Gabriel beim Juso-Bundeskongress in Nürnberg:Im Herzen des Widerstands

Bundeskongress der Jusos

Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel und die neue Bundesvorsitzende der Jusos, Johanna Uekermann, auf dem Bundeskongress der Jusos in Nürnberg.

(Foto: dpa)

Sigmar Gabriel wirbt auf dem Juso-Bundeskongress für die große Koalition - gibt sich aber nicht übermäßig viel Mühe, den Parteinachwuchs zu überzeugen. Der stimmt dann auch mit großer Mehrheit gegen den Koalitionsvertrag mit der Union. Der Parteichef scheint sich seiner Sache mittlerweile trotzdem recht sicher zu sein.

Von Christoph Hickmann, Nürnberg

Sigmar Gabriel hat ja einiges hinter sich gebracht in diesem Jahr: die Kanzlerkandidatur von Peer Steinbrück, Sondierungsgespräche sowie Koalitionsverhandlungen mit Angela Merkel, diverse Diskussionen mit widerborstigen Parteimitgliedern und ein Interview mit Marietta Slomka. Aber das hier könnte noch mal eine andere Nummer werden. Oder?

Es ist Samstag, sehr früher Nachmittag, Gabriel steht in einem Saal des Nürnberger Quelle-Areals am Rednerpult und sagt: "Eigentlich stimmen wir über die Frage ab, ob wir Volkspartei bleiben." Applaus? Fehlanzeige. Bei den Delegierten des Juso-Bundeskongresses rührt sich keine Hand.

Es ist in diesen Wochen, in denen der Parteichef von Regionalkonferenz zu Regionalkonferenz tourt, um für die große Koalition zu werben, wohl Gabriels einzige Mission ohne Aussicht auf Erfolg. Ihm dürfte klar sein, dass er den Saal hier nicht überzeugen wird.

Die Jusos sind der harte Kern des sozialdemokratischen Widerstands gegen die große Koalition. Während die Parteispitze sich zuversichtlich gibt, dass die Mehrheit der SPD-Mitglieder am Ende zustimmen wird, während von den Regionalkonferenzen zum allergrößten Teil Mehrheiten pro Schwarz-Rot gemeldet werden, stemmt der Parteinachwuchs sich dagegen - jedenfalls ein großer Teil davon. Sieben Juso-Landesverbände haben sich kürzlich gegen die große Koalition ausgesprochen, es gibt Juso-Protestflugblätter, und hier, in Nürnberg, ist Gabriel nun im Herzen des Widerstands angekommen. Nach seiner Rede wird die neue Juso-Chefin Johanna Uekermann sprechen und mit diesem Satz enden: "Liebe Genossinnen und Genossen, lehnen wir diesen Koalitionsvertrag ab!" Gejohle im Saal, stehender Applaus.

Eine Rede wie aus dem linken Agitations-Baukasten

Bundeskongress der Jusos

Juso-Delegierte halten beim Eintreffen des SPD-Bundesvorsitzenden Gabriel Protestplakate gegen die große Koalition hoch.

(Foto: dpa)

Um zu verstehen, was hier passiert, muss man kurz zurückblenden: Freitag, später Abend, es geht in Nürnberg um den Juso-Bundesvorsitz, es treten gegeneinander an: der Hamburger Hauke Wagner, 31, und eben Johanna Uekermann, 26, aus Straubing. Wobei die Ausgangssituation etwas speziell ist, weil Uekermann schon vor ihrer eigentlichen Bewerbungsrede die Gelegenheit gehabt hat, den Delegierten einen wichtigen Antrag vorzustellen. Schon da hat sie tosenden Applaus bekommen für Sätze wie diesen: "Unser eigentliches Ziel ist, die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden."

Jetzt, gegen zehn vor zehn an diesem Freitagabend, darf sie nochmal reden, jetzt bewirbt sie sich um den Bundesvorsitz. Neben den ganz großen Dingen ("Das Problem ist dieses System. Das Problem heißt Kapitalismus.") geht es nun auch um die im Vergleich dazu eher kleinteilige Frage, ob man für oder gegen die große Koalition sein sollte. Dazu Uekermann: "Dieser Koalitionsvertrag ist kein Politikwechsel. Dieser Koalitionsvertrag bedeutet kleines Herumdoktern an großen Problemen. Egal wie groß die Koalition auch immer sein mag, ihre Konzepte sind zu klein für die Probleme unserer Zeit."

Es ist eine Rede wie aus dem linken Agitations-Baukasten. Ihr Gegenkandidat Wagner, innerhalb der Jusos rechts angesiedelt, versucht dagegen zu begründen, warum man es mit der großen Koalition "zumindest versuchen" solle: Weil man in der Opposition nichts an den Lebensbedingungen der Menschen ändern könne. Er macht das gar nicht schlecht, aber eine echte Chance hat er nie gehabt, am Ende stimmen 82 Delegierte für ihn und 207 für Uekermann - und damit mittelbar eben auch gegen die große Koalition.

Bundeskongress der Jusos

Gabriel war klar: Der Saal war nicht zu überzeugen.

(Foto: dpa)

"Na, das erklär mal der Floristin mit fünf Euro die Stunde."

Das ist die Ausgangslage, als Sigmar Gabriel am Samstag um kurz vor eins den Saal betritt. Da stehen die Delegierten auf - aber nicht um zu klatschen, jedenfalls nicht alle. Stattdessen halten viele Jusos Schilder hoch, auf denen Parolen gegen das ungeliebte Bündnis stehen:"Der Politikwechsel ist wichtiger als die große Koalition." Oder: "Die Verteilungsgerechtigkeit ist wichtiger als die große Koalition." Gabriel nimmt das locker - er sei ja glücklicherweise weitsichtig, könne das also nicht lesen, sagt er. "Vielen Dank für den freundlichen Empfang."

Überhaupt wirkt er nicht, als wolle er hier allzu viel Energie darauf verschwenden, ein paar Jusos umzudrehen. Wenn jemand gegen die Koalition sei und entsprechend abstimme, dann müsse man das akzeptieren, sagt er. Er bitte nur darum, das Mitgliedervotum "nicht dadurch zu entwerten", dass die Gegner "am Ende gute Sozialdemokraten sind" und die Befürworter "angeblich keine".

Er lobt den Mitgliederentscheid, also letztlich sich selbst ("die größte politische Bewegung in der SPD, jedenfalls so lange ich Mitglied der SPD bin"), dann spult er mit deutlich weniger Leidenschaft als etwa noch vor gut einer Wochen bei der Regionalkonferenz in Südhessen seine Standardargumentation ab: Er zählt die Erfolge auf, die man erreicht habe, beruft sich auf die Zustimmung der Gewerkschaften und zitiert den Linken-Fraktionschef Gregor Gysi, um klarzumachen, warum Rot-Rot-Grün nicht in Frage komme: "Meine Partei besteht aus zwei Teilen, die sich gegenseitig hassen." Kurzes Innehalten, Gemurmel, Gabriel grinst. "Ich hoffe, dass das bei Euch anders ist." Dazwischen sagt er noch ein paar Dinge, die man als Sozialdemokrat genauso zu dieser Koalition sagen muss wie als Christdemokrat oder Christsozialer: "Keine Liebesheirat" sei das, sondern "eine Koalition der nüchternen Vernunft".

Am Ende klatschen vor allem die Delegierten aus Hamburg und Baden-Württemberg - also die Juso-Rechten. Es folgt Uekermann, und es folgen weitere Delegierte, die sich gegen das Bündnis aussprechen. Sie haben den Saal auf ihrer Seite, Gabriel sitzt währenddessen auf dem Podium. Sein Blick wirkt ein bisschen müde. Ein paar Tage noch, dann ist es ja geschafft, so oder so. Wobei es im Erfolgsfall danach ja erst richtig losginge.

"Ich kenne in der CDU keine Rassisten"

Dann geht er noch mal ans Rednerpult, und jetzt kommt er doch noch mal in Fahrt. Er wendet sich an Uekermann: Eine Ablehnung des Koalitionsvertrags bringe "nicht mehr Gerechtigkeit in Deutschland, sondern sie bringt für Millionen Menschen weniger soziale Gerechtigkeit!", ruft er. Und fügt an: "Einer von Euch hat gerade Blödsinn gerufen. Na, das erklär mal der Floristin mit fünf Euro die Stunde."

Jetzt ist er voll da und arbeitet sich an einzelnen Delegierten ab: "Ja!", ruft er, "solche Koalitionsdebatten sind auch harte Diskussionen!" Schlagabtausch, das kann er am besten, und als ein Juso etwas von "Rassisten in der CDU" ruft, wird Gabriel wütend: "Ich kenne in der CDU keine Rassisten." Wieder ein Zwischenruf, nun dröhnt Gabriel: "Ihr habt mich eingeladen!" Und wenn man den SPD-Vorsitzenden einlade, dann sage der "seine Meinung, ob Euch das passt oder nicht!".

Das war es dann aber auch mit der Konfrontation, gegen zwanzig nach zwei muss Gabriel los, auch wenn noch 15 Redner auf der Warteliste stehen. Die kommen tatsächlich auch noch zu Wort, auch wenn Gabriel schon lange weg ist. Einer von ihnen sagt: "Ich bin jetzt nicht so traurig, dass Sigmar wieder weg ist. Er hatte uns sowieso nicht so viel zu sagen." Der bayerische Juso-Landeschef Philipp Dees urteilt: "Das was Sigmar Gabriel heute abgezogen hat, ist vielleicht ein neuer Tiefpunkt innerparteilicher Diskussionskultur."

Den Saal hat Gabriel nicht umdrehen können, am Ende stimmten die Delegierten mit großer Mehrheit für einen Antrag, in dem die große Koalition abgelehnt wird. Aber was die Partei angeht, scheint er sich seiner Sache mittlerweile recht sicher zu sein. Sonst wäre er hier nicht so gelassen aufgetreten. Für seine Verhältnisse.

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