Justiz nach G-20-Gipfel:Sonderkommission "Schwarzer Block"

G20 Gipfel - Proteste

Aktivisten flüchten vor einem Wasserwerfereinsatz während Ausschreitungen am 7.07.2017 im Hamburger Schanzenviertel.

(Foto: dpa)
  • Während der Krawalle um den G-20-Gipfel wurden Hunderte Polizisten und Demonstranten verletzt.
  • 186 Verdächtige wurden festgenommen, die Bilanz: Nur 51 Haftbefehle. Notrichter arbeiteten im Schichtbetrieb.
  • Die Sonderkommission "Schwarzer Block" soll jetzt weitere Verdächtige finden.

Von Ronen Steinke

Ein grünes Schimmern. Figuren leuchten im Dunkeln, man sieht sie nur durch eine Wärmekamera. Diese Bilder sind die einzigen, welche die Polizei vom Dach des Hauses Schulterblatt 1 im Schanzenviertel gemacht hat, als dort das Chaos überhandnahm am vorvergangenen Freitagabend. 36 Menschen wollen die Beamten zeitweise auf dem Dach gezählt haben. Von dort sei der gefährlichste Angriff der ganzen G-20-Krawalle ausgegangen, ein "bewaffneter Hinterhalt", sagt Hamburgs Innensenator Andy Grote. Der Grund, weshalb Maschinenpistolen ausgepackt wurden. "Bei Vorrücken der Polizei muss mit schwersten Verletzungen gerechnet werden", notierten die Beamten.

Doch als sie das Gebäude stürmen, sind es statt der 36 nur 13. Ob sie Steine geworfen haben, ist ungewiss, als die 13 Menschen um 23.26 Uhr gefesselt auf dem Boden liegen. Es seien viele Gaffer auf dem Haus gewesen, sagt später der Einsatzleiter des Sondereinsatzkommandos (SEK), Sven Mewes. Die Beamten finden keine Waffen, auch nirgends einen Molotowcocktail, wie sich aus ihren Aufzeichnungen ergibt. Bei keinem der 13 also können Hamburgs Richter einen konkreten Tatverdacht erkennen. "Bloße Anwesenheit ist keine Straftat", sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen, und das heißt: Keiner der 13 bekommt einen Haftbefehl.

Hätte man gegen die 13 vom Dach etwas in der Hand, säßen sie noch

Ist der Rechtsstaat hilflos? Kapituliert er vor Leuten, die zeitweise ungehindert marodierten und zündelten? Der Fall hat Entrüstung ausgelöst, die Verunsicherung teils noch vertieft. Man habe nicht anders gekonnt, als die 13 laufen zu lassen, hat die Polizei sich seither erklärt. Schon am Samstag um 24 Uhr sei eine Höchstdauer für deren Haft abgelaufen.

Aber stimmt das? Die Frist gilt nur für polizeiliche Präventivhaft. Für Leute also, die keiner Straftat verdächtig sind. So ohnmächtig ist der Rechtsstaat nicht, dass er dringend Tatverdächtige laufen lassen müsste. Hätte man gegen die 13 etwas in der Hand, dann säßen sie noch, sagt der Strafverteidiger Christian Woldmann, der beim G-20-Gipfel im Dauereinsatz war.

So ist es oft gewesen während der Hamburger Protesttage. Geschäfte wurden geplündert, Hunderte Demonstranten und Polizisten verletzt. Aber nur 186 Personen hat die Polizei festgenommen, um sie für Kriminelles verantwortlich zu machen. Bei 85 von ihnen haben Staatsanwälte versucht, einen Haftbefehl zu erlangen. In 51 Fällen ließen sich Richter von der Beweislage überzeugen. Stellt man das den vielen schweren Vorwürfen gegenüber - Landfriedensbruch, Angriffe auf Leib und Leben -, ist das eine mickrige Bilanz.

Die Akten zeichnen ein Bild, mit dem die Polizei nicht zufrieden sein kann

170 Beamte der Sonderkommission "Schwarzer Block" sollen jetzt Verdächtige finden. Einstweilen aber sinkt deren Zahl sogar weiter. Am Mittwoch sind mehrere aus der U-Haft entlassen worden, weil Richter nicht mehr an einen Verdacht glaubten. Im Schanzenviertel und auf St. Pauli wird aufgeräumt, Scheiben werden instand gesetzt. Zugleich überprüfen Juristen all die hastigen Entscheidungen, die während des Gipfels getroffen wurden, von Notrichtern im Schichtbetrieb. Und die Akten zeichnen ein Bild, mit dem die Polizei nicht zufrieden sein kann.

Dabei zeigt sich zum einen, dass die Taktik des schwarzen Blocks aufgeht. Wenn sich alle im gleichen Stil vermummen, kann man sie schwer auseinanderhalten. Dafür können die Ermittler nichts, die Strafjustiz braucht freie Sicht aufs Individuum. Da helfen keine Wärmekameras, auf denen keine Gesichter zu erkennen sind. Über einen 25-jährigen Studenten, der am Freitag um 6.30 Uhr im Rondenbarg verhaftet wurde, einer Straße in Altona, schrieb ein Kommissar: "Einzelne Tathandlungen" konnte man nicht nachweisen. Wie bei fast allen der 73 Demonstranten, die an jenem Morgen "zu Boden gebracht" und gefesselt wurden.

Eine angehende Medizinstudentin - weder vermummt noch schwarz gekleidet

Zu ihnen zählte auch eine angehende Medizinstudentin, sie trug weder Vermummung noch überhaupt Schwarz - noch war sie "im Besitz von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen". Die Abiturientin gehörte zur Verdi-Jugend; mit dieser hatte sie am Rondenbarg demonstriert. Der Haftbefehl sei rechtswidrig, entschied das Amtsgericht am Mittwoch. So endeten sechs Tage Untersuchungshaft.

"Die Polizeistrategie war von Beginn an nicht auf die gezielte Festnahme von Straftätern ausgerichtet, sondern auf eine gewaltsame Zerstreuung von Protestgruppen", kritisiert Peer Stolle, Vorsitzender des eher linken Anwaltsvereins RAV. Der schwerste Strafvorwurf jedenfalls, der nun übrig ist, geht gegen einen 27-Jährigen in Altona. Er soll aus seinem Fenster heraus die Piloten eines Polizeihubschraubers mit einem Laser geblendet haben. Versuchter Mord, sagt die Staatsanwaltschaft. Der Mann sitzt in U-Haft. Seine angebliche Tatwaffe indes war ein Disco-Laser, heißt es inzwischen im Landeskriminalamt, TÜV-geprüft für den Hausgebrauch und ungefährlich. In ein paar Tagen ist Haftprüfung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: