Justiz:Alle gegen einen

In der Abgasaffäre wird der Ruf nach Sammelklagen lauter. Die Landesminister wollen diese ermöglichen.

Von Markus Balser und Kristiana Ludwig, Berlin

Die Verbraucherschutzminister mehrerer Bundesländer wollen Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) auffordern, in Deutschland Sammelklagen zu ermöglichen. Am Mittwoch werden sie bei einer Tagung in Düsseldorf darüber beraten, Maas zwei zentrale Vorschläge vorzulegen: Bürger sollen sich künftig an "einer Musterklage durch gemeinnützige Verbände" beteiligen können. Außerdem sollen sie besser entschädigt werden, wenn Unternehmen durch "rechtswidrige Geschäftspraktiken" auf ihre Kosten verdient haben. Das geht aus Anträgen hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen.

"Der VW-Skandal hat uns allen vor Augen geführt, dass die Klagemöglichkeiten derzeit deutlich Schutzlücken aufweisen", sagt der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne). Bislang ist der Volkswagen-Konzern nur in den USA bereit, den dort betroffenen 600 000 Kunden in der Abgasaffäre eine Entschädigung von je 1000 Dollar zu zahlen. Die achteinhalb Millionen Kunden in Europa hingegen könnten leer ausgehen. In Deutschland können sich die Betroffenen bislang nur im Alleingang vor Gericht wehren - ein kostspieliger und zeitraubender Weg, den kaum jemand geht.

Volkswagen

Dieselkunden von Volkswagen in Deutschland können sich ab sofort der Musterfeststellungsklage gegen den Konzern anschließen.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Die Musterklagen, die den Landesministern aus NRW und dem Saarland nun vorschweben, wären "für das deutsche Recht revolutionär", sagt Roland Stuhr vom Verbraucherzentrale-Bundesverband. Geschädigte Kunden könnten sich damit Gerichtsverfahren anschließen, ohne selbst zum Kläger zu werden. Damit würden sie die Kosten sparen und bei einem Urteil zu ihren Gunsten trotzdem Geld bekommen. Selbst dann, wenn ihr Fall eigentlich verjährt wäre. Bereits im Juni 2013 hatte die EU-Kommission den europäischen Staaten empfohlen, Sammelklagen zu ermöglichen. Auch das Bundesjustizministerium hatte schon im September für dieses Jahr eine solche Reform angekündigt. Damals hatte Staatssekretär Gerd Billen ähnlich wie jetzt die Landesminister Verbandsklagen vorgeschlagen. Die Urteile, sagte er, könnten dann außergerichtliche Entschädigungen für die Kunden vorbereiten. Denn schließlich seien die meisten Menschen erst ab einem Streitwert von knapp 2000 Euro bereit, selbst vor Gericht zu ziehen. Heute heißt es von einem Sprecher, man beschäftige sich weiterhin "intensiv" mit dem Thema: "Wir führen hierzu aber noch Gespräche."

Längst machen im Fall VW auch große internationale Kanzleien Druck, Sammelklagen nach US-Vorbild e oder ähnliche Instrumente einzuführen. So will der US-Staranwalt Michael Hausfeld bis Herbst Tausende Klagen vor deutschen Gerichten einreichen. Sein Kalkül: Die Klagewut der Kunden könnte die Justiz überfordern und damit die Politik in Zugzwang bringen. Der Lüneburger Rechtsprofessor Axel Halfmeier sagt, es sei jetzt entscheidend, wie genau das Recht gestaltet werde. So sei etwa fraglich, ob die Regierung bloß Verbänden oder auch privaten Gruppen Sammelklagen ermögliche. Außerdem müsse vermieden werden, dass Kunden nach einem positiven Gruppenurteil erneut für ihr Geld kämpfen müssen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: