Jüdischer Weltkongress in Ungarn:Demonstrativer Besuch gegen den Antisemitismus

In Ungarn findet der Jüdische Weltkongress aus Solidarität mit den dortigen Juden statt

Mitglieder der Jugendorganisation der rechen Jobbik-Partei bei einer Demonstration.

(Foto: AFP)

Der Jüdische Weltkongress tagt erstmals in einem osteuropäischen Land. Der Besuch in Ungarn ist "Zeichen der Solidarität" mit den dortigen Juden. Premier Viktor Orbán steht in der Kritik, er unternehme zu wenig gegen den grassierenden Antisemitismus im Land.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Der Jüdische Weltkongress JWC, der von Sonntag an in Budapest tagen wird, will die Wahl des Veranstaltungsortes als "Zeichen der Solidarität mit den ungarischen Juden" verstanden wissen. Das sagte der Präsident des JWC, Ronald S. Lauder, vor Beginn der dreitägigen Veranstaltung.

Der Antisemitismus sei in ganz Ungarn auf dem Vormarsch; es gebe aber leider auch in der Regierungspartei Fidesz "genügend Judenfeinde, die offen hetzen, ohne dass ihnen Grenzen aufgezeigt werden", sagte der US-amerikanische Unternehmer dem Tagesspiegel. Zwar unternehme die Regierung von Viktor Orbán einiges, "wir können bislang aber nicht erkennen, dass die Maßnahmen mit der Dimension des Problems Schritt gehalten, geschweige denn etwas verändert" hätten.

"Wir sind eindeutig keine Antisemiten"

Orbán wird zum offiziellen Auftakt der Veranstaltung ein Grußwort sprechen; in einem Schreiben an Lauder hatte er es als Ehre für Ungarn bezeichnet, Gastgeber zu sein. Es wird erwartet, dass der Premierminister sich unmissverständlich gegen jede Form antisemitischer Äußerungen oder Übergriffe ausspricht. Vorab hatte der Premier in einem Interview mit der israelischen Zeitung Yedioth Ahronoth betont, "wir sind eindeutig keine Antisemiten. Es ist unsere Pflicht, diese Anschuldigung zurückzuweisen und zu fragen, warum Menschen, die Ungarn von außen beurteilen, Antisemitismus als eine Nationaleigenschaft betrachten."

Nach Orbán soll auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle vor dem JWC sprechen, bevor sich am Montag und Dienstag Debatten über die politische Entwicklung im Nahen Osten sowie - auf den Tagungsort ausgerichtet - über das Erstarken von Rechtsextremismus und Antisemitismus in Osteuropa anschließen. Zum Plenum des Weltkongresses reisen 500 Vertreter aus jüdischen Gemeinden in 100 Ländern an.

Bei der ungarischen Regierung hatte die Entscheidung, das alle vier Jahre stattfindende Plenum nicht in Jerusalem, sondern erstmals in einem osteuropäischen Land abzuhalten, einige Irritationen ausgelöst. Ferenc Kumin, Unterstaatssekretär für Internationale Kommunikation und emsiger Erklärer der Regierungspolitik, schrieb in seinem "Blog über Ungarn", die Entscheidung, den Kongress in Budapest abzuhalten, sei ein "Tribut an die Bedeutung der jüdischen Gemeinde in Ungarn und ihr reiches Erbe". Außerdem befasse sich die Tagung mit dem Problem des Antisemitismus in Ungarn und Europa; als Mitstreiter in diesem Kampf begrüße man das.

Jobbik agitiert am ungeniertesten

Tatsächlich ist die jüdische Gemeinde in Ungarn die drittgrößte in der EU und die größte in Zentraleuropa. Allerdings hatten gerade in letzter Zeit ungarische Juden von Beschimpfungen und Angriffen berichtet.

Erst vergangene Woche war der Chef der ungarischen Raoul-Wallenberg-Vereinigung, Ferenc Orosz, am Rande eines Fußballspiels attackiert und verletzt worden. Schlachtenbummler hatten "Sieg Heil" gerufen; als Orosz einschritt, wurde er als "jüdischer Kommunist" beschimpft und verprügelt, die Neonazis brachen ihm das Nasenbein. Premier Orbán verurteilte den Übergriff.

Vor wenigen Wochen hatte eine Gruppe von Neonazi-Bikern einen "Marsch der Überlebenden" von Holocaust-Opfern mit einem Korso unter dem Titel "Gib Gas" begleiten wollen; der Korso wurde verboten. Am Freitag genehmigte ein Gericht dagegen eine Demonstration von Rechtsextremisten im Vorfeld des JWC-Treffens.

Es regt sich Widerstand

In den vergangenen Monaten hatten der Angriff auf den ehemaligen Oberrabbiner Budapests, eine Schändung des Wallenberg-Denkmals, Schmierereien auf Grabsteinen und Angriffe auf jüdische Professoren die Öffentlichkeit aufgeschreckt.

Am ungeniertesten agiert in Ungarn die rechtsradikale Jobbik-Partei, die mit 17 Prozent der Stimmen 2010 ins Parlament gewählt worden war. Ihr außenpolitischer Sprecher hatte im Herbst gefordert, eine Liste aller Abgeordneten anzulegen, die neben der ungarischen auch die israelische Staatsbürgerschaft haben. Er will auch auf der Kundgebung am Samstag sprechen. Ein anderer Parlamentarier verbrannte vor dem Parlament eine israelische Flagge.

Aber es regt sich auch Widerstand: Nicht nur Oppositionspolitiker und Bürger stellen sich gegen die Entwicklung; auch Vertreter der Regierungspartei und Regierungsmitglieder verurteilen solche Aktionen. Ronald S. Lauder, der Präsident des JWC, will die Tagung als Gelegenheit verstanden wissen, jetzt "zu zeigen, dass wir zusammenstehen, damit wir gehört werden und die Dinge verbessern können".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: