Jemen:"Zivilisten sind zwischen den Fronten gefangen"

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UN-Nothilfe-Koordinator Jamie McGoldrick inspiziert ein durch Beschuss zerstörtes Krankenhaus in Taizz - in dem trotzdem noch gearbeitet wird. (Foto: REUTERS)

Im Jemen haben Zehntausende kein Wasser und keinen Strom, berichtet UN-Nothilfe-Koordinator Goldrick. Luftangriffe gehören zum täglichen Leben, vor allem Kinder sind traumatisiert.

Interview von Paul-Anton Krüger, Kairo

Jamie McGoldrick ist seit Dezember 2015 Nothilfe-Koordinator der Vereinten Nationen in Jemen und zugleich der Repräsentant des UN-Entwicklungsprogramms UNDP. Der Ire hat als Journalist gearbeitet, bevor er sich in den Dienst der humanitären Hilfe stellte. Er konnte am Wochenende Taizz besuchen, die drittgrößte Stadt des Landes. Sie ist seit Monaten umkämpft zwischen der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition und den aufständischen Huthi-Milizen.

SZ: Herr McGoldrick, Sie hatten die Möglichkeit, die seit Monaten belagerte Stadt Taizz zu besuchen, die von humanitärere Hilfe weitgehend abgeschlossen ist. Wie ist die Situation dort?

McGoldrick: Es hat lange gedauert, den Zugang auszuhandeln. Aber letztlich haben beide Seiten zugestimmt, was ein positiver Schritt war. Die Folgen der Kämpfe und der Belagerung sind offensichtlich, die Schäden an der zivilen Infrastruktur. Es sind nur sehr wenige Geschäfte geöffnet. Die Menschen riskieren ihr Leben, um Wasser, Lebensmittel und Benzin und Gas über die Linien in die abgeschnittenen Teile der Stadt zu bringen. Es liegt Müll in den Straßen, weil ihn niemand abholt, was die Gefahr von Krankheiten erhöht. Wir haben eines der wenigen noch arbeitenden Krankenhäuser der Region besucht, das wie andere medizinische Einrichtungen in diesem Konflikt mehrmals getroffen wurde und nicht in den Schutz kommt, den das Völkerrecht vorsieht. Das Personal dort macht einen fantastischen Job. Sie versuchen, den Einwohnern zu helfen, obwohl sie um ihre eigene Sicherheit fürchten müssen. Medikament sind knapp, ebenso Blut und, Sauerstoff, grundlegende Dinge, die man braucht, um die medizinische Versorgung sicherstellen zu können.

Sie haben die Schäden an der zivilen Infrastruktur erwähnt. Was haben Sie gesehen?

Unser Aufenthalt war nur kurz, aber neben dem Krankenhaus sind auch viele andere Gebäude in Mitleidenschaft gezogen, Wohn- und Geschäftshäuser. Sie tragen vielfach Spuren von massivem Einsatz von automatischen Waffen, aber auch von Granaten-, Raketen-, und Mörser-Einschlägen. Die Front bewegt sich vor und zurück, und die Zivilisten sind dazwischen gefangen. Sie haben keinen Strom und kein Wasser, und wegen der Kämpfe sind die Gebiete nicht zugänglich für Hilfslieferungen.

Wie viele Menschen sind davon betroffen?

Das ist schwer zu sagen, aber wir gehen davon aus, dass 200 000 Menschen in den belagerten Bezirken eingeschlossen sind. Insgesamt sind allein in den Gouvernoraten Taizz und Ibb 600 000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben und zu Binnenflüchtlingen geworden.

Wie geht es den Menschen, die seit Monaten in einem Kriegsgebiet leben müssen?

Luftangriffe und Granatbeschuss gehören zu ihrem täglichen Leben. Wir haben gegen Ende der Mission die Möglichkeit gehabt, mit lokalen Mitarbeitern von Hilfsorganisationen zu sprechen, die in dem Gebiet geblieben sind. Abgesehen von der prekären Versorgungslage berichten sie davon, dass die Menschen traumatisiert sind, vor allem die Kinder. Sie versuchen, psychologische Hilfe anzubieten. Derzeit gibt es eine Kampfpause, aber die Gefechte können jederzeit wieder beginnen. Die UN waren in Taizz vor Ausbruch des Konfliktes präsent. Wir müssen versuchen, die Schulen wieder in Betrieb zu nehmen, das ist der Ort, dort können wir den Kindern am ehesten helfen, aber derzeit funktionieren sie leider nicht.

Ist die Lage in Taizz ein Einzelfall?

Es gibt viele Regionen in Jemen, in denen der Zugang für humanitäre Hilfe schwierig oder unmöglich ist. Wir sprechen von Enklaven mit etwa vier Millionen Menschen, die dringend Hilfe benötigen. Wir hoffen auf das Verständnis beider Seiten und erinnern sie daran, dass wir neutral sind. Wir hoffen, dass wir einen neutralen Mechanismus etablieren können, über den wir Zugang zu den Menschen erhalten. Und wir hoffen, dass der Besuch in Taizz ein Durchbruch dafür war, dass wir Hilfe überall dorthin bringen können, wo sie benötigt wird.

Wie ist die Lage im Rest des Landes?

Auch hier gehören Luftangriffe und Gefechte oft zum täglichen Leben der Menschen. Vielerorts ist die zivile Infrastruktur beschädigt oder zerstört. Alleine mehr als 70 Krankenhäuser landesweit sind Ziel von Angriffen geworden. Wir gehen davon aus, dass etwa 20 der 24 Millionen Einwohner von dem Krieg betroffen sind. Wir versuchen, elf Millionen von ihnen zu erreichen, haben derzeit aber nur Zugang zu acht Millionen. Die Wirtschaftsblockade bleibt ein großes Problem. Selbst wenn wir den nötigen Zugang hätten, können wir nicht alle Menschen mit Hilfe versorgen. Das wird nur gelingen, wenn der Handel wieder beginnt und kommerzielle Anbieter genügend Lebensmittel ins Land bringen können.

Wie viele Menschen sind in diesem Krieg bislang getötet worden? Und wie viele Zivilisten?

Nach unseren Zählungen sind fast 6000 Menschen getötet worden, unter ihnen 2700 Zivilisten. Besonders tragisch ist, dass 800 Kinder ums Leben gekommen sind. Zudem wurden etwa 20 000 Menschen verletzt. Von ihnen sind mehr als ein Viertel Zivilisten und etwa 1100 Kinder.

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