptatur": Nichts kann geheilt werden, was nicht zuvor erkannt und anerkannt wurde.

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Politik hat die Dimension des Rechtsextremismus unterschätzt. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Die Verfassungsschutzberichte waren offensichtlich unzureichend. Sie haben nicht so umfänglich auf die Gefahr hingewiesen. Und die Politik hat zu oft nach schlimmen Taten reflexhaft reagiert und auf Antworten gesetzt, die verpufft sind. Daraus sollten wir lernen. Eine rechtsextreme Mordserie mit ausländerfeindlichen, mit staatsfeindlichem Hintergrund, muss nachhaltig und konsequent beantwortet werden. Jetzt schon stellt sich die Frage, ob der Verfassungsschutz in Bund und Ländern effektiv und effizient organisiert ist.

SZ: Ist er es?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die 16 Landesverfassungsschutzämter und 16 Landeskriminalämter sollten stärker konzentriert werden. Die Kommunikation untereinander ist offenbar nicht gut.

SZ: Ein Verfassungsschutz, der desaströs arbeitet, muss völlig neu organisiert werden?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja. Offensichtlich gibt es zu viel Effizienzverluste in der deutschen Sicherheitsarchitektur. 16 Landesämter für Verfassungsschutz plus ein Bundesamt, dazu kommt ja auch noch der militärische Abschirmdienst MAD, der sich auch mit Rechtsextremismus in der Bundeswehr befasst. Da gibt es Neben- und möglicherweise Gegeneinander. Da weiß der eine nicht, welche V-Leute der andere hat. So kam es zum Desaster beim ersten NPD-Verbotsverfahren 2003.

SZ: Was tun?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann mir gut vorstellen, dass Verfassungsschutzämter zusammengelegt werden. Statt 16 Landesämter für Verfassungsschutz könnte man auch über drei oder vier nachdenken: Ein Verfassungsschutzamt Nord, Süd, Ost und West - dazu der Bundesverfassungsschutz. Die Zuständigkeit der Extremismusbekämpfung sollte künftig klar gebündelt werden. Doppelzuständigkeiten und Effizienzverluste gehören abgeschafft. Unsere Sicherheitsarchitektur gehört modernisiert.

SZ: Nach bisherigen Erkenntnissen ist es so, dass der Verfassungsschutz wohl Mitarbeiter hat, vor denen die Verfassung geschützt werden muss. Die sind nicht rechtsstaatlich, sondern braun.

Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt offenbar einzelne Probleme bei der Führung von V-Leuten aus dem rechts-extremen Milieu. Sie dürfen nicht außer Kontrolle geraten. Und die Kontrolle muss so sein, dass diese V-Leute noch in unser Rechtssystem passen. Der Staat muss ausschließen können, dass es eine teilweise gefährliche Nähe, mindestens eine Distanzlosigkeit zwischen Verfassungsschützern und Neonazis gibt.

SZ: Das V-Leute-Wesen gehört abgeschafft?

Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Gut genutzt hat es schon einen Mehrwert. Wir könnten sonst bei hochkriminellen und verfassungsfeindlichen Gruppierungen bis in die Vorstandsebenen hinein keine Informationen erhalten, die ja von diesen V-Leuten gegen Bezahlung weitergeben werden. Die V-Leute gehören diesem Milieu an, arbeiten aber partiell mit dem Staat zusammen. Selbstverständlich bleibt ein großes Unwohlsein. Wir haben eine Grauzone mit Loyalitätskonflikten - Loyalität der V-Leute gegenüber der eigenen Organisation, der NPD zum Beispiel, und der Loyalität gegenüber dem Staat, von dem sie bezahlt werden. Auf der Sonderkonferenz sollten wir uns auch damit befassen, wie die Innenminister handhabbare Regeln entwickeln können, um aus dieser Grauzone heraus zu kommen. Das V-Leute-Wesen gehört jedenfalls rechtsstaatlich reguliert. Es darf kein quasi rechtsfreier Raum sein. Dieses System gehört überarbeitet.

SZ: Wenn man die NPD verbieten lassen will, muss man sie ohnehin aus der Führungsebene dieser Partei abziehen. Das hat das Bundesverfassungsgericht 2003 gefordert - weil sonst nicht klar ist, was die Partei selbst macht und was staatlich bezahlte V-Leute unter Umständen wegen ihrer staatlichen Bezahlung über sie sagen.

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, wir können nicht beides haben: V-Leute und ein NPD-Verbot. Nach einer Reihe von einschlägigen Skandalen ist es an der Zeit, das V-Leute-Wesen neu zu regeln. In dieser Zeit müsste man sie aber in der NPD abschalten. Wenn man überhaupt wieder ein NPD-Verbotsverfahren in Angriff nehmen würde, müsste das vorher geschehen - erst dann könnte man das Verfahren sorgfältig begründet in Angriff nehmen. Nur dann hätte ein solches Verfahren vielleicht Aussicht auf Erfolg. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ein erneutes Verbotsverfahren wieder scheitert. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen. Das wäre sonst eine Steilvorlage für die NPD. Wir müssten erst die V-Leute abziehen und dafür sorgen, dass wir unsere Verbotsanträge nicht auf Aussagen von V-Leuten stützen. Wenn die Innenminister das nicht wollen, brauchen wir nicht über ein erneutes Verbotsverfahren diskutieren.

SZ: Wenn ein Verbot Erfolg hätte, werden sich die bisherigen NPD-Mitglieder anderswo in Kameradschaften, also in Ersatzorganisationen betätigen.

Leutheusser-Schnarrenberger: Oder in einer neu gegründeten Partei. Ein NPD-Verbot würde nicht den Rechtsextremismus beseitigen. Dann müssen Verfassungsschutzämter und die Staatschutzabteilungen der Polizeien in der Lage sein, rechtsextremistische Umtriebe zu überwachen. Es darf nicht wieder passieren, dass rechtsextreme Gewalttäter einfach untertauchen können.

SZ: Es fehlt an der guten rechtsstaatlichen Kontrolle des Verfassungsschutzes. Solle man die Geheimdienste womöglich nicht dem Bundesinnenministerium, sondern dem Bundesjustizministerium zuordnen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das würde nicht ins System passen. Ich will sie aus rechtssystematischen Gründen wegen der Trennung von Strafverfolgung und Verfassungsschutz nicht, die wollen auch nicht - und der Bundesinnenminister würde sich die Haare raufen. Nein, zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz gehören die Bundesanwaltschaft und die Bundesgerichte. Sie sind zuständig auch dafür, dass in der inneren Sicherheit in Deutschland die Justiz als Hüterin des Rechts regiert.

SZ: Es genügt nicht, auf Zuständigkeiten zu verweisen.

Leutheusser-Schnarrenberger: Stimmt, es muss Vertrauen wieder hergestellt werden. Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden hat durch die Neonazi-Morde einen Schaden erlitten. Die Bundesrepublik war immer stolz auf ein gut funktionierendes System der Sicherheit, auf ihre Sicherheitsarchitektur. Sie muss jetzt an entscheidenden Stellen repariert werden. Die Menschen sollen das Gefühl haben können, dass sie sich auf ihre Polizei, auf ihre Justiz und auch auf ihren Verfassungsschutz verlassen können.

SZ: Vielleicht brauchen wir den Verfassungsschutz ja gar nicht. In der Geschichte der Bundesrepublik hat er womöglich mehr geschadet als genützt. Er hat zu viele Falsche verfolgt und zu viele wirkliche Verfassungsfeinde unbehelligt gelassen.

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir brauchen einen Verfassungsschutz, der die Verfassung klug und mit Maß und Ziel schützt.

SZ: Haben wir eine Staatskrise?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben einen Skandal, der sich ausweitet. Wir haben mehr als einen aufzuklärenden Vorfall. Wir sind mit Dimensionen konfrontiert, die ich mir nie vorstellen konnte. Aufklärung alleine wird nicht ausreichen. Da reicht es auch nicht aus, Observation und Verfolgung neu zu organisieren.

SZ: Sondern?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir müssen alle Organisationen, wir müssen alle Gruppen und Initiativen, die gegen Fremdenfeindlichkeit, die gegen Rechtsextremismus und rechte Gewalt arbeiten, engagierter als bisher unterstützen. Vor allem dürfen wir die Opfer nicht vergessen. Mein Ministerium setzt sich gerade mit den Angehörigen der Opfer in Verbindung, um ihnen möglicherweise aus dem bestehenden Entschädigungsfonds für Opfer von Extremismus, Unterstützung - wenn auch verspätet - zukommen zu lassen. Und wir sollten über eine neue, große Kraftanstrengung nachdenken, die stärker als bisher Programme zum Aussteigen aus dem Rechtsextremismus unterstützt.

SZ: Selbst die Initiativen, die seit Jahren engagiert und mit Zivilcourage-Preisen dekoriert gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit arbeiten, müssen neuerdings, um Geld zu bekommen, eine Klausel unterschreiben, dass sie und alle, mit denen sie zusammenarbeiten, gute Demokraten sind. Statt Dankbarkeit ernten diese Leute Misstrauen.

Leutheusser-Schnarrenberger: Wenn auf diese Weise bisher erfolgreiche und hoch geschätzte Arbeit erschwert wird, ist das nicht gut. Die Arbeit gegen Rechtsextremismus braucht kreative Phantasie, nicht schwerfällige Bürokratie.

© SZ vom 18.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: