Jubiläum der deutsch-französischen Aussöhnung:Freundschaft in Turbulenzen

Frankreichs Präsident Hollande und Bundeskanzlerin Merkel feiern - genau wie ihre Amtsvorgänger vor 50 Jahren - in der Kathedrale von Reims die Aussöhnung beider Länder. Allerdings sind die Beziehungen gerade jetzt angespannt.

Stefan Ulrich, Reims

Déjà-vu in Reims: Wenn sich die Kanzlerin und der Präsident am Sonntag in der Hauptstadt der Champagne treffen, wird die Choreografie jener Begegnung vor einem halben Jahrhundert folgen.

Francois Hollande,  Angela Merkel

Präsident François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel werden in der Kathedrale von Reims die Feierlichkeiten zum Jubiläum der deutsch-französischen Aussöhnung, so wie 50 Jahre zuvor Charles de Gaulle und Konrad Adenauer. Die Abläufe ähneln sich also  - doch der Kontext hat sich verändert.

(Foto: AP)

Wie damals, als sich am 8. Juli 1962 Konrad Adenauer und Charles de Gaulle begegneten, so sollen nun Angela Merkel und François Hollande unter Hochrufen des Volks vor der gotischen Kathedrale eintreffen, eine Truppenparade abnehmen und vom Erzbischof in die Kirche geleitet werden. Seinerzeit folgte eine "Messe für den Frieden". Heute wird auf Wunsch des Élysée eine laizistische Feier abgehalten, allerdings mit der Johannes-Passion von Bach.

Danach geht es zum Mittagessen ins Rathaus. Das Menu, hat die Bürgermeisterin verraten, orientiert sich an der Speisenfolge von vor 50 Jahren. Schon damals gab es kalten Lachs mit Sauce Vénitienne, Filet vom Charolais-Rind und Vacherin-Torte. Nichts Neues in Reims? Viel Symbolik und ein hohes Lied auf die deutsch-französische Freundschaft?

Die Abläufe ähneln sich, doch der Kontext hat sich verändert. Als Adenauer und de Gaulle in der Champagne die Aussöhnung der beiden Völker zelebrierten, war der Zweite Weltkrieg gerade einmal 17 Jahre vorbei. Angst, Leid und Rachegefühle waren sehr lebendig, das schlimme Wort von der "Erbfeindschaft" spukte noch in den Köpfen herum.

Auf beiden Seiten des Rheins gab es Vorbehalte gegen eine enge Entente der alten Gegner. Die beiden Präsidenten wussten, dass sie ihr jeweiliges Volk für eine Aussöhnung gewinnen mussten. Das gelang mit ihrem symbolreichen Auftritt in Reims. François Marty, der damalige Erzbischof, schrieb in seinen Memoiren: "Dieser Besuch setzte ein viel wirksameres Zeichen als lange Gespräche und Reden über den Frieden."

Von deutscher Seite mehr emotional, von französischer eher rational

Und heute? Heute ist die deutsch-französische Freundschaft Alltag. Der Élysée-Vertrag, der im Januar 1963 von de Gaulle und Adenauer unterzeichnet wurde, schaffte die Grundlage für regelmäßige Treffen der Regierungen, für politische Absprachen insbesondere in der Europapolitik, für unzählige Städtepartnerschaften, Schüleraustausche und für das Deutsch-Französische Jugendwerk, das als "schönstes Kind des Élysée-Vertrags" bezeichnet wird.

Franzosen und Deutsche steuern - trotz manchen Zwists - bislang erfolgreich die europäische Integration. Sie bauen gemeinsam Flugzeuge, dienen in einer Brigade und demonstrieren mit dem zweisprachigen Fernsehsender Arte, was Qualitätsfernsehen leisten kann. Die "Erbfeindschaft" hat sich in den Keller der Geschichte verzogen. Umfragen belegen, wie sehr sich die beiden Völker schätzen, wobei die Beziehung von deutscher Seite mehr emotional, von französischer eher rational geprägt ist.

Turbulenzen zum Jubiläum

Hollande und Merkel brauchen in Reims also kein "Wunder der Versöhnung" mehr zu vollbringen wie ihre Vorgänger. Sie müssen nicht mehr, wie die Alchemisten Adenauer und de Gaulle, Feindschaft in Freundschaft verwandeln. Ihre Aufgabe ist es, diese Freundschaft vor Erstarrung zu bewahren und für Europa lebendig zu erhalten. Doch gerade jetzt, zum Jubiläum, durchläuft die Beziehung eine turbulente Phase.

So gut sich Angela Merkel am Ende mit Nicolas Sarkozy verstand, so sperrig wirkt ihr Verhältnis zu Hollande. Der Sozialist stellte im Präsidentschaftswahlkampf den europäischen Fiskalpakt infrage, der Merkel teuer ist. Er betonte, er wolle die angebliche Exklusivität der deutsch-französischen Beziehung zugunsten anderer EU-Staaten aufbrechen, um ein Übergewicht Deutschlands auszutarieren. Merkel boykottierte im Gegenzug den Wahlkämpfer Hollande und warb für Sarkozy.

Daraufhin bandelte der frisch gewählte Hollande mit der SPD-Troika an. Er flirtete mit Frankreichs romanischen Schwestern Italien und Spanien. Als diese beim EU-Gipfel Ende Juni Merkel in unfairer Weise bedrängten, ließ Frankreichs Präsident die Kanzlerin allein.

Unter Hollande benimmt sich Frankreich, als sei es schon ein Krisenland und als wolle es bald von jener deutschen Solidarität profitieren, die es heute für die Mittelmeerländer einfordert. Die Frage ist, ob das den Franzosen gefällt. Denn Frankreich gehört, von seinem Selbstverständnis her, wie Deutschland zu den wirtschaftlich starken, erfolgreichen Ländern Europas. Viele französische Kommentatoren warnen deshalb vor einer Entfremdung zwischen Paris und Berlin. Das kann Hollande nicht entgehen.

Von deutscher Seite ist zu hören, der Präsident werde sich auf Dauer der Kanzlerin annähern. Er könne dies aber aus Rücksicht auf seine linken Wähler nicht per Spitzkehre tun. Hollande müsse einen weiten Bogen fahren. Schon jetzt habe er seinen Kurs korrigiert. Er verzichte auf "Euro-Bonds" und lasse den Fiskalpakt ratifizieren. Das Treffen in Reims werde die Annäherung beschleunigen.

Was dies für die Zukunft der Beziehung bedeutet, ist noch offen. Hollande möchte einen neuen deutsch-französischen Grundlagenvertrag ausarbeiten lassen. Aus Berlin heißt es, dies sei eigentlich überflüssig. Man müsse sich davor hüten, L'art pour l'art zu betreiben. Angesichts der engen europäischen Kooperation sei es nicht so einfach, zusätzliche Projekte für Deutsche und Franzosen zu finden. Genannt wird auf beiden Seiten die Rüstungspolitik, etwa die Entwicklung von Panzern und Drohnen.

Derweil rüsten Merkel und Hollande ab. Wirkten sie anfangs wie zwei Igel, gaben sie sich zuletzt in Paris schon freundschaftlicher. Aus deutschen Kreisen ist zu hören, ihr Verhältnis sei "nicht schlecht". Wortgleich sagt Hollande: "Im Gegensatz zu dem, was erzählt wird, ist unsere Beziehung nicht schlecht." Das Vermächtnis von Reims könnte bewirken, dass sie noch besser wird.

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