Joe Biden bei der Sicherheitskonferenz:Obamas Beruhigungspille wirkt

Münchner Sicherheitskonferenz

Joe Biden spricht auf der Münchner Sicherheitskonferenz und verabreicht Europa eine Beruhigungspille.

(Foto: dpa)

"Wir gehen nirgendwohin": US-Vizepräsident Biden verspricht Europa weiter amerikanische Unterstützung, doch die Zusammenarbeit wird sich in den wirtschaftlichen Bereich verlagern. In Sicherheitsfragen muss sich Europa künftig stärker selbst helfen. Eigentlich kein Problem - würde der alte Kontinent bei der Sicherheitskonferenz nicht demonstrieren, dass er zu unreif für eine neue Rolle ist.

Von Johannes Kuhn

Joe Biden macht seinem Ruf als Witzbold gleich zu Beginn alle Ehre. "Ich freue mich, zurück in Deutschland zu sein", eröffnet er seine Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz, um unter Gelächter fortzufahren: "Der Präsident schickt mich ja eigentlich immer an Orte, wo er selbst nicht hinfahren mag."

Das mag als verqueres Kompliment gemeint sein, enthält aber einen wahren Kern: Obama hat während seiner ersten Amtszeit Europa-Reisen in der Tat sparsam dosiert. Dass der US-Präsident dann noch seine Außenministerin Hillary Clinton das "pazifische Zeitalter" ausrufen ließ, hat die Europäer stark verunsichert. Joe Biden ist an diesem Vormittag deshalb angetreten, um die Gemüter zu beruhigen.

"Eine gute Nachricht: Wir gehen nirgendwohin", erklärt er in Anspielung auf die Furcht eines amerikanischen Rückzugs in die Innerlichkeit, um in bester Bad-Boy-Geste zu ergänzen: "Die schlechte Nachricht: Wir gehen nirgendwohin."

Dann beweist Biden, dass er trotz Jetlags die agilste Beruhigungspille der Welt sein kann. Im Schnelldurchgang handelt er die wichtigsten Themen der Geopolitik ab und streut dabei geschickt transatlantische Selbstversicherungen ein: Europa sei "Eckpfeiler" amerikanischen Handelns in der Welt, "unabdingbarer Partner". Bei Konflikten suchten Europa und die USA immer erst einander, bevor sie anderswo Hilfe holten.

Allerdings ist in den Zwischentönen zu hören, dass Amerika das Bündnis mit der EU auf ein anderes Fundament stellen möchte: Statt sicherheitspolitischer Kooperation soll künftig die Wirtschaftspolitik größeren Raum bekommen. Biden fordert ein transatlantisches Freihandelsabkommen, das trotz aller Differenzen "mit einer Tankfüllung" ausverhandelt werden sollte. Übersetzt: In vier, wegen der unsicheren Mehrheiten im Kongress aber besser zwei Jahren, will Washington Ergebnisse sehen.

"Die Zeit ist reif für einen transatlantischen Binnenmarkt"

Bei den Verhandlungen, das hatte sich bereits gestern im Rahmen des Biden-Besuchs bei Merkel abgezeichnet, könnten Deutschland und die USA die Antreiber sein. So wird Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der nach Biden spricht, später postulieren: "Die Zeit ist reif für einen gemeinsamen transatlantischen Binnenmarkt."

Auch in anderen Bereichen, betont Biden, gäbe es Gemeinsamkeiten mit der EU, selbst wenn sich die Probleme inzwischen unterschieden. Zwar unterstützen die USA Frankreich in Mali, doch hält der Vize-Präsident an der Aussage fest, man habe al-Qaida besiegt und es dort lediglich mit Gruppen zu tun, die sich die Terrormarke zu eigen machten und für die USA keine vergleichbare Bedrohung darstellen.

“Amerika ist eine pazifische Nation“

Im Fall Iran verweist der Vize-Präsident auf den internationalen Ansatz und bleibt bei dem Angebot bilateraler Gespräche, wenn Iran es "ernst meine". "Es geht hier nicht um Eindämmung. Es geht darum, dass Iran keine Nuklearwaffen bekommt", erklärt er bestimmt - wohl mehr an die Kritiker in Israel und daheim gerichtet.

Das ist nicht neu. Und auch das Angebot an Russland, auf Präsidenten-Ebene eine Kommission für den Austausch einzurichten, ändert nichts am Konflikt Moskaus mit der Nato um die künftige Sicherheitsarchitektur in Europa.

Wenn Obama seinem Stellvertreter mit auf den Weg gegeben hat, keine Schlagzeilen zu produzieren, dann hält sich Biden an diesem Vormittag ziemlich genau an die Vorgabe seines Chefs. Biden schafft es sogar, die Feststellung "Amerika ist eine pazifische Nation" als ureigenes europäisches Interesse zu verkaufen, denn die Märkte in Asien seien auch für den alten Kontinent interessant. Und überhaupt, so ergänzt er, "werden wir sowohl eine pazifische, als auch eine atlantische Macht sein."

Joe Biden ist in München trotz aller freundlichen Worte schwer zu fassen. Was bleibt, ist der Eindruck, dass sich Europa in Sicherheitsfragen künftig deutlich stärker selbst helfen muss. Die Redner nach Biden zeigen allerdings, dass es dort ordentlich klemmt. So erwähnt Westerwelle den Mali-Konflikt in seiner Rede in einem einzigen Satz. Auf Nachfrage entwickelt er eine Theorie, die in Paris erneut für Stirnrunzeln sorgen dürfte: Die beste Hilfe für Frankreich sei es doch, afrikanische Truppen einsatzfähig zu machen - was innerhalb der EU-Ausbildungsmission für Mali ja geschehen werde.

Sorgen gelindert, Probleme bleiben

Auch EU-Außenkommissarin Catherine Ashton betreibt eher negative Profilbildung, als sie in ihrer Rede den Syrien-Konflikt nicht ein einziges Mal erwähnt. Einen Durchbruch in Syrien zu erreichen, dem vielleicht drängendsten Thema der Sicherheitskonferenz, bleibt einmal mehr Aufgabe der USA.

Im Laufe des Tages will sich Biden in Einzelgesprächen mit dem UN-Syrien-Beauftragten Brahimi, dem russischen Außenminister Lawrow und Vertretern der syrischen Opposition treffen. Greifbare Ergebnisse sind nicht zu erwarten, betont Lawrow doch auch in München, jegliche Form von Intervention oder Flugverbotszone abzulehnen.

Die Sorgen der EU mag Biden etwas gelindert haben - für Syrien ist weiterhin keine Heilung in Sicht.

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