Jesus und die Finanzkrise:Der Zorn Gottes

Jesus Christus war nicht nur ein putziges Krippenkind, sondern auch ein wütender Mann im Tempel: Was die Manager von heute mit den Hohepriestern von damals zu tun haben.

Heribert Prantl

Nach dem desaströsen Jahr 2008, dem Jahr der geplatzten globalen Gier, möchte man eine andere Krippe aufstellen: nicht die mit den Schafen, Hirten und dem Jesulein-Jesus.

Jesus und die Finanzkrise: So steht sie unter vielen Bäumen: Eine traditionelle Krippe mit dem Jesulein-Jesus.

So steht sie unter vielen Bäumen: Eine traditionelle Krippe mit dem Jesulein-Jesus.

(Foto: Foto: dpa)

Es gibt auch einen anderen Jesus: Der steht mit heiligem Zorn im Tempel, eine Geißel aus Stricken in der Hand, stürzt die Tische um und wirft die Händler und Geldwechsler hinaus, die das "Haus des Vaters" zur Räuberhöhle gemacht haben. El Greco hat diese Szene im Tempel öfter und lieber gemalt als die Geburt im Stall.

Womöglich war sie auch den Evangelisten wichtiger. Über die Tempelreinigung berichten sie jedenfalls alle vier - Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Die Weihnachtsgeschichte dagegen steht nur bei Lukas und Matthäus.

Der Weihnachtskrippen-Jesus ist ein putziges Kind; der Tempel-Jesus ein gefährlicher Mann. Die Schriftgelehrten suchten von da an nach der Gelegenheit, ihn umzubringen. Die Weihnachtskrippe zeigt das alles nicht. Die Darstellung der biblischen Ereignisse beschränkt sich auf Herbergssuche, die Geburt im Stall, die Anbetung der Könige und die Flucht nach Ägypten.

Nur ein paar sogenannte Jahreskrippen, wie sie da und dort in Wallfahrtskirchen stehen, zeigen mehr: die Hochzeit zu Kanaa zum Beispiel, Kreuzweg, Kreuzigung, Auferstehung - und eben auch die Tempelreinigung, die ja nicht so heißt, weil Jesus den Tempelboden geputzt hätte, sondern weil er falsche Einstellungen hinauswarf.

Attacke gegen die Geldfabrik

Der Zorn Gottes macht den Theologen Schwierigkeiten, weil er nicht zu passen scheint zur sanftmütigen Radikalität der Bergpredigt. Aber wenn Gott Mensch geworden ist, wie es die Weihnachtsgeschichte sagt, dann tut es gut, wenn dieser Mensch so menschlich reagiert - und damit auch den Zorn gegen den Finanzkapitalismus, der die Bürger gepackt hat, erhebt.

Immerhin steht der Zorn gegen die Ungerechtigkeit in biblischer Tradition. Der Prophet Jesaia grollt: "Deine Fürsten sind eine Bande von Dieben, sie lassen sich gern bestechen und jammern Geschenken nach. Sie verschaffen den Waisen kein Recht, und die Sache der Witwen gelangt nicht vor sie." Es ist dies nicht einfach ein wütendes Lamento, sondern Forderung nach Umkehr und Ankündigung der Läuterung.

Es mag der Zorn sein, der die Kraft gibt, eine etwas bessere Welt zu schaffen - und womöglich damit bei sich selber anzufangen. So hat das Meister Eckhart im 14. Jahrhundert gepredigt: "Der Tempel, den Jesus reinigt, das ist unser Herz. Dort gibt es alles: die Angst und die Antwort darauf."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Bankmanager von heute mit den Hohepriestern von damals zu tun haben.

Der Zorn Gottes

Die Tempelreinigung richtete sich vorderhand gegen ein paar kleine Händler, in Wahrheit ging es um eine demonstrative Attacke gegen die Geldfabrik, zu der sich der Tempel entwickelt hatte, gegen die Abkehr vom Eigentlichen.

Jesus und die Finanzkrise: Ein Ausschnitt aus dem Gemälde von El Greco

Ein Ausschnitt aus dem Gemälde von El Greco

(Foto: Foto: oH)

Sie war nicht die Aktion eines Randalierers, sondern eine prophetische Zeichenhandlung gegen ein korruptes System: Die kleinen Leute mussten damals ihre römischen Münzen umwechseln in eine Tempelwährung; den Kurs dafür setzten die fest, die davon profitierten. So verdienten sich die Großen des Tempelsystems, wie man so sagt, dumm und dämlich.

Die Methoden der Abzockerei haben sich verfeinert

Zweitausend Jahre später heißen die Hohepriester anders, und die Methoden ihrer Abzockerei haben sich verfeinert - aber auch die neuen Hohepriester haben sich dumm und dämlich verdient. Dämlich? Als ihr System platzte, ist es ihnen immerhin geglückt, die potentesten Regierungen der Welt zu einem Hilfe-Wettlauf zu bewegen.

Haben sich die Staaten vor den Karren rein partikularer Interessen spannen lassen? Jedenfalls haben Regierungschefs und Präsidenten, die bis dahin für Schulen, Sozialhilfe und Universitäten kaum Geld hatten, Milliardenpakete zu Hypo Real Estate, Bear Stearns, den Landesbanken und anderen Finanzinstituten getragen.

Das erinnert an die Heiligen Drei Könige, die dem Kind in der Krippe Gold, Weihrauch und Myrrhe darbrachten. Die Milliardensummen werden aber nicht einem Kind, nicht den Armen der Welt, sondern einem fressenden Finanzmarkt dargebracht.

Das ist eine neue Epiphanie, die Selbstoffenbarung eines Systems, das der Konversion bedürftig ist. Es geht aber dabei weniger um die Änderung einzelner Spielzüge, sondern um die Änderung der Spielregeln. Das Problem ist weniger die Gier der Wertpapierhändler und Großmanager; das Regelsystem als solches ist korrumpiert. Also gilt es, dieses System menschenverträglich zu machen.

In der Kulturzeitschrift Die Gazette findet sich ein Stücklein, welches das Gewese des Finanzmarkts pfiffig erklärt. Es geht so: Chuck kauft für 100 Dollar einen Esel. Das Tier stirbt vor der Lieferung. Chuck will sein Geld zurück, der Farmer hat es aber angeblich schon ausgegeben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was ein toter Esel mit der Investmentbank Goldman Sachs zu tun hat.

Der Zorn Gottes

Nun will Chuck den toten Esel, um ihn zu verlosen. Verlosen? Ich sag' den Leuten einfach nicht, sagt Chuck, dass er tot ist. Einen Monat später trifft der Farmer Chuck wieder. Was aus dem Esel geworden ist? Ich hab' ihn verlost, 500 Lose zu zwei Dollar verkauft und 998 Dollar Gewinn gemacht.

Hat sich keiner beschwert? Nur der Kerl, der den Esel gewonnen hat. Dem ich habe ich seine zwei Dollar zurückgegeben... Die Erzählung endet mit der Anmerkung: "Heute arbeitet Chuck für Goldman Sachs." Die Geschichte erklärt, wie Leerverkäufe funktionieren. Sie erklärt nicht, wie so ein Eselsmodell zum Weltfinanzprinzip werden konnte und was dagegen zu tun ist.

Der Sozialethiker Oswald von Nell-Breuning predigte stets von der Börsenmoral und setzte in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts darauf, den Kapitalismus "umzubiegen". Heute muss das Umbiegen beim Finanzmarktkapitalismus ansetzen. Die Biegeinstrumente liegen schon auf dem Tisch, die Milliardenpaket-Schnürer haben sie noch nicht angefasst.

Gotteslästerliche Ungerechtigkeit

Da liegt der Vorschlag, die "Tobin-Steuer" auf Transaktionen mit Devisen, Wertpapieren und Derivaten zu erheben. Da liegt der Vorschlag, dass Finanzpapiere künftig zugelassen werden müssen, wie Medikamente auch. So sähen die neuen Instrumente der Austreibung und Läuterung aus.

Der Tempel von Jerusalem ist nur ein Symbol. Es gibt viele andere "Tempel", in und an denen Menschen nicht leiden sollen: den Staat, die Kirchen, die Wirtschaft, das Gemeinwesen. Verträglich geht es dort dann zu, wenn nicht nur dem Kaiser gegeben wird, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist - sondern auch dem Menschen, was des Menschen ist.

Von Jesaja bis Maleachi haben die Propheten Wirtschaftskriminalität und Korruption angeprangert, Gott als den Gott der Armen und der kleinen Leute verkündet und die Verlogenheit eines Kults angeprangert, der Gott benutzt, aber nicht ehrt. "Ich hasse eure Feste, ich kann eure Feiern nicht riechen, eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen, euer Harfenspiel nicht hören."

Feiern angesichts schreiender Ungerechtigkeit empfindet der Prophet Amos als gotteslästerlich. Vor dem Feiern kommt anderes: "Das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach". Das ist eine zornige, strenge und tröstliche Weihnachtsbotschaft. Darin steckt das innere Feuer für eine bessere Lebensordnung.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: