Justiz:Vorsicht, Kamera

Für Deutschlands höchste Gerichte bricht das TV-Zeitalter an.

Von WOLFGANG JANISCH

Die Arbeit am Bundesgerichtshof ist generell ein schwieriges Geschäft, aber neulich haben sich die Richter auf eine besondere Aufgabe vorbereiten müssen: Wie gelangt man würdig und unfallfrei von der Tür durch den Gerichtssaal bis zum Richtertisch? Die Senate haben das geprobt, weil sie unbedingt vermeiden wollten, dass sich am Tag X fünf Damen und Herren in karmesinroten Roben ungeordnet um die fünf Sessel hinterm Richtertisch rangeln. Denn am Tag X werden die Kameras da sein - und nichts verbreitet sich rascher im Netz als Pleiten und Pannen.

Nun steht der Tag X bevor: Vom nächsten Donnerstag an können besonders medienrelevante Urteilsverkündungen gefilmt werden, nicht nur am BGH, sondern auch am Bundesfinanzhof, im Bundesverwaltungs-, Bundesarbeits- und Bundessozialgericht. Der erste Termin steht auf der Homepage des BGH bereits auf Grün, es geht um Werbeblocker im Internet - die Medienpremiere könnte schon am Donnerstag stattfinden.

Öffentlich sind Prozesse seit dem 19. Jahrhundert, und in der jungen Bundesrepublik durften zunächst auch die Fernsehkameras in den Gerichtssaal. Doch 1964 war damit Schluss: Wer Bilder aus dem Prozess sehen wollte, musste fortan selbst hingehen. Nach der Wiedervereinigung brachte eine Klage das Thema wieder auf die Agenda. Der Sender n-tv wollte im Prozess gegen das DDR-Politbüro filmen, scheiterte jedoch 2001 vor dem Bundesverfassungsgericht - allerdings knapp. Drei der acht Richter wollten die Justiz schon damals für die Kameras öffnen. In diese Zeit fällt immerhin eine Reform: Seit 1998 dürfen Urteilsverkündungen des Verfassungsgerichts gefilmt werden - bis heute die leuchtende Ausnahme im deutschen Gerichtswesen.

Die Revolution kommt also mit 20-jähriger Verspätung zum BGH - und stieß anfangs auf vehemente Gegenwehr. Die Präsidentinnen und Präsidenten der Bundesgerichte machten dagegen Front. Angeblich, weil sie darin den ersten Schritt hin zum umfassenden Justiz-TV sahen, in Wahrheit aber auch aus Furcht vor Youtube und "Heute-Show" - siehe oben.

Doch inzwischen herrscht fast so etwas wie freudige Erwartung. Trotzdem ist nicht ausgemacht, dass die neue Liaison konfliktfrei bleiben wird. Nächsten Donnerstag urteilt der BGH auch über die Messerattacke einer IS-Sympathisantin auf einen Polizisten - aber der Termin steht auf Rot. Kann der BGH nach Gutdünken entscheiden, was medienrelevant ist und was nicht? Über eine damit vergleichbare Frage, nämlich, ob vor Beginn wichtiger Prozesse im Gerichtssaal gefilmt werden darf, hat schon mehrmals das Bundesverfassungsgericht entschieden, meist zugunsten der Medien. BGH-Präsidentin Bettina Limperg hatte deshalb schon 2017 gemahnt, dass die Zeichen auf Offenheit stehen müssen: "In allen Verfahren von Bedeutung wird davon auszugehen sein, dass ein Anspruch auf Zulassung der Kameras existieren wird."

Für die "Heute-Show" dürfte der BGH ohnehin wenig abwerfen. Denn der Einzug der Richter darf schon jetzt gefilmt werden, nur vor der Verkündung müssen die Kameras raus. Filmreife Pannen sind bisher nicht bekannt.

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