Jugendarbeitslosigkeit im Wahlkampf:Aufstand im Tipi

Peer Steinbrück trifft EU-Sozialminister

Schon wieder ein Thema geklaut: SPD-K-Kandidat Peer Steinbrück mit Jugendlichen aus Europa

(Foto: dpa)

Gibt's doch nicht: Schon wieder klaut die Kanzlerin den Genossen ein Wahlkampfthema. Erst die Mietpreisbremse, jetzt die Jugendarbeitslosigkeit. Gemeinsam mit den Gewerkschaften will die SPD dagegenhalten. Dass es nicht klappt, liegt auch an Merkels Gastfreundschaft.

Von Michael König, Berlin

Die Sticker halten nicht. Sie fallen einfach ab. Werden wieder festgedrückt, fallen wieder ab. Junge Gewerkschafter aus vielen Ländern Europas haben sie auf eine riesige Europakarte geklebt, darauf steht die jeweilige Jugendarbeitslosigkeit. 56,4 Prozent in Spanien, 62,5 in Griechenland, 40,5 in Italien. 7,5 Prozent in Deutschland, "aber da kommt noch was, da ist ganz viel prekäre Beschäftigung dabei", sagt eine DGB-Sprecherin.

Es soll ein dramatisches Bild ergeben, aber es haftet nicht. Das liegt einerseits der Hitze im Zelt. Gefühlte 35 Grad machen dem Klebstoff den Garaus. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat zum Alternativen Jugendgipfel ins Tipi am Kanzleramt geladen, eine dauerhaftes Zirkuszelt, in dem sich die Berliner Sommerhitze brutal staut.

Das liegt andererseits auch daran, dass Angela Merkel das Thema Jugendarbeitslosigkeit für sich entdeckt hat. Sie hat auf EU-Ebene sechs Milliarden Euro in Aussicht gestellt für den Kampf dagegen, aufgeteilt auf zwei Jahre. In Berlin empfängt die Bundeskanzlerin europäische Regierungschefs, die Arbeitsminister der EU und die Chefs der nationalen Arbeitsagenturen. "Die Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt mich seit Langem", hat sie im SZ-Interview gesagt. "Es darf keine verlorene Generation geben."

Starke Worte. Ihre Arbeitsministerin Ursula von der Leyen schafft die passenden Bilder dazu. Gemeinsam mit Amtskollegen aus ganz Europa schreitet sie durch das Brandenburger Tor. Alles in Ordnung, das ist die Botschaft, 81 Tage vor der Wahl.

Merkels berüchtigte Flexibilität

Die SPD, die Gewerkschaften, sie finden es buchstäblich zum Kotzen. Schon wieder ist ein Thema weg, von Merkel einfach vereinnahmt. Von der Teflon-Kanzlerin, an der keine Kritik lange haftet. Mit der Mietpreisbremse war es vorher dieselbe Geschichte: Kaum war das Problem steigender Wohnkosten im öffentlichen Bewusstsein angekommen, bewies Merkel ihre berüchtigte Flexibilität. Die Bremse, eine alte Forderung von SPD und Grünen, wurde ins CDU-Programm aufgenommen. Ätsch, liebe Genossen.

Sie wehren sich. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück trifft sich am Mittwochmorgen mit Jugendlichen. Er rechnet vor: Sechs Milliarden Euro für 5,6 Millionen arbeitslose Jugendliche unter 25, da würde jeder mit 41 Euro pro Monat gefördert. "Das ist lächerlich", sagt Steinbrück. "Wir brauchen mindestens 20, 21 Milliarden Euro."

Gegen Merkel demonstrieren wolle er trotzdem nicht: "Weil ich den Kommentar vermeiden möchte, dass ich an den Gitterstäben des Kanzleramts rüttele." Dafür hat er seinen Parteichef geschickt. Sigmar Gabriel schwitzt beim alternativen Jugendgipfel des DGB. Eine Gruppe Trommler macht zur Begrüßung einen Höllenlärm, laut gegen Merkel. Dann darf Gabriel reden, vor der Europakarte mit den abfallenden Stickern.

Gabriel sagt: "Die Bankenrettung hat 1,2 Billionen Euro gekostet. Da sind sechs Milliarden für Jugendliche eine homöopathische Dosis." An jede Bank gehöre künftig ein Schild: "Hier endet die Haftung des Steuerzahlers." Die "große Ungerechtigkeit" müsse beendet werden. "Wir müssen dafür sorgen, dass endlich das Steuerdumping beendet wird, dann ist auch genug Geld da." Was im Kanzleramt passiere, sei "eine Schande für Europa".

"Und für die SPD!", schallt es ihm aus dem Publikum entgegen. 300 Gewerkschaftler sind im Tipi, viele haben den Sozialdemokraten nicht verziehen, dass sie bei der Entfesselung der Finanzmärkte mitgemacht haben. "Der Gabriel macht doch auch nur Wahlkampf", flüstert eine Frau ihrer Sitznachbarin zu.

DGB-Chef Sommer legt ein paar Dezibel mehr in seine Rede

Michael Sommer hat es etwas leichter als Gabriel. Nicht mit der Hitze, auch Sommer schwitzt. Aber als DGB-Chef muss er zumindest keine Pfiffe fürchten. Obwohl er schlechte Nachrichten hat.

Aber zunächst die Empörung: "Wir wollen, können, werden uns mit der Jugendarbeitslosigkeit nicht abfinden", sagt Sommer. "Es ist ein Skandal, dass in Europa Billionen für Banken ausgegeben werden, während die Jugend absäuft. Das lassen wir uns nicht gefallen." Sommer legt ein paar Dezibel mehr als gewöhnlich in seine Rede, er ist ja hier unter Jugendlichen.

Dann wird er leiser, mahnender, eindringlicher. Ja, es stimmt, sagt Sommer. Die Kanzlerin habe die Teilnehmer des alternativen Jugendgipfels spontan ins Kanzleramt eingeladen. Dort könnten sie ihre Forderungen - ein Sofortprogramm für Jugendbeschäftigung, mehr Geld, eine Taskforce, verbindliche Standards für Praktika, ein langfristiges Investitionsprogramm - an Merkel übergeben.

"Sie wird das ganz nett machen"

Sommer sieht nicht so aus, als würde ihn das freuen. Im Gegenteil, er wirkt beinahe verzweifelt. "Sie wird das ganz nett machen, sie wird zuhören. Wir werden auch nett sein, aber in aller Klarheit sagen, was wir wollen", sagt Sommer. Die geplante Demo vor dem Kanzleramt müsse unbedingt trotzdem stattfinden. "Wir lassen uns nicht missbrauchen für billige Shownummern. Wir werden ihr auch sagen, dass wir in einem halben Jahr wiederkommen."

In einem halben Jahr ist die Bundestagswahl vorbei. Nicht mal Sommer scheint daran zu glauben, dann jemand anderen im Kanzleramt anzutreffen.

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