Justiz:Wenn jeder auf den anderen zeigt

Täter bei Urheberrechtsverletzungen im Internet sind in der Regel schwer zu fassen. Nun erbittet das Landgericht München Klarheit vom Europäischen Gerichtshof in Sachen "Störerhaftung".

Von Stephan Handel

Über die sogenannte Störerhaftung im Internet wird nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden: Die 21. Zivilkammer des Landgerichts München I hat dem Gericht in Luxemburg in einem aktuellen Fall Fragen über das Urheberrecht und die Auslegung seiner europäischen Regelungen gestellt - und ob diese mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vereinbar sind.

In dem Münchner Verfahren hatte ein Verlag gegen einen Mann geklagt, über dessen Internet-Anschluss ein Hörbuch des amerikanischen Autors Dan Brown - "Das verlorene Symbol" - zum Herunterladen angeboten wurde. Der Mann bestreitet, Initiator des Filesharings zu sein - unter anderem hätten seine Eltern Zugriff auf seinen Internet-Anschluss und kämen deshalb ebenso als Täter infrage.

Bislang hatte der Verweis auf mögliche andere Nutzer den Besitzern von Internet-Anschlüssen nichts geholfen, wenn von dort illegale Aktivitäten ausgingen: Der Besitzer haftete auf jeden Fall als sogenannter Störer, wenn er die tatsächlichen oder vermeintlichen Täter nicht benennen konnte oder wollte. Von dieser Rechtsprechung wich jedoch der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom Oktober des vergangenen Jahres ab. In diesem Verfahren war der Beklagte beschuldigt worden, von seinem Computer aus den Film "Resident Evil: Afterlife 3D" zum illegalen Download angeboten zu haben. Er gab jedoch an, auch seine Ehefrau habe - über ihren eigenen Computer - Zugang zu dem heimischen Wlan.

Der BGH bestätigte in der Revision ein Urteil des Landgerichts Braunschweig - und argumentierte dabei mit dem besonderen grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie. "Es ist dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses nicht zumutbar, die Internetnutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können", heißt es in dem Urteil (AZ.: I ZR 154/15). Ebenso wenig könne verlangt werden, dass der Mann den Computer seiner Ehefrau nach Filesharing-Software durchsucht.

Das Landgericht München sieht in dieser Rechtsprechung offensichtlich einen Konflikt mit europäischem Recht. Die Richtlinie 2001/29/EG nämlich verpflichtet die Mitgliedstaaten, "angemessene Sanktionen und Rechtsbehelfe" bei Verstößen gegen das Urheberrecht vorzusehen. Was aber, wenn niemand bestraft werden kann, weil es unmöglich ist, einen Täter zu ermitteln? In dem fraglichen Fall verweist der Beklagte auf seine Eltern, diese wiederum können auf ihn zurückverweisen - so dreht sich die Angelegenheit im Kreis, und der Rechteinhaber, in diesem Fall der Verlag, hat keine Möglichkeit, gegen die Verletzung seiner Nutzungs- und Verwertungsrechte vorzugehen. Deshalb fragt das Landgericht den Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines sogenannten Vorabentscheidungsersuchens, "ob eine solche Handhabung des urheberrechtlichen Anspruchs auf Schadenersatz eine wirksame und abschreckende Sanktion bei Urheberrechtsverletzungen im Wege des Filesharing darstellt".

Ob der BGH bei seiner neuen Auslegung der Störerhaftung bleibt, kann er in einer Woche zeigen: Dann, am 30. März, verhandelt wiederum der 1. Zivilsenat die Revision gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts München, das unter dem Eindruck des BGH-Urteils eine ähnliche Klage ebenfalls abgewiesen hat. Darauf, wie sich der EuGH zu der Angelegenheit äußert, wird sich der Senat nicht verlassen können: Die Verfahren vor dem Gericht in Luxemburg haben eine durchschnittliche Dauer von 15 Monaten.

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