Jusos:Zur Demo statt zur SPD

Warum die Parteien sich bei den Jungen weiterhin schwer tun.

Von Michaela Schwinn

Wer die Auseinandersetzungen in der SPD vor dem Parteitag wahrgenommen hat und wer am Sonntag das Treffen in Bonn verfolgt hat, der konnte zu dem Eindruck kommen: Die Jungen sind zurück, zumindest in dieser Partei, die Jusos prägen sie wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Lange Zeit war es so, dass manche Ortsvereine sich kaum trauten, das Durchschnittsalter ihrer Mitglieder zu verraten. Und nun: die Generation Kevin Kühnert ante portas? Stimmt dieser Eindruck?

Tatsächlich traten im Jahr 2017 exakt 31 094 Menschen in die SPD ein, und 13 980 davon waren zwischen 18 und 34 Jahre alt - also 45 Prozent. Hat Parteichef Martin Schulz also immerhin eins geschafft: die junge Generation mitzureißen und den Mitgliederschwund zu stoppen? Nicht wirklich, sagt Oskar Niedermayer, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und einer der führenden Parteienforscher des Landes. Zwar habe es, nachdem Schulz vor einem Jahr seine Partei und die Kanzlerkandidatur übernahm, Eintrittswellen gegeben - auch bei jungen Menschen. Im Jahr davor waren nur 6697 Menschen unter 35 in die SPD eingetreten. Dennoch, zur Euphorie geben die Zahlen wenig Anlass. Erstens, sagt Niedermayer, gebe es in Wahljahren immer mehr Partei-Eintritte als sonst. Zweitens, teilt das Willy-Brandt-Haus mit: Der Anteil der jungen Neumitglieder an allen Neumitgliedern sei auch 2017 "in etwa gleich geblieben".

Woran liegt es, dass Parteien für junge Menschen vergleichsweise unattraktiv bleiben - obwohl derzeit auch privat so leidenschaftlich über Politik diskutiert wird wie lange nicht mehr, obwohl Organisationen wie Greenpeace, Seawatch, Attac und Asylgruppen sich über Interesse nicht beklagen können, obwohl die Organisatoren der friedlichen Proteste gegen die G 20 in Hamburg keine Probleme hatten, junge Menschen anzusprechen. Der Parteienforscher Niedermayer sagt, es sei gerade diese neue Vielfalt, die Parteien vergleichsweise wenig attraktiv mache: "Wollte man sich früher politisch engagieren, dann musste man in eine Partei eintreten." Heute ist die Mitgliedschaft nur noch eine von Dutzenden Alternativen.

Und sie gilt nicht als die attraktivste: Plakate kleben, die Freiwillige Feuerwehr besuchen, an Ortsvereinssitzungen teilnehmen - wen lockt das noch? Niedermayer sagt: "Die jungen Leute wollen die Welt retten, stattdessen müssen sie sich mit dem Abwasserzweckverband herumschlagen." Was zwar eine sehr konkrete Form der Weltrettung sein mag, aber in einer zunehmend auf Events ausgerichteten Generation noch nicht unmittelbar verfängt.

Taugt einer wie der Juso-Vorsitzende Kühnert wenigstens zum Vorbild: dass man an ihm erleben kann, welche Möglichkeiten ein junger Mensch hat, der mit Herz und Hirn und Courage auftritt? Doch Kühnert erntet keineswegs nur Anerkennung, er darf auch einiges aushalten. "Ein 28-jähriges Milchgesicht" nennt ihn Bild, als "dieser junge Mann" betitelt ihn der Herausgeber des Handelsblatts in einer ZDF-Talkshow. Dass man wegen seiner Argumente und nicht wegen seiner Jugend angegriffen wird: Diesen Status muss man sich im Politikbetrieb wohl erst erarbeiten.

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