Joachim Gauck:Die verfrühte Biografie

Feierlichkeiten Tag der Deutschen Einheit

Bundespräsident Joachim Gauck schüttelt in Stuttgart bei den Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit viele Hände.

(Foto: dpa)

Ein Bundespräsident, der nach eineinhalb Jahren im Amt auf sein Leben zurückblickt: Das wirkt eitel. Damit muss Joachim Gauck nun leben, obwohl das Buchprojekt schon vereinbart war, bevor er Anwärter auf das höchste Staatsamt wurde. Entstanden sind bemerkenswerte Einblicke.

Von Stefan Braun, Berlin

Wie macht man das, wenn sich plötzlich das Leben noch mal ändert? Was sagt man einem Autor, der eine Biografie über einen schreiben möchte, während man gerade zum Bundespräsidenten aufsteigt? Was tun, wenn der Autor fragt: Wann können wir loslegen? Normalerweise würde man davon Abstand nehmen. Man würde sagen: Kommen Sie bitte später wieder, ich kann nicht nach drei Monaten an einer Biografie mitwirken. Sonst könnten die Leute denken, ich würde schon jetzt nur noch über meinen Platz in der Geschichte nachdenken.

So jedenfalls würden die meisten Politiker reagieren. Aus Sorge vor Kritik, aus Taktgefühl, aber auch aus Vorsicht vor dem, was im Amt noch alles passieren könnte. Joachim Gauck hat sich anders entschieden. Er hatte noch vor der neuen Chance auf das oberste Staatsamt zugesagt, an einem solchen Projekt mitzuwirken. Und als er Präsident wurde, ist er bei seinem Wort geblieben.

Das muss man wissen, wenn man verstehen möchte, warum nur anderthalb Jahre nach Amtsbeginn eine Biografie über Gauck erscheint, in der er und enge Weggefährten ziemlich offen und erstaunlich auch über sein Amt und die damit verbundenen Anstrengungen Auskunft geben. Jetzt schon eine Biografie - das wirkt eitel bei einem Präsidenten, dem Kritiker ohnehin Eitelkeit nachsagen. Und es schwingt die Frage mit, ob das zu den Aufgaben eines Staatsoberhaupts zählt, solange er im Amt ist.

Davon aber abgesehen ist eine bemerkenswerte Biografie mit einem ungewöhnlichen Strickmuster entstanden. Mehr als einmal zeigt sich hier neben der Sicht des Autors Mario Frank auf Gauck auch dessen eigene Sicht auf sich selbst. Die beiden nutzten die besondere Situation, auf die sich Gauck hier einließ, um immer wieder unterschiedliche Positionen gegeneinander zu schneiden. Frank berichtet über die Tatsache, dass Gauck, der über Jahrzehnte von der Stasi beobachtet und dann auch drangsaliert worden war, in den letzten Jahren vor dem Mauerfall plötzlich wieder in den Westen reisen durfte, und das nicht nur einmal. Gauck hält dagegen.

Lesenswert sind auch die Kapitel über Gaucks DDR-Leben

Er begründet es mit der Kooperation zwischen den Kirchen und wehrt sich so gegen den Verdacht, da sei was merkwürdig dran gewesen. Frank berichtet auch von dem Gerücht, Gauck habe später eine homosexuelle Beziehung zu seinem Sprecher gehabt. Gauck berichtet, wie beide darüber gelacht hätten. Genau dieses Muster, diese Gerüchte-Produktion kenne man ja von der Stasi.

Neben dieser ungewöhnlichen Konstruktion sind es die Kapitel aus Gaucks DDR-Leben, die das Buch interessant machen, die Kindheit, die Zeit auf dem Land und später in Rostock. Zuallererst aber ist da jener Tag 1951, Gauck ist elf Jahre alt, als der Vater von Stalins Häschern in den Gulag verschleppt wird. Diese Erfahrung hat Gauck am stärksten geprägt und macht ihn aus. Der unendliche Schmerz, aber auch der Stolz, mit dem die Mutter sich den Erpressungsversuchen der Staatsmacht widersetzt. Und die Rigorosität, mit der sie den Kindern auch kleine Fluchten untersagt, so der Besuch von FDJ-Jugendfesten. Es braucht nicht viele Zeilen, um die Wirkung all dessen erahnen zu lassen.

Weniger bekannt ist Gaucks Umgang mit der eigenen Familie. Hier der junge, aufstrebende, sich nach guten Aufgaben sehnende Pastor; dort seine Frau mit den Kindern, die über sein fortwährendes und immer weiter wachsendes Engagement als Landpastor, später als Pastor in Rostock in seinem Leben immer mehr verloren gehen. Frank hat auch mit Gaucks Kindern gesprochen. Und was die über den Vater erzählen, mag so gar nicht zu dem Gauck passen, der berühmt wird für seine besondere Fähigkeit, sich anderen Menschen sehr einfühlsam zuzuwenden. Ganz so, als saugte die Arbeit draußen so viel aus ihm heraus, dass für die eigene Familie - offenbar - nicht mehr viel da war. Ein Phänomen im Übrigen, das manch anderem Pastorenkind auch nicht fremd ist.

Und wie ist der Präsident als Präsident? Frank, der früher Spiegel-Geschäftsführer war und neben einer Ulbricht-Biografie auch ein Buch über Hitlers letzte Tage geschrieben hat, beschreibt klug Gaucks Mischung aus Bescheidenheit und Koketterie, wenn er vom Lernen im Amt spricht und über eigene Fehler redet. Das Erstaunlichste an diesem Buch (Mario Frank: Gauck. Eine Biographie, Suhrkamp 2013) aber ist, wie offen beispielsweise Helga Hirsch darin über Gaucks erste Wochen im neuen Amt erzählt. Seine frühere Lebensgefährtin fungiert noch heute als seine Beraterin, wenn auch unentgeltlich, und sie wird in dem Buch zu einer besonderen Interpretin des Präsidenten. Sie erklärt ihn nicht nur, sie sagt auch mal, dass Gauck "Blasen" mache, wenn er in Reden zu lange spreche, weil er die Zeit vergesse.

Und sie ist es, die nach den ersten 100 Tagen im Amt von "Ermüdungserscheinungen" bei Gauck berichtet. Wohlgemerkt, sie sagt das nach den ersten drei Monaten. Aber sie sagt es. Und das ist mehr als nur ein bisschen freimütig. So landet man noch mal bei der Frage vom Anfang. Dass Gauck und enge Weggefährten hier mitgemacht haben, kann man mutig nennen. Man kann es auch als besonders souverän bezeichnen. Ob es klug war, ist eine andere Frage.

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