Justiz:Die Tragödie von Arnstein

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Sechs Tote im Gartenhäuschen: Bleibt diese Straftat ohne Strafe?

Von Heribert Prantl

Man sagt oft so leichthin, dass etwas "tragisch" sei. Man nennt es unbedacht eine "Tragödie", wenn einer nach jahrelangem Lernen durch eine Prüfung fällt. So etwas ist Pech, so etwas ist ein Unglück. Aber jeder, der es beklagt, wird stumm, wenn er von einer wirklichen Tragödie erfährt. Die Tragödie von Arnstein schnürt einem den Hals zu, man schaudert.

Ein Vater hat sein Gartenhäuschen für eine kleine Party seiner Tochter vorbereitet, sie feiert ihren 18. Geburtstag. Der Vater, Maurer im Unterfränkischen, kauft im Baumarkt einen benzingetriebenen Stromgenerator; er installiert ihn flugs, laien- und fehlerhaft. Als er am nächsten Morgen nach dem Rechten sehen will, sind alle tot - seine Tochter, sein Sohn, ihre vier Freunde; alle erstickt an Kohlenmonoxid, einem geruchlosen Gas.

Von diesem Mittwoch an muss sich der Vater vor dem Landgericht Würzburg verantworten. Die Staatsanwaltschaft hat ihn angeklagt wegen fahrlässiger Tötung. Geldstrafe oder Haft bis zu fünf Jahren sieht das Gesetz für fahrlässige Tötung vor. Aber: Ist der Vater mit dem Tod seiner Kinder nicht genug geschlagen? Die Juristen sprechen in solchen Fällen von einer "poena naturalis" - "dadurch das Laster sich selbst bestraft", wie Kant es formuliert hat. Muss der Richter in einem solchen Fall trotzdem strafen, weil sonst, wie Kritiker meinen, ein Stück Ungerechtigkeit bliebe im Vergleich zum Täter, der "nicht das Glück hatte, sich durch die Tat selbst Schaden zuzufügen"?

Der Vater in der Arnsteiner Tragödie hat die Gebrauchsanweisung missachtet; er hat ein Gerät, das nur im Freien aufgestellt werden durfte, im Raum installiert. Im Strafgesetzbuch steht dazu Paragraf 60: "Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre." Den Jurastudenten erzählt der Professor dazu den Fall, dass der Bauer mit seinem Traktor rückwärtsfährt, sich nicht umschaut und sein Kind totfährt. In der Praxis wurde Paragraf 60 angewendet: zugunsten einer Mutter, die in einer schweren Depression ihren Sohn umgebracht hatte; zugunsten eines Hochzeiters, der betrunken einen Unfall gebaut hatte, bei dem die Braut und sein Vater ums Leben gekommen waren. In diesen Fällen hat das Gericht den Täter zwar schuldig gesprochen, aber dann von Strafe abgesehen. 2014 haben die Gerichte in 302 Fällen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht - dies entspricht einem Anteil von 0,05 Prozent aller Schuldsprüche. Die niedrige Zahl liegt wohl daran, dass in weit mehr einschlägigen Fällen die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts schon von der Erhebung der Klage abgesehen hat.

Die Staatsanwaltschaft hat auf diese Möglichkeit wohl angesichts des Leids verzichtet, das der Täter nicht nur über seine eigene, sondern auch über vier andere Familien gebracht hat - sie hat angeklagt. Nun wird sich das Gericht ein Bild davon machen, ob das Bedürfnis nach Strafe wirklich entfällt. Das Gericht muss entscheiden, ob es mit dem Vater von Arnstein gnädig sein will.

Die Anwendung des Paragrafen 60 hat aber gesetzliche Grenzen: Das Gericht darf ihn nur anwenden, wenn es im konkreten Fall um Haft bis zu höchstens einem Jahr geht.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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