Joe Biden:Der Mann fürs Grobe

Mit seinem Vize Biden hat sich Obama einen Stellvertreter geholt, der vieles mitbringt, was ihm noch fehlt - aber auch einen, dessen Worte und Fehltritte berüchtigt sind.

Christian Wernicke

Endlich muss ein anderer schwitzen. Der Meister genießt es. Entspannt räkelt sich Barack Obama auf dem hohen Hocker, den sie ihm auf die Bühne gestellt haben. Für einen Moment schließt er sogar die Augen, stemmt die Faust in die Hüfte und wendet sein Gesicht der Nachmittagssonne zu.

Joe Biden: Juniorpartner Biden: Endlich kann sich Obama entspannt auf dem Hocker räkeln.

Juniorpartner Biden: Endlich kann sich Obama entspannt auf dem Hocker räkeln.

(Foto: Foto: AFP)

Sein Blick schweift über das alte Gemäuer des Old State Capitols zu Springfield in Illinois, wo er einst in die politische Lehre ging. Er lächelt milde und schaut hinunter auf die johlende Menge und auf die blauweißen Plakate, auf denen ab sofort mehr als nur sein Name steht: "Obama - Biden". Es ist vollbracht, und es ist ihm ein Wohlgefallen.

Biden, dieser Name gehört zu dem breiten Rücken, der da zwei Meter vor Obama am Rednerpult bebt. Joe Biden, so heißt der Bulle von Mensch im weißen Hemd und mit blauer Krawatte, der da soeben wie ein übermütiger Schuljunge über den Laufsteg hüpfte, um den Hoffnungsträger von Amerikas Demokraten zu umarmen.

Joseph Robinette Biden - der 65-jährige Senator aus dem kleinen Bundesstaat Delaware könnte, rein kalendarisch, Obamas Vater sein. Nun ist er dessen Juniorpartner.

Fast drei Monate lang hat sich Obamas Suche nach einem Stellvertreter hingezogen. Nun, zwei Tage vor Beginn des demokratischen Parteitags in Denver, legt sich Joe Biden mächtig ins Zeug bei seiner Jungfernrede als potentieller US-Vizepräsident.

Seine grauen Haare flattern im Wind, sein Kopf läuft rot an, da er genau das tut, wofür Obama ihn gerufen hat - er bläst zur Attacke, zur Offensive gegen rechts. Dazu hat Biden ein paar alte Aussagen von John McCain zusammengestückelt, in denen sich der Republikaner verheerend freundlich über George W. Bush äußerte, immerhin Amerikas seit Jahrzehnten unbeliebtestes Staatsoberhaupt.

Barack America?

Die Zitate genügen, um dem Publikum wütende Schmährufe zu entlocken. Biden kommt in Fahrt und schimpft, mit McCain drohten Amerika "vier Jahre, die exakt so aussähen wie acht Jahre George Bush". Aber keine Bange, Rettung naht.

"Ein Mann steht bereit, jenen Wandel zu bringen, den wir so verzweifelt brauchen", ruft Biden über die Rampe, "ein Mann, der der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein wird - Barack Ameri..." Biden verschluckt die letzte Silbe, er bringt seinen Lapsus nicht vollständig über die Lippen. Barack America? Diese Anmaßung dürften die Republikaner demnächst ausschlachten.

Doch Obama, der auf dem Hocker Entrückte, verzieht keine Miene. Er hat nicht hingehört, als sein Vize gleich beim ersten Auftritt das offenbart, was all seine Berater als die große Schwäche des Joe Biden diagnostiziert hatten: sein unkontrolliertes Mundwerk.

Sogar seine eigene Präsidentschaftskampagne hatte Biden im vorigen Jahr gleich mit einem missratenen Lob über Obama belastet: Das sei eben der erste Afro-Amerikaner, der "klug und sauber und gut aussehend" daherkomme.

Das gesprochene Wort hat ihn immer gequält, schon als Kind: "B-B-Biden" haben sie ihn in der Schule gehänselt, weil er, der Sohn eines Autohändlers, damals stotterte. Seine katholischen Eltern lehrten ihn den schlichten Stolz harter Arbeit - und Biden schlug sich durch, studierte Geschichte und Politik, obendrein Jura.

Welche Rolle Biden im Gespann mit Obama einnimmt, lesen Sie auf Seite zwei.

Seine zäh antrainierte Wortgewalt nutzte er ein paar Jahre als Anwalt, ehe er 1972 mit nur 29 Jahren zum Senator gewählt wurde. Dort, im noblen Oberhaus des US-Kongresses, sitzt er nun seit fast 36 Jahren. Obama, der Prophet des Wandels, hat sich mit Biden also einen an die Seite geholt, der Washington noch zu Zeiten eines Richard Nixon erlebte.

Biden genießt Respekt bei Demokraten wie Republikanern. "Joe ist ein Wunderkind: Nach 36 Jahren hat er noch immer keine wirklichen Feinde im Kongress", sagt ein republikanischer Senatsmitarbeiter. Seine Kollegen vertrauen ihm, trotz seines Hangs zur Prahlerei.

Schwarze Flecken

1987, als Biden zum ersten Mal für das Präsidentenamt kandidierte, ertappten ihn Journalisten, wie er halbe Wahlkampfreden über sein angebliches Leben und Wirken von Skripten des britischen Labourpolitikers Neil Kinnock abgekupfert hatte - leider ohne Quellenangabe.

Zudem kam heraus, dass er schon als Student des Plagiats überführt worden war. Selbst seine angeblich überdurchschnittlichen College-Noten erwiesen sich als geschönt. Biden gab auf. Und kam doch wieder.

Erst im Justizausschuss, vor allem aber als außenpolitischer Kopf der Demokraten im Senat gelingt es Biden bis heute, trotz parteipolitischer Vergiftung noch Kompromisse mit moderaten Republikanern zu schmieden. Einer dieser Vorstöße versuchte, die Bush-Regierung im Jahr 2002 vor einem Angriff auf den Irak zu mehr Diplomatie zu verpflichten. Sein Antrag scheiterte, Biden stimmte letztlich für die Kriegsermächtigung.

Es ist ein Votum, das er bis heute bereut. Und eines, das er seither gern mit harscher Kritik am Bush-Kurs wettzumachen sucht: "Diese Regierung ist die schlimmste Administration für Amerikas Außenpolitik in der modernen Geschichte", wetterte er. "Alles, was die angefasst haben, endete so gut wie im Desaster."

Prinzipiell hat Joe Biden kein Problem mit dem Einsatz militärischer Mittel. Es war dieser liberale Falke, der Mitte der neunziger Jahre öffentlich seinen Präsidenten Bill Clinton bedrängte, in Bosnien endlich mit US-Luftangriffen gegen serbische Gewalt vorzugehen.

Sorgen und unbezahlte Rechnungen

Dieser Senior hat enormen Nutzwert für den Jung-Senator: Als außenpolitischer Experte, aber mehr noch als ein bodenständiger Demokrat, der mit seiner unprätentiösen Art und seinem eisernen Händedruck vor allem weiße Wähler aus der Arbeiterschicht zu gewinnen weiß.

Joe Biden soll für Obama in wahlentscheidenden Swing-States jene Klientel zurückgewinnen, die ihm Hillary Clinton vergraulte: die Katholiken in Pennsylvania, die waffenvernarrten Ländler in den tiefen Tälern von West Virginia.

Also redet er Klartext. So wie am Samstag in Springfield, wo er vor Barack Obama eine Kostprobe liefert. Bidens blaue Augen leuchten, als er jene Passage vom Blatt liest, die von den Sorgen der einfachen Amerikaner erzählt. Und die daran erinnern soll, dass John McCain sich vor kurzem nicht erinnern konnte, wie viele Häuser er und seine Frau Cindy besitzen.

Biden, bis heute kein reicher Mann, erzählt von den Sorgen, von den unbezahlten Rechnungen. "Also, meine Damen und Herren, das sind nicht die Sorgen von John McCain," donnert er, "der muss nur mit sich ausmachen, an welchem seiner sieben Küchentische er überhaupt sitzen will." Höhnisches Gelächter ist das Echo, auch Obama lacht. Und Biden strahlt wie ein glücklicher Krieger.

Ja, Polemik macht ihm Spaß. Und er weiß, dass er diesmal einen Preis zahlen wird. Seit 35 Jahren kennt er John McCain. "Er ist ein echter Freund." Nicht mehr lange, wenn er weitermacht mit Sätzen wie diesen: Zwar sei der Vietnam-Veteran ein Held gewesen - "aber als Oberbefehlshaber brauchen wir keinen Kriegshelden, wir brauchen Männer mit Weisheit!"

Abenteuer Kandidatur

Die Demokraten haben eine Doppelstrategie ausgeheckt. Obama schwebt als Erneuerer über den Dingen, derweil Joe Biden als Mann fürs Grobe in die Schlammschlacht zieht.

Er will es so. Und er macht mit, weil ihn eh nichts mehr schrecken kann. Vor zwanzig Jahren schon, gleich nach seinem ersten Anlauf auf das Weiße Haus, bangte er monatelang um sein Leben, als die Ärzte zwei gefährliche Erweiterungen seiner Blutgefäße im Gehirn entdeckt hatten und seinen Schädel öffnen mussten.

Und was soll noch Schlimmeres drohen als jener Tag im November 1972? Damals überrollte ein Laster das Familienauto: Frau und Tochter starben, seine beiden Söhne rangen wochenlang mit dem Tod. Der Vater fährt seither jeden Abend eineinhalb Stunden mit dem Zug nach Hause. Und morgens zurück in den Senat: "Das hält einen menschlich."

Bis Donnerstag, da hat ihn beim Zahnarzt der Ruf des Barack Obama auf seinem Handy ereilt, fühlte sich Joe Biden freier denn je. Seine kurze Kampagne für die Präsidentschaftskandidatur genoss er wie ein Abenteuer.

"Ich mache das ganz auf eigene Rechnung, nach meiner Art", sagte er vorigen Herbst in einem Interview. "Und ich werde nicht gewinnen oder verlieren, weil ich mich nach niemandem anderen richte." Auch das kann und darf Joe Biden ab sofort nicht mehr sagen.

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