Justiz und Politik:Kampf der Gewalten

Frankreichs Justiz geht massiv gegen Politiker vor - und das kurz vor der Präsidentenwahl. Dazu ist sie verpflichtet. Problematisch wird es jedoch, wenn Richter und Staatsanwälte Politik machen wollen.

Von Stefan Ulrich

Zu den ersten Opfern autoritär gestimmter Regierungen gehört die Justiz. Da es ihre Aufgabe ist, das Recht durchzusetzen und Machtmissbrauch zu verhindern, steht sie den Autoritären im Weg. Deshalb griff die polnische Regierung das Verfassungsgericht an. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan entließ oder suspendierte Tausende Richter und Staatsanwälte, um die Justiz zu seinem Werkzeug umzugestalten. US-Präsident Donald Trump schmähte einen Richter, dessen Entscheidung ihm missfiel, als "sogenannten Richter". Solche Attacken gefährden die Gewaltenteilung und den Schutz der Bürger vor Machtmissbrauch.

Doch es mischt sich nicht nur die Exekutive in die Judikative ein. Manchmal geschieht es umgekehrt. Richter und Staatsanwälte machen - gewollt oder ungewollt - Politik, indem sie gegen Politiker vorgehen und deren Karrieren beenden.

Massiv tut dies gerade die Justiz in Frankreich - kurz vor der Präsidentschaftswahl. In Paris musste der sozialistische Innenminister wegen Korruptionsermittlungen weichen. Gegen den Präsidentschaftskandidaten der Konservativen, François Fillon, wird ebenfalls ermittelt, was seinen als sicher geglaubten Wahlsieg wohl verhindert. Auch gegen die nationalistische Kandidatin Marine Le Pen laufen Untersuchungen, die es ihr erschweren, Bürger jenseits ihrer Stammwähler zu überzeugen. Ex-Präsident Nicolas Sarkozy wurde von seiner Partei gar nicht mehr als Präsidentschaftskandidat aufgestellt - auch wegen seiner Probleme mit der Justiz.

Wer seine Grenzen ignoriert, gefährdet Staat und Bürger

Allerdings verstößt die französische Justiz damit nicht gegen die Gewaltenteilung, jedenfalls nicht, solange sie sich selbst an die Gesetze hält. Sie muss Straftaten verfolgen, auch und gerade wenn sie Politiker begehen. Nur so werden die Bürger, die der "Pariser Kaste" misstrauen, ihr Vertrauen vielleicht zurückgewinnen.

"Nimm das Recht weg - was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande", befand Augustinus. Das klingt modern. Dass dem so ist, daran sind etliche französische Politiker selbst schuld.

Problematisch wird es jedoch, wenn Richter und Staatsanwälte nicht nur Recht schaffen, sondern auch Politik machen wollen. Dies geschieht etwa, indem sie Journalisten geheime Ermittlungsakten zuspielen; indem sie zu einem Zeitpunkt verhaften oder durchsuchen lassen, wenn dies politisch besonders großes Aufsehen erzeugt; oder indem Richter sich zu Rächern und Helden stilisieren - aus Geltungssucht oder um die Basis für eine eigene politische Karriere zu legen. Die Gefahr eines Judikats, einer Herrschaft der Richter, ist in Europa zwar gering, selbst wenn manche Verfassungsgerichte ihre Befugnisse weit ausdehnen. Die Staatsgewalten drohen sich aber manchmal bis hin zur Lähmung des Staates ineinander zu verharken. Zu beobachten war das in Italien beim epischen Kampf zwischen dem Mehrfach-Premier Silvio Berlusconi und der Justiz. Frankreichs Politiker und Richter sollten sich dies zum abschreckenden Beispiel nehmen.

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