Justiz ermittelt:So ist es Recht, so ist es richtig

Merkels Entscheidung ist zu begrüßen. Jetzt kann die Justiz tun, was sie tun soll: Den Fall Böhmermann prüfen. Einen guten Nebeneffekt hatte die Aufregung um den Fall auch.

Kommentar von Heribert Prantl

Zwei Wochen lang hatte sich nun Deutschland in ein rechtliches Seminar verwandelt; das ganze Land diskutierte mit Erregung und Ekstase über die Fragen von Ehre und Beleidigung, über die Meinungs- und Kunstfreiheit und über deren Reichweite. So viel Ehre ist diesen Paragrafen und Artikeln selten zuteil geworden. Üblicherweise sind die Finessen dieser Materien Prüfungsgegenstand im Juristischen Staatsexamen, nun waren sie das Objekt der allgemeinen Begierde und der hitzigen politischen Debatten. Diese Begierde erreichte am Freitagmittag mit der Erklärung der Kanzlerin ihre Klimax; das Bohei war fast so groß, als würde Merkel Neuwahlen ankündigen. Aber sie kündigte nur an, dass die Justiz den Fall Böhmermann/Erdogan prüfen soll.

Das klingt spektakulär. Das klingt so, als würde die Kanzlerin Böhmermann quasi ans Messer liefern. Aber das ist Unsinn. Die Übergabe der Causa an die Justiz ist kein Kotau vor Erdoğan, sondern der Gang der Dinge in einem Rechtsstaat. Es war und ist ein wenig befremdlich, dass eine ganze Reihe von Künstlern und Schriftstellern gefordert haben, die Kanzlerin solle die Prüfung durch die Justiz verhindern; man kann nicht dem türkischen Präsidenten - berechtigterweise! - die massive Verletzung der Regeln des Rechtsstaats vorwerfen, und selber dem Rechtsstaat die Prüfung einer eher läppischen Sache nicht zutrauen. Der Fall kommt jetzt aus der Sphäre der Opportunität in die Sphäre der Legalität. So ist es Recht, so ist es richtig.

Zugegeben: Die Ermächtigung der Bundesregierung "zur Strafverfolgung", wie das der einschlägige Strafparagraf 104 a formuliert, klingt ein wenig missverständlich. Ermächtigung zur Strafverfolgung bedeutet aber nicht, dass Böhmermann jetzt auch verfolgt und bestraft wird. Solche Weisungskompetenzen hat die Bundesregierung natürlich nicht, weil es - anders als im Staate Erdoğan - in einem Rechtsstaat solche Weisungskompetenzen nicht gibt. Die "Ermächtigung" bedeutet lediglich, dass die Staatsanwaltschaft und die Gerichte jetzt das machen dürfen, was ihre Aufgabe ist: Die "Tat", also die Satire, daraufhin prüfen, ob sie strafbar ist oder nicht. Nicht diese Prüfung ist ungewöhnlich, ungewöhnlich ist, dass die Regierung überhaupt darüber entscheiden muss, dass die Justiz sich damit befassen darf.

Normale Beleidigungsvorschriften reichen aus

Die Kanzlerin hat angekündigt - und das gehört zu den guten Ergebnissen der ganzen Sache - dass diese Ungewöhnlichkeiten abgeschafft werden; die Sondervorschriften für die Beleidigung von Staatsoberhäuptern sollen gestrichen werden. Das ist gut so. Die normalen Beleidigungsvorschriften, die für Jedermann gelten, reichen aus. Man mag aber dann auch gleich überlegen, ob bei dieser Gelegenheit nicht auch andere einschlägige Sondervorschriften abgeschafft werden sollen: Die "Verunglimpfung" des Bundespräsidenten wird nach Paragraf 90 Strafgesetzbuch mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht - ebenso die "üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens" gemäß Paragraf 188 Strafgesetzbuch. Auch da reichen die normalen Beleidigungsvorschriften.

Die Satire Böhmermanns war missglückt. Daraus folgt aber nicht, dass sie auch strafbar ist. Gewiss: Wäre das Schmähgedicht auf der Bühne einer Pegida-Demonstration vorgetragen worden, wäre es als Volksverhetzung strafbar. Der Kontext aber war ein anderer. Böhmermann wollte dem türkischen Präsidenten quasi mit dem Holzhammer eine Nachhilfestunde in Sachen Meinungsfreiheit geben. Darf man zu diesem Zweck Unverschämtheiten formulieren, die für sich genommen gröblichst beleidigend sind? Das sind die Fragen, die die Justiz jetzt klären muss. Es sind spannende Fragen. Man kann nur hoffen, dass die Justiz sich weiterentwickelt hat seit den Zeiten von Karl Kraus: Eine Satire, die auch der Staatsanwalt versteht, wird zu Recht beschlagnahmt. Die Erregung der Öffentlichkeit wird nun wohl abklingen. Die Antiklimax beginnt. Und am Schluss der Sache wird dann, irgendwann, wenn es gut geht für Böhmermann und für die Kunstfreiheit, ein Freispruch stehen. Und bis dahin wird, hoffentlich, die Ehre des Präsidenten Erdoğan an anderen Taten gemessen werden als an seiner Reaktion auf ein Schmähgedicht.

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