Junge Union:Merkel, doch nicht gegrillt

Deutschlandtag der Jungen Union

Merkel bei ihrer Rede auf dem Deutschlandtag der Jungen Union.

(Foto: dpa)

Der Deutschlandtag der Jungen Union hätte für die Kanzlerin unangenehm werden können. Doch statt kritischer Fragen gibt es nur freundliche Worte.

Von Oliver Klasen

Die Junge Union, die Jugendorganisation der CDU/CSU, nennt ihre jährlichen Treffen "Deutschlandtag". Das klingt ein bisschen pathetisch, ein bisschen präpotent vielleicht sogar, so als würde auf diesen Versammlungen über die Zukunft des Landes entschieden. Das ist übertrieben. Dennoch ist die Junge Union eine wichtige Organisation. Sie hat 117 000 Mitglieder und ist damit so stark wie die Mutterparteien von Grünen und Linken zusammen. Sie stellt fast 30 Bundestagsabgeordnete und Tausende Kommunalpolitiker.

Paul Ziemiak, der Vorsitzende, hat vor dem diesjährigen Treffen an diesem Wochenende ein paar scharfe Worte in Richtung Regierung geschickt. Statt einer großen Koalition sehe er nur ein "großes Chaos", sagte er der SZ. Ob Renten-, Außen- oder Wirtschaftspolitik, nirgendwo erfülle Schwarz-Rot die Erwartungen. "Minimalkonsens, viele kleine Schritte statt Grundsatzentscheidungen". So wie in Berlin gearbeitet werde, sagt Ziemiak, sei das "sicher nicht der Weg, wie man politikverdrossene Bürger zurückgewinnt".

Es hätte also unangenehm werden können für Angela Merkel bei ihrem Besuch in Paderborn, wo sich die Junge Union traf. Ein Grußwort der Kanzlerin und Fragen aus dem Plenum, diese beiden Programmpunkte hat die JU-Versammlungsleitung für den Samstagmittag angesetzt. Würden die jungen Wilden aus der Partei die Kanzlerin mit kritischen Fragen zur Flüchtlingspolitik grillen? Würden sie einen Politikwechsel einfordern, um zur AfD abgewanderte konservative Wähler wieder einzufangen?

Schon in Ziemiaks Einleitung deutet sich an, dass sich die Kanzlerin auf einen entspannten Auftritt wird freuen können. "Sie haben geliefert. Viele sind verdammt stolz auf das, was Sie geleistet haben, Frau Bundeskanzlerin", sagt der JU-Vorsitzende mit Bezug auf die Flüchtlingspolitik - wobei Ziemiak offen lässt, ob er auch auf den humanitären Akt der Grenzöffnung im vergangenen Jahr stolz ist, oder nur auf die Begrenzung der Flüchtlingszahlen in diesem Jahr.

Bloß als Politiker nicht zu weich gegenüber Flüchtlingen agieren, bloß die Überfremdungsängste der besorgten Bürger ernstnehmen, bloß darauf achten, dass man auch in puncto Abschiebungen Erfolge vorzuweisen hat, darum dreht sich mittlerweile ein beachtlicher Teil des politischen Diskurses in Deutschland. Das wirkt sich auch auf den Deutschlandtag aus. Zügigere Rückführungen abgelehnter Asylbewerber, ein Vollverschleierungsverbot und Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge, die noch keinen festen Job haben, all diese Punkte haben die Delegierten am Morgen beschlossen. Lediglich ein Antrag des Landesverbandes Bayern, der eine Mitgliederabstimmung über eine Flüchtlingsobergrenze vorsah und ein Affront gegen Merkel gewesen wäre, findet keine Mehrheit.

Mit der Flüchtlingspolitik beginnt die Kanzlerin dann auch ihre etwa 45-minütige Rede, die per Livestream übertragen wird. Sie verteidigt ihre Haltung, dankt allen ehrenamtlichen Helfern und bringt die Argumente, die sie schon häufiger formuliert hat. Es sei gelungen, die Illegalität der Schlepper und Menschenhändler durch die Legalität des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei zu ersetzen. Seit die Vereinbarung in Kraft sei, ertränken immerhin in der Ägäis kaum noch Menschen. Sie spricht von der Bekämpfung der Fluchtursachen. Das ist sehr abstrakt, aber Merkel gelingt es, ihren Punkt zu verdeutlichen. Das UN-Kinderhilfswerk habe die Ration pro Kind in den Flüchtlingslagern im Libanon von 30 auf elf US-Dollar reduzieren müssen. Deshalb sei es wichtig, dort mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Die Kanzlerin gesteht auch Fehler ein: "Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung zur Rückführung derer, die abgelehnt wurden". Das habe Deutschland früher, als die Asylbewerberzahlen noch viel niedriger waren als im Jahr 2015, "nicht konsequent gemacht". Und dann bringt sie einen Slogan, den einst ihr Vorgänger prägte. Mit den Worten "Fördern und Fordern" hatte Gerhard Schröder einst seine Hartz-Gesetze und die damit verbundenen Sozialkürzungen gerechtfertigt. Das ging kurzfristig schief - Schröder verlor die Bundestagswahl 2005 - brachte ihm langfristig aber hohe Anerkennung ein.

Merkel, die stets eine Anhängerin der Schröderschen Hartz-Gesetze war, reklamiert diesen Satz jetzt für sich und überträgt ihn auf das derzeit wichtigste Politikfeld. Man müsse gegenüber anerkannten Flüchtlingen offen und neugierig sein und ihnen ein Angebot machen. Jene aber, die Straftaten begehen und sich nicht an die Regeln halten, konsequent zurückschicken.

Nicht frenetischer, aber freundlicher Applaus

Einen Fehler, der ihr auch aus Reihen der Jungen Union schon vorgehalten wurde, versucht Merkel tunlichst zu vermeiden: Sich allein auf die Flüchtlingspolitik zu fokussieren. Und so verwendet sie einen Gutteil ihrer Redezeit darauf, über Wirtschafts- und Sozialpolitik zu reden. Sie streicht Erfolge ihrer Regierung heraus, erklärt, dass in den vergangenen Jahren 2,7 Millionen Arbeitsplätze entstanden seien und sich die Ausgaben für Forschung und Bildung verdoppelt hätten. Sie beschwert sich, dass die deutsche Bevölkerung manchmal zu zögerlich bei Investionen und technischem Fortschritt sei. "Wir müssen in Deutschland ein Klima schaffen, wo es nicht ewig und drei Tage dauert, um ein paar Kilometer Leitung oder Autobahn zu bauen", sagt die Kanzlerin. Sie erklärt, dass Deutschland künftig mehr Geld für Verteidigung ausgeben müsse. Und schließlich schafft Merkel es, "Industrie 4.0", das etwas sperrige Schwerpunktthema des Deutschlandtages, unter dem sich viele Bürger nichts vorstellen können, herunterzubrechen: Es gehe um die Frage, ob die deutsche Industrie und ihre Traditionsunternehmen künftig weltweit führend sein werden, oder ob ihnen US-Unternehmen wie Apple oder Tesla den Rang ablaufen.

Einige Minuten zwar nicht frenetischen, aber doch sehr freundlichen Applaus bekommt Merkel für ihre Rede. Auch die anschließenden Fragen aus dem Plenum bringen die Kanzlerin nicht aus dem Konzept. Es geht um das Existenzrecht Israels, die Haltung zur iranischen Regierung, um das künftige Verhältnis zu Großbritannien und um den berühmten Satz von Franz Josef Strauß, rechts der Union dürfte es keine demokratisch legitimierte Partei geben.

Nicht so werden wie die

Nun gibt es die inzwischen mit der AfD. Sie wolle zwar AfD-Wähler zurückgewinnen, aber nicht "indem wir so werden wie die. Sich hinzustellen und zu sagen, ein Muslim kommt bei mir nicht ins Land, das ist für mich mit den europäischen Werten nicht vereinbar", sagt Merkel.

Es lohne sich, für die eigenen Überzeugungen langfristig zu kämpfen, aber es sei in der heutigen, hochgradig durch soziale Medien geprägten Welt eben für Volksparteien schwieriger, die Menschen zu erreichen. Vor 30 Jahren sei das anders gewesen. "Zwei Fernsehsender und die Bild-Zeitung und der Komplex war geordnet", so Merkel. Das klingt dann schon wieder nach ihrem Vorgänger, der mal gesagt hatte, zum Regieren reichten ihm "Bild, Bams und Glotze" - und dann erkennen musste, dass eine voll hinter ihm stehende Partei auch nicht zu verachten ist.

Merkel, da kann man sicher sein, weiß das. Und nach dem freundlichen Empfang auf dem Deutschlandtag kann sie optimistischer sein als noch vor einigen Wochen. Die Rechtsradikalen, die Reichsflaggen schwenkend und Hetzparolen brüllend vor dem Tagungsgebäude in Paderborn demonstrierten, waren das Unangenehmste, was sie an diesem Samstag zu hören bekam. Aber es waren kaum mehr als zehn Personen.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)

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