Journalismus:Wohin das Pendel ausschlägt

Ute Daniel hat das Verhältnis von Politik und Medien untersucht. Zum Vorschein kommt eine vielschichtige Realität.

Von Tanjev Schultz

Wer das Verhältnis von Politik und Medien ergründen will, landet schnell im Getöse: Fake News, Lügenpresse, Staatsfunk. Die Schlagworte rauben den Atem, den es braucht für eine gewissenhafte Reflexion. Als Glücksfall erscheint da die historische Arbeit von Ute Daniel, die den Blick auf die Komplexität in den Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern lenkt. Sie widersteht der Versuchung, die Geschichte übersichtlicher darzustellen, als sie war und ist.

60 Jahre Bundesrepublik - 'Spiegel'-Affäre

Vorwurf Landesverrat: Rudolf Augstein muss 1963 in U-Haft bleiben.

(Foto: dpa)

Die Historikerin, die an der TU Braunschweig lehrt, betont die zeitgenössischen Umstände, das Unerwartete und Eigensinnige. In einem Vergleich von fünf Phasen oder Fällen aus der Geschichte Deutschlands und Großbritanniens arbeitet sie zwar heraus, dass in beiden Ländern ein "Vertraulichkeitskartell" zwischen Journalisten und Politikern prägend gewesen sei. Aber die konkrete Gestalt, die dieses Kartell jeweils angenommen habe, könne sich erheblich unterscheiden, und die Autorin hat auch keine raunende Enthüllungsgeschichte geschrieben, die suggerieren würde, die Presse sei grundsätzlich nur eine Marionette der Macht.

Die Wirklichkeit ist vielschichtig, das Buch entblättert diese Schichten in einer Erzählung, die dem scheinbaren Detail zu seinem Recht verhilft. So zeigt es beispielsweise, wie der britische Pressezar Lord Northcliffe in der Zeit des Ersten Weltkriegs die eingespielten Beziehungen zur Politik durchbrach. Mit Berichten über unzureichenden Munitionsnachschub brachten seine Zeitungen die Regierung in Bedrängnis. Die Journalisten nutzten Freiheiten, die sie sich früher nicht nehmen konnten oder nehmen durften.

Für das Deutsche Reich zeigt Ute Daniel, dass während des Ersten Weltkriegs nicht nur ein verwirrendes Geflecht an Zensurbehörden existierte, die unterschiedliche Vorstellungen hatten, sondern Netzwerke, die eine Zensur ohnehin oft überflüssig machten: "Man traf sich, tauschte Informationen aus, und man half sich." Die Zeitungen standen traditionell bestimmten Parteien und politischen Kreisen nahe, und während des Kriegs intensivierte sich der Austausch durch Treffen und Pressekonferenzen, in denen Informationen mitgeteilt wurden, die nicht zur Veröffentlichung gedacht waren.

Die anderen Fallstudien betreffen die Zeit zwischen den Weltkriegen, den Nationalsozialismus und die Einführung des privaten Rundfunks in der Bundesrepublik und in Großbritannien. Erhellend ist auch der Vergleich des Profumo-Skandals mit der Spiegel-Affäre, die beide zu Beginn der 1960er-Jahre spielten - mit unterschiedlichem Verlauf. Beim Skandal um den britischen Kriegsminister John Profumo, der eine Beziehung mit der Tänzerin Christine Keeler hatte und darüber im Parlament die Unwahrheit sagte, blieb die Presse zahm und zurückhaltend. Die britischen Journalisten standen damals noch unter dem Eindruck eines Spionageskandals, bei dem sie selbst durch ein Tribunal vorgeführt wurden. Tatsächlich beruhten etliche Medienberichte über den Fall offenbar nur auf Kolportage oder reinen Erfindungen, und Premierminister Harold MacMillan nutzte die Verfehlungen der Presse als willkommenen Anlass, "den Journalisten die Instrumente zu zeigen". Auch die Strenge, mit der damals in Großbritannien Verleumdung und üble Nachrede rechtlich geahndet wurden, wirkte einschüchternd.

Journalismus: Ute Daniel:  Beziehungsgeschichten. Politik und Medien im 20. Jahrhundert. Hamburger Edition, Hamburg 2018. 464 Seiten, 38 Euro. E-Book: 29,99 Euro.

Ute Daniel: Beziehungsgeschichten. Politik und Medien im 20. Jahrhundert. Hamburger Edition, Hamburg 2018. 464 Seiten, 38 Euro. E-Book: 29,99 Euro.

In der Bundesrepublik hingegen scheiterten die Ermittler und Konrad Adenauers Regierung bei dem Versuch, der Presse Grenzen zu setzen. Das Buch arbeitet heraus, wie sich konservative und links-liberale Medien aus unterschiedlichen Motiven gegen Adenauer und seinen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß stellten. Die konservativen Stimmen hatten vor allem die Stärke und Souveränität der Regierung im Sinn - ein Aspekt, der in vielen zur Spiegel-Affäre schon vorliegenden Studien zu wenig beachtet worden ist. Ging es der einen Seite um die Befürchtung, die Politik der Bundesrepublik schlage ins Autoritäre um, trieb die andere Seite die Sorge um, die Regierung und der westdeutsche Staat würden sich als zu schwach erweisen.

Wie es um den journalistischen Informantenschutz und generell um die Freiheit und die Spielräume der Presse bestellt ist, bestimmt maßgeblich das Kräfteverhältnis zwischen Politik und Medien. "Die Geschichte des 20. und frühen 21. Jahrhunderts zeigt, dass auch in demokratisch verfassten Staaten das Pendel einmal so, einmal anders ausschlagen kann", schreibt Daniel. Das mag als Befund unspektakulär und wenig griffig klingen. Es ist aber gerade das Verdienst dieses Buches, die Beziehungsgeschichte von Politik und Medien nicht in ein einfaches Schema zu pressen, sondern mit einem Gespür für unterschiedliche Konstellationen und Kontexte zu erzählen.

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