Jürgen Todenhöfer:"Wir haben in Afghanistan nichts zu suchen"

Der frühere CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer plädiert für einen Abzug der Nato aus Afghanistan. Sein Rat: Schulen statt Bomben.

C. Busse und H.-J. Jakobs

Jürgen Todenhöfer, 67, wurde als Sohn eines Amtsrichters in Offenburg geboren. Er studierte Jura und kam 1972 für die CDU in den Bundestag, beschäftigte sich mit Entwicklungspolitik und profilierte sich als Konservativer. Im Februar 1987 fing er im Burda-Konzern an, nur Monate später wurde er Stellvertreter von Verleger Hubert Burda, mit dem er gemeinsam zur Schule gegangen ist. Zuletzt schrieb er den Bestseller "Warum tötest du, Zaid?".

Jürgen Todenhöfer: Der ehemalige Politiker Jürgen Todenhöfer (CDU) hält den Afghanistankrieg für kontraproduktiv im Kampf gegen den globalen Terrorismus.

Der ehemalige Politiker Jürgen Todenhöfer (CDU) hält den Afghanistankrieg für kontraproduktiv im Kampf gegen den globalen Terrorismus.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Todenhöfer, Sie waren jüngst für einige Wochen in Afghanistan und Pakistan. Gilt dort die Mehrheitsmeinung der politischen Klasse in Deutschland, wonach die Freiheit am Hindukusch verteidigt werde?

Todenhöfer: Das sind markante Sprüche von Schreibtisch- und Sofastrategen. Wir kämpfen in Afghanistan nicht gegen den globalen Terrorismus, und wir verteidigen am Hindukusch auch nicht die deutsche Sicherheit, wie das in westlichen Parlamenten behauptet wird. Politiker, die das tatsächlich glauben, haben noch nie eine Woche in einer afghanischen Familie verbracht. Sie haben vielleicht mit Splitterschutzweste und Stahlhelm afghanische Militärcamps besucht oder Präsidentenpaläste - aber das ist nicht Afghanistan.

sueddeutsche.de: Wie ist die Situation in Afghanistan?

Todenhöfer: Es gibt in Afghanistan und in Pakistan einen nationalen Aufstand der afghanischen und der pakistanischen Taliban gegen ihre jeweiligen Regierungen und gegen deren westliche Verbündete. Diese Taliban sind nationale und regionale Aufständische, die oft mit schlimmen terroristischen Mitteln kämpfen. Unterstützt werden die vielleicht 30.000 afghanischen Taliban von weniger als 1000 ausländischen Al-Qaida-Kämpfern. Auch das sind regionale und keine globalen Terroristen. Sie wollen die prowestlichen Regierungen in Kabul und Islamabad stürzen, aber mit Anschlägen auf Ziele in Westen haben sie nichts zu tun.

sueddeutsche.de: Gibt es keine Ausbildungslager für angehende Al-Qaida-Krieger?

Todenhöfer: Wenn es im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet heute noch Ausbildungslager für globale, gegen Ziele im Westen operierende Terroristen gäbe, würde die amerikanische Luftaufklärung sie sofort ausfindig machen und zerstören. Die USA greifen seit längerem im pakistanischen Grenzgebiet - ohne Kriegserklärung - jedes Ziel an, das ihnen verdächtig erscheint. Häufig sind das sogar zivile Ziele. Als ich vor vier Wochen im pakistanischen Grenzgebiet und in den sogenannten Stammesgebieten war, hatte es bereits über 50 amerikanische Luftangriffe auf pakistanische Ziele gegeben.

sueddeutsche.de: Bedeutet das womöglich, dass sich der Einsatz amerikanischer Truppen doch lohnt?

Todenhöfer: Nein, der globale Terrorismus unserer Tage agiert nicht mehr zentral, sondern dezentral. Globale Terroristen brauchen heute keine Ausbildungslager mehr - weder in Afghanistan noch in Pakistan. Diese Phase ist längst vorbei. Die sitzen heute bei uns im Westen oder sonst wo auf der Welt in bequemen kleinen Räumen mit Internetanschluss und lernen dort, wie man Sprengstoffgürtel herstellt und bedient. Selbst wenn die USA alle Bomben, die sie besitzen, auf den Hindukusch werfen und dabei alle Taliban und Al-Qaida-Terroristen töten würden, wäre der globale Terrorismus nicht besiegt. Er würde im Gegenteil dramatisch zunehmen. Schon das zeigt, dass der Afghanistankrieg Unsinn ist.

sueddeutsche.de: Sie meinen, die deutschen Soldaten dort sind am falschen Ort?

Todenhöfer: Wir Deutschen führen in Afghanistan Krieg aus falsch verstandener Solidarität mit unseren amerikanischen Verbündeten und aus Solidarität mit der afghanischen Regierung. Afghanistan soll die Chance bekommen, ohne Taliban zu leben. Das ist eigentlich ein begrüßenswertes Ziel. Auch ich fände es gut, wenn die Taliban Afghanistan erspart blieben. Aber das sicherzustellen, ist Aufgabe der afghanischen Armee und nicht der Bundeswehr oder der Nato.

sueddeutsche.de: Aber die deutsche Politik hat doch hehre Ziele.

Todenhöfer: Mit dem Kampf gegen den globalen Terrorismus hat dieser Krieg jedenfalls nichts zu tun. Ich weiß, das westliche Politiker argumentieren, wir müssten in Afghanistan bleiben, um nicht nur die Rückkehr der Taliban, sondern auch die Rückkehr des globalen Terrorismus in die Berge des Hindukusch zu verhindern. Aber warum sollten globale Terroristen in ein Land zurückkehren, in dem fast jede Höhle ausgekundschaftet ist und durch Satelliten und Drohnen überwacht wird, wenn sie sich bei uns im Westen in der Nähe ihrer Ziele sehr viel freier bewegen können?

Auf Seite zwei: Wie der Afghanistankrieg die Taliban und den globalen Terrorismus stärkt.

"Wir haben in Afghanistan nichts zu suchen"

sueddeutsche.de: Was soll also passieren? Die zivile Hilfe für Afghanistan ausbauen? Sich militärisch zurückziehen?

Todenhöfer: Ich sage nur, wir kämpfen in Afghanistan nicht gegen den globalen Terrorismus, sondern gegen einen nationalen Aufstand - und das tun wir auch noch in kontraproduktiver Weise. Beim Versuch, die Taliban zu bekämpfen, werden ständig Zivilisten getötet. Hochrangige afghanische Politiker haben mir gesagt, in der Regel seien zwei Drittel der angeblich getöteten Taliban unschuldige Zivilisten. Das ist einer der Gründe für die wachsende Popularität der einst verjagten und verachteten Taliban.

sueddeutsche.de: Was ist mit den amerikanischen Militärs?

Todenhöfer: Die USA haben sich wie im Irak aus der Rolle des Befreiers in die Rolle des Besatzers bombardiert. Führende afghanische Politiker haben mir im vertraulichen Gespräch gesagt, sie brauchten weder mehr deutsche Truppen noch mehr Kampfeinsätze der Deutschen. Das seien Forderungen der Nato, die sich in Afghanistan verrannt habe. Afghanistan brauche eine Änderung der Nato-Strategie, das heißt mehr Schulen statt Bomben.

sueddeutsche.de: Zwei Drittel der Getöteten seien unschuldige Zivilisten - ist das nicht eine gegriffene Zahl?

Todenhöfer: Einen derartigen Fall habe ich selbst nachrecherchiert. Ich habe in den afghanischen Medien gelesen, die Koalitionstruppen hätten nach US-Angaben in Asisabad bei Herat 30 Taliban getötet. Daraufhin habe ich über einen Dolmetscher mit einem Einwohner von Asisabad telefoniert. Er hatte bei dem amerikanischen Luftangriff 75 Angehörige verloren. 75 Angehörige! Er berichtete mir, dass die US-Luftwaffe eine Trauerfeier bombardiert hatte, die er für seinen verstorbenen Bruder veranstaltet hatte. Insgesamt seien 90 Zivilisten getötet worden, darunter 60 Kinder. Die UN, Präsident Karzai und mehrere afghanische Untersuchungskommissionen haben diese Zahlen inzwischen ausdrücklich bestätigt. Die US-Truppen haben hier wie in vielen anderen Fällen einfach die Unwahrheit gesagt.

sueddeutsche.de: Was bekommen die Afghanen von solchen Zwischenfällen mit?

Todenhöfer: Die Bilder von Asisabad liefen im afghanischen Fernsehen zwei Wochen lang. Man sah immer wieder, wie ein verzweifelter Mann das blutverschmierte Hemd seines getöteten sechs Monate alten Babys in die Kamera hielt. Man sah Bilder getöteter Zivilisten, die ein Arzt heimlich mit seinem Handy gefilmt hatte. Und anschließend musste die afghanische Bevölkerung sich immer wieder den amerikanischen Militärsprecher anhören, der behauptete, man habe lediglich 30 Taliban getötet, vielleicht seien zusätzlich auch noch fünf bis sieben Zivilisten ums Leben gekommen. Die blutige Wahrheit wird bis heute einfach wegdementiert.

sueddeutsche.de: Was sind Ihre Schlussfolgerungen?

Todenhöfer: Da in Afghanistan immer wieder Zivilisten zu Tode gebombt werden und die schrecklichen Bilder hiervon jede Woche über die afghanischen Bildschirme flimmern, geben diese Bombardements dem Aufstand der Taliban massiven Auftrieb. Da diese Schreckensbilder zerfetzter Kinder und unschuldig getöteter Frauen und Männer auch auf anderen muslimischen Sendern weltweit, also auch im Westen, zu sehen sind, stärken sie auch den globalen Terrorismus. Viele junge Muslime, auch bei uns im Westen, ballen die Fäuste, wenn sie solche Bilder sehen. Mit jedem durch westliche Waffen getöteten muslimischen Kind wächst der globale Terrorismus. Mit diesen Bombardements verteidigen wir unsere Sicherheit am Hindukusch nicht, wir gefährden sie. Die Nato züchtet mit ihrem Bombenkrieg in Afghanistan den globalen Terrorismus jeden Tag ein Stück weiter.

Wie soll es in Afghanistan weitergehen? Todenhöfers Ansicht hierzu auf Seite drei.

"Wir haben in Afghanistan nichts zu suchen"

sueddeutsche.de: Also, noch einmal: Was soll aus der Bundeswehr in Afghanistan werden?

Todenhöfer: Wir, das heißt die Bundeswehr und die gesamte Nato, sollten sehr bald mit einem stufenweisen Abzug aus Afghanistan beginnen. Wir haben in Afghanistan militärisch nichts zu suchen. In drei Jahren sollte kein deutscher Soldat mehr in Afghanistan stehen. Ich sage das als jemand, der Afghanistan liebt und der auch Präsident Karzai sehr schätzt. Aber dieser Krieg, der jetzt schon fast sieben Jahre dauert, ist der falsche Weg, dem gequältem afghanischen Volk zu helfen.

sueddeutsche.de: Was sollte geschehen?

Todenhöfer: Wir sollten vielmehr die afghanische Armee stärken, damit sie mit den Taliban selber fertigwerden kann. Nur Afghanen können Afghanen besiegen. Zurzeit verdient ein Talib zwischen 200 und 400 Dollar im Monat, ein Soldat der afghanischen Nationalarmee aber nur knapp 100 Dollar. Also müssen wir dafür sorgen, dass die afghanischen Soldaten und Polizisten deutlich mehr verdienen als die mörderischen Taliban und die Milizen der Drogenbarone.

sueddeutsche.de: Reicht das?

Todenhöfer: Und wir müssen endlich, wie versprochen, Großprojekte umsetzen, die in Afghanistan Arbeitsplätze schaffen, und diese vor Sabotageakten schützen. Auch damit entziehen wir den Extremisten in Afghanistan den Zulauf. Das ist klüger als das ständige Bombardieren und Beschießen afghanischer Dörfer. Zurückbleiben könnte nach dem Abzug der Nato eine kleine, aber stabile Friedenstruppe aus westlichen und muslimischen Nationen. Das alles sollte erfolgen im Rahmen eines regionalen, KSZE-ähnlichen Friedenprozesses zwischen Afghanistan, Pakistan und Indien, an der auch andere Nachbarstaaten sowie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen teilnehmen sollten. Allein kann keines der Länder der Region die Probleme lösen, und mit Krieg schon gar nicht.

sueddeutsche.de: Sie waren schon in den achtziger Jahren, als noch die Sowjetunion das Land besetzt hatte, dort gewesen. Was treibt Sie an, immer wieder dort hinzureisen?

Todenhöfer: Ich habe mit dem Honorar eines meiner Bücher in Kabul ein Waisenhaus für 100 afghanische Kinder gebaut. Das wollte ich besuchen. Und ich wollte überprüfen, ob wir im Westen die Wahrheit über den Afghanistankrieg erfahren. Ich hatte in meinem Buch "Warum tötest du, Zaid?" am Beispiel des Irakkrieges geschildert, dass wir von der Realität des Irakkrieges nicht viel mitbekommen. Die Tatsache, dass im Irak täglich etwa 100 Zivilisten getötet werden, erfahren wir nicht.

sueddeutsche.de: Was ist mit der Informationspolitik in Afghanistan?

Todenhöfer: In den 14 Tagen Afghanistan und Pakistan habe ich feststellen müssen, dass unsere Bevölkerung über den Afghanistankrieg genauso an der Nase herumgeführt wird wie die amerikanische Bevölkerung über den Irakkrieg. Unsere Soldaten werden in einen Krieg geschickt, der mit dem offiziell verkündeten Kriegsziel nichts zu tun hat. Politiker, die behaupten, wir kämpften am Hindukusch gegen den globalen Terrorismus und für die Sicherheit Deutschlands täuschen nicht nur ihre Wähler, sondern auch unsere Soldaten. Das ist unverantwortlich.

sueddeutsche.de: Ein harter Vorwurf.

Todenhöfer: Ich kann einfach nicht verstehen, dass deutsche Politiker nach all den schrecklichen Ereignissen der Vergangenheit unsere Soldaten so leichtfertig in einen Krieg schicken, der mit Sicherheit kein Verteidigungskrieg ist. Nur Verteidigungskriege sind nach unserer Verfassung zulässig - und auch das nur im äußersten Notfall.

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