Junge BRD:Homosexuelle wurden behandelt wie Staatsfeinde

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Die von den Nazis verschärften Strafvorschriften des Paragrafen 175 galten jahrzehntelang unverändert in der Bundesrepublik weiter.

(Foto: imago/Westend61)

50 000 Männer wurden in der Anfangszeit der Bundesrepublik nach Paragraf 175 verfolgt. Die Urteile gelten noch immer. Nun könnten die Betroffenen rehabilitiert werden.

Von Heribert Prantl

Es gibt Strafvorschriften, von denen man nicht mehr glauben mag, dass es sie so elend lang gegeben hat. Die elendeste dieser Strafvorschriften ist der Paragraf 175 Strafgesetzbuch; er existierte vom 1. Januar 1872 bis zum 11. Juni 1994. Mit diesem Paragrafen haben das deutsche Kaiserreich und die Weimarer Republik die Homosexuellen verfolgt. Mit diesem Paragrafen haben die Nationalsozialisten die Schwulen ins KZ geprügelt und ihnen den "Rosa Winkel" angenäht. Mit diesem Paragrafen hat die Bundesrepublik Deutschland mehr als fünfzigtausend Männer verurteilt.

Es gehört zu den Schandtaten der jungen Bundesrepublik, dass sie die NS-Verfolgung mit rasendem Eifer fortgesetzt hat. Die von den Nazis verschärften Strafvorschriften blieben fast 25 Jahre lang so scharf, wie die Nazis sie gemacht hatten; und die Homosexuellen, die die Konzentrationslager überlebt hatten und von den Alliierten befreit worden waren, wurden von den Gerichten der jungen Bundesrepublik zur Fortsetzung der Strafverbüßung wieder eingesperrt. "Ein Mann, der mit einem anderen Mann ..." - dieser Mann wurde behandelt wie ein gefährlicher Staatsfeind. Keine andere Gruppe wurde in der Bundesrepublik vom Staat so systematisch und ausdauernd verfolgt wie die Homosexuellen.

Im Jahr 2000 entschuldigte sich der Bundestag

Der Paragraf ist abgeschafft, Bundesjustizminister Gustav Heinemann (SPD), der spätere Bundespräsident, hatte bei der großen Strafrechtsreform von 1969 damit begonnen, den "175" zu schleifen; es dauerte dann noch lange 25 Jahre, bis der Paragraf ganz weggeräumt war.

Alles nur noch Rechtsgeschichte also? Ist die rigide Straferei der damals sogenannten männlichen Unzucht versunken im Plusquamperfekt? Mitnichten. All diese Strafurteile gelten noch. Sie sind nicht aufgehoben. Keiner der in der Bundesrepublik verurteilten Männer ist rehabilitiert. Nur die NS-Urteile gegen Homosexuelle wurden annulliert, die nicht weniger menschenunwürdigen BRD-Urteile blieben in Kraft. Zwar hat sich der Bundestag im Jahr 2000 in einer einstimmig verabschiedeten Resolution für die Verfolgung der Homosexuellen entschuldigt. Aber dem guten Wort folgte nicht die gute Tat.

Die Entschuldigung lautete so: "Der Deutsche Bundestag bedauert, dass die in der NS-Zeit verschärfte Fassung des Paragrafen 175 in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 unverändert in Kraft blieb. In beiden Teilen Deutschlands wurde eine Auseinandersetzung mit dem Verfolgungsschicksal der Homosexuellen verweigert. Das gilt auch für die DDR, auch wenn dort die in der NS-Zeit vorgenommene Verschärfung des § 175 bereits 1950 zurückgenommen wurde. Unter Hinweis auf die historischen Bewertungen zum § 175 Strafgesetzbuch, die in der Plenardebatte anlässlich seiner endgültigen Streichung aus dem Strafgesetzbuch im Jahre 1994 abgegeben wurden, bekennt der Deutsche Bundestag, dass durch die nach 1945 weiter bestehende Strafdrohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind."

Was sich jetzt ändern könnte

Sie waren verletzt, sie blieben verletzt. Das könnte sich jetzt ändern. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stellt an diesem Mittwoch ein Gutachten des Münchner Rechtsprofessors Martin Burgi vor, aus dem sich nicht nur ein Recht, sondern die Pflicht des Staates zur Rehabilitierung der verurteilten Männer ergibt.

Bisher wurde die Rehabilitierung von der Politik abgelehnt mit dem Hinweis darauf, dass das gegen die Gewaltenteilung verstoße. Und schließlich seien die Verurteilungen nach Paragraf 175 vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden.

Letzteres stimmt in der Tat: In einem Urteil des Jahres 1957 - dessen Formulierungen teilweise kabarettreif sind - hat das höchste deutsche Gericht dargelegt, dass sich Schwule für ihre Art der Sexualität nicht auf ein Grundrecht berufen könnten, und dass es völlig in Ordnung und mit der Biologie im Einklang sei, dass schwule Männer bestraft werden, lesbische Frauen aber nicht.

Das habe mit den "Verschiedenheiten des Geschlechtslebens" zu tun und damit, dass der homosexuelle Mann dazu neige, "einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen". Dieses Urteil hat Karlsruhe aber durch eine ganze Serie von Urteilen seit 2002 stillschweigend kassiert, in denen es die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft anerkannte und stärkte.

Bloßes Bedauern reicht nicht mehr aus

Der Strafmakel, der nach wie vor auf den verurteilten Männern laste, sei intolerabel, erläutert der 52-jährige Staatsrechtler Burgi in seinem Gutachten. Der Rechtsstaat könne hier seine Fähigkeit zur Selbstkorrektur unter Beweis stellen. Burgi empfiehlt die kollektive Rehabilitierung durch ein Aufhebungsgesetz. Ein solches Gesetz wäre angesichts des schweren Grundrechtsverstoßes verfassungsrechtlich legitimiert und könnte das seinerzeit begangene Unrecht in einem Akt korrigieren.

Burgis Gutachten spricht sich für eine kollektive Entschädigungsleistung aus in Form eines Fonds, der zum Beispiel durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld verwaltet werden könnte - die das Geld etwa für Aufklärungsprojekte einsetzen könnte. Die Bundesstiftung ist benannt nach dem 1935 verstorbenen Arzt und Sexualforscher.

Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, erklärte unter Bezugnahme auf das Burgi-Gutachten, dass "bloßes Bedauern" über die Strafurteile nicht mehr ausreiche. Mehr als fünfzigtausend Opfer seien durch Verfolgung und Verurteilung im Kernbereich ihrer Menschenwürde verletzt worden. Diese Ungerechtigkeit dürfe der Gesetzgeber nicht länger hinnehmen.

Schon 2012 hat der Bundesrat einem Antrag des Landes Berlin zugestimmt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, die nach Paragraf 175 verurteilten Männer zu rehabilitieren und zu entschädigen. Hinter dieser Forderung steht jetzt ein gewisser verfassungsrechtlicher Druck.

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