Joachim Gaucks Weihnachtsansprache:Die Unfreiheit des Präsidenten

Joachim Gauck bei der Weihnachtsansprache im Berliner Schloss Bellevue.

Joachim Gauck bei der Weihnachtsansprache im Berliner Schloss Bellevue.

(Foto: dapd)

Joachim Gauck hat sich für eine zurückhaltende Weihnachtsansprache entschieden. Das liegt daran, dass er nicht nur Subjekt, sondern gelegentlich auch Objekt seiner eigenen Präsidentschaft ist. Er hat sich von niemandem vereinnahmen lassen - jedoch hat er es auch nicht geschafft, die Öffentlichkeit für sich einzunehmen.

Ein Kommentar von Nico Fried, Berlin

Es ist die erste Weihnachtsansprache dieses Bundespräsidenten. Und die Art, wie Joachim Gauck seine Rede aufgebaut hat, spiegelt wohl ganz gut sein eigenes Erleben wider: Das Staatsoberhaupt ist in den ersten neun Monaten im Amt vielen Ereignissen, Bedrohungen und Krisen sehr viel unmittelbarer begegnet, als es der politische Mensch tat, der Gauck vorher schon war - vom Krieg in Afghanistan über europäische Fragen bis hin zu sozialen Verwerfungen oder dem Fremdenhass im eigenen Land.

In seiner Weihnachtsansprache streift Gauck einiges von dem, was er als Bundespräsident erfahren hat, manches in ein paar Sätzen, vieles nur mit einem Gedanken. So, wie er sich eben auch in seinem neuen Amt in der ersten Zeit nur punktuell mit diesem mehr und mit anderem weniger befassen konnte.

Es ist eine vorsichtige, eine zurückhaltende Ansprache geworden, was durchaus zu den Erfahrungen dieses Staatsoberhauptes passt. Denn Joachim Gauck war bislang nicht nur Subjekt, sondern gelegentlich auch Objekt seiner eigenen Präsidentschaft. Und das nicht nur, weil er - wie jeder Neue in jedem Job - erst einmal der Eingewöhnungszeit bedurfte, sondern auch, weil die Geschichte seiner Präsidentenwerdung ihn zum Gegenstand der besonderen Beobachtung machte: Gauck ist der Präsident aller, mit Ausnahme - grob gesagt - der Linken und der Bundeskanzlerin.

Das hat dazu geführt, dass die größte Aufmerksamkeit bei Gauck oft dem Aspekt zuteil wurde, wie er sich zu seinen Machern von FDP, SPD und Grünen stellte - vor allem aber, wie er sich zu Angela Merkel verhielt, die ihn widerwillig hatte akzeptieren müssen.

Gauck hat folglich zweimal für Aufsehen gesorgt: Einmal wurde seine Äußerung, Merkel habe in der Euro-Krise viel zu erklären, zu Unrecht als Kritik an der Kanzlerin verstanden. Das andere Mal übte Gauck vermeintlich Kritik an Merkel, indem er ein Wort nicht aussprach, sondern mied, nämlich das Wort von Israels Sicherheit als deutscher Staatsräson. Beides sorgte für allerhand Wirbel.

Klare Position in der Beschneidungsdebatte

Fast völlig unbeachtet blieb hingegen, dass sich Gauck zum Beispiel in der Debatte um Beschneidungen klar positionierte und die Rituale der Religionsgruppen verteidigte. Ja, da waren Gauck und Merkel offenkundig einer Meinung. Aber war es denn nicht bedeutsam, dass der Bundespräsident in einer Diskussion, die über Monate viele Gemüter bewegte, offen gegen breite Vorbehalte in der Gesellschaft sprach?

Man kann nun auch die Weihnachtsansprache wieder darauf untersuchen, wem Gauck das Wort redet - oder wem gerade nicht. Will er mit seiner Betonung der Solidarität die SPD in einem guten Licht erscheinen lassen? Ist seine Bemerkung, die Schere zwischen Arm und Reich gehe auseinander, als Kritik an der schwarz-gelben Koalition zu verstehen? Oder bedient er nicht gerade das von der FDP stets betonte Prinzip der Selbstverantwortung, wenn er sagt, dass für die Lösung von Problemen nicht nur tatkräftige Politiker, sondern auch engagierte Bürger gefordert sind?

Wenn aber die Wahrnehmung eines Präsidenten sich darauf beschränkt, gegen wen er seine Rede richtet, und nicht darauf, für was er sich einsetzt, dann hat er ein Problem. Besser gesagt: zwei. Das erste hat mit dem oft unbestreitbar oberflächlichen Interesse der Medien und ihrer vorhersagbaren Reflexe zu tun. Das zweite besteht darin, dass es Gauck zwar bislang gelungen ist, sich von niemandem vereinnahmen zu lassen. Nicht aber ist ihm gelungen, einmal die Öffentlichkeit für sich einzunehmen, über die große Sympathie hinaus, die ihm als Person zuteil wird. Es ist schlicht die Freiheit des Amtes, die Gauck sich noch nehmen muss. Von wem würde man das eher erwarten, als von ihm?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: