Justiz:Erschüttert und zerrüttet

Harald Range

Entlassen wenige Monate vor seinem planmäßigen Ruhestand: Generalbundesanwalt Harald Range.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Das Verhältnis zwischen Generalbundesanwälten und der Politik galt schon immer als schwierig. Nun hat der oberste Ermittler seinen Rauswurf provoziert.

Von S. Braun, H. Leyendecker und J. Kelnberger, Berlin/Karlsruhe

Harald Range war bislang nicht als aufmüpfiger Mann bekannt, im Gegenteil. Aber als der 67-Jährige am Dienstag um halb zehn im Foyer der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe vor die Presse tritt, wirkt er angespannt. Eine Strähne hängt verloren über seiner rechten Schläfe. Range hält sich streng an sein Manuskript, nur einmal weicht er vom vorbereiteten Text ab. Er stellt die Anrede: "Meine Damen und Herren" jener Passage voran, die man als Kriegserklärung an seinen Dienstherrn, den Justizminister Heiko Maas (SPD), verstehen muss:

"Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Dieses Freiheitsrecht gilt aber nicht - auch nicht im Internet - schrankenlos. Es entbindet Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze. Über die Einhaltung der Gesetze zu wachen ist Aufgabe der Justiz. Diese Aufgabe kann sie nur erfüllen, wenn sie frei von politischer Einflussnahme ist. Daher ist die Unabhängigkeit der Justiz von der Verfassung ebenso geschützt wie die Presse- und Meinungsfreiheit. Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz." Noch am selben Tag wird Range seinen Job los sein - seines Amtes enthoben von Heiko Maas.

Range ist ein politischer Beamter, er muss die Ansichten der Bundesregierung berücksichtigen

Keine zwei Minuten dauert Ranges Auftritt. Am Ende ein Dank an die Zuhörer, ein ratloser Blick in die Journalistenrunde. Dann ist Range wieder weg. Und zurück bleibt der Vorwurf, Heiko Maas habe aus politischen Gründen ein Verfahren wegen Landesverrats torpediert. "Ein unerträglicher Eingriff" laut Range: Der Justizminister stoppte ein vom Generalbundesanwalt in Auftrag gegebenes Gutachten, dessen Autor zu dem vorläufigen Ergebnis gelangte, das Internetportal Netzpolitik.org habe Staatsgeheimnisse veröffentlicht.

Nun weiß allerdings auch Harald Range, dass die Sache so eindeutig nicht ist. Im festungsartigen Gebäude der Generalbundesanwaltschaft in der Brauerstraße, hinter den hohen Mauern, residiert kein autonomer Ermittler. Der Generalbundesanwalt, vom Justizminister vorgeschlagen, vom Bundesrat gewählt, ist ein "politischer Beamter". Er untersteht der Dienstaufsicht des Bundesjustizministers. Dieser wiederum trägt in der Regierung und gegenüber dem Parlament die politische Verantwortung für die Arbeit der Bundesanwaltschaft. Wenn der oberste Strafverfolger der Republik wegen Delikten gegen die innere oder äußere Sicherheit des Staates ermittelt, muss er immer die kriminalpolitischen Ansichten und Zielsetzungen der Bundesregierung berücksichtigen.

Ein Mann rebelliert auf der Zielgeraden. Knapp elf Stunden nach dem Auftritt meldet sich der Justizminister zu Wort und schickt Range nach Hause. Zu harsch ist dessen Attacke vom Morgen gewesen; zu sehr hätte ein Verzicht auf diesen Rauswurf die Autorität des Ministers untergraben. Also sagt Maas am Abend, die Äußerungen und das Vorgehen des Generalbundesanwaltes seien nicht nachvollziehbar, das Vertrauen sei nachhaltig gestört. Maas versetzt Range mit sofortiger Wirkung in den einstweiligen Ruhestand.

Damit endet auch Ranges Karriere als Generalbundesanwalt im Streit. So ging es auch vielen seiner Vorgänger. Die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war immer wieder überkreuz geraten mit Monika Harms, Ranges resoluter Vorgängerin. Harms, eine große Juristin, war am Ende so sauer, dass sie sich eine Dankesrede ihrer Ministerin zum Abschied verbat. Fast jeder dieser Vorgänger war am Ende enttäuscht oder resigniert ausgeschieden. Der eine wurde gefeuert, der andere griff morgens schon zur Flasche. Range schien die Ideallösung zu sein, als er sein Amt 2011 antrat. Leutheusser-Schnarrenberger lobte damals das "diplomatische Geschick" des Niedersachsen, der ebenso wie sie FDP-Mitglied ist.

Aber mit Diplomatie ist das in Karlsruhe so eine Sache. Die deutsche Staatsanwaltschaft sagt gern von sich, sie sei die unabhängigste Behörde der Welt. Die Wahrheit ist das nicht. Oberster Chef ist immer ein Politiker. Entweder ein Landesjustizminister oder der Bundesjustizminister. Das Bundesjustizministerium hat die Fachaufsicht, und schon die alten, längst pensionierten Bundesanwälte können viele Geschichten erzählen, wie das mit Berlin und Karlsruhe so ist: schwierig. Die Karlsruher verstehen sich als die höchsten Strafverfolger der Republik. Die Berliner sind Regierung. Karlsruhe muss, bevor die Behörde einen Huster macht, Berichte an das Ministerium schreiben. Das hat in der Landesverratsgeschichte mal geklappt, mal nicht.

Range, der nie seine Macht auslebte, fühlt sich offenbar entmachtet

Range war bei einigen Affären, wie der NSA-Ausspähaktion, eher wankelmütig. Mal so, mal so. In Niedersachsen, wo er herkommt, hatte er ein politisches Netzwerk. In der Hauptstadt ist er ein Fremder geblieben. Wenn er von seinen Problemen sprach, wie man die NSA-Sache angehen solle, fand er nicht sehr viel Verständnis. Eigentlich war er doch der Chef.

Jetzt ist alles anders. Justizminister Heiko Maas hat immer betont, er sei strikt gegen Weisungen. In heiklen Fragen hat der Sozialdemokrat nie mit Range gesprochen, sondern seine Staatssekretärin Stefanie Hubig hat das gemacht und dann dem Minister berichtet. In der Landesverratsfrage hat sie Range die Bedenken des Ministeriums vorgetragen und dem Minister hat sie berichtet, Range habe genickt.

Ist das eine Weisung gewesen, was Maas gemacht hat? Für Range war es die Kriegserklärung der Berliner. Er, der nie seine Macht auslebte, fühlte sich entmachtet. Und Maas hat das final entschieden.

Für Grüne und Linke ist die Geschichte ein politisches Geschenk. Beide Parteien fordern umfassende Aufklärung, es könnte sogar einen Untersuchungsausschuss geben. Linken-Chef Bernd Riexinger hatte schon am Morgen von einem "ungeheuerlichen Affront" Ranges gesprochen. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Er sagte, selbst wenn Range sich nun auf Gutachten berufe, helfe das wenig. "Er muss die Eröffnung eines abwegigen Verfahrens verantworten", so der Grünen-Politiker. Zugleich kritisieren beide Politiker die Bundesregierung und fordern Auskunft darüber, wer seit wann was wusste - und mittrug.

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