Jemen: Präsident verzichtet auf weitere Amtszeit:Die Macht des Zorns

Einen Tag vor der großen Demonstration in Sanaa versucht Jemens Präsident Salih die Lehren aus den Ereignissen in Tunesien und Ägypten zu ziehen. Doch die Opposition ruft die Stämme aus dem Umland in die Hauptstadt Sanaa.

Rudolph Chimelli

Unter dem Eindruck der Umwälzungen in Ägypten und Tunesien hat der jemenitische Präsident Ali Abdullah Salih am Mittwoch bestätigt, dass er nach Ablauf seiner Amtszeit im übernächsten Jahr kein neues Mandat anstreben werde. Vor einer Sondersitzung des Parlaments sagte Salih: "Keine Verlängerung, keine Erbfolge, kein neuer Terminkalender."

Yemeni President not seeks re-election in 2013

"Ich mache diese Konzessionen im Interesse des Landes, die vor den persönlichen Interessen gehen": Auch der jemenitische Präsident Ali Abdullah Salih reagiert auf den Druck der Straße.

(Foto: dpa)

Mit dieser Formel schloss er auch die Übertragung der Macht an seinen Sohn Ahmed aus, den Kommandeur der Nationalgarde, der vielfach als Nachfolger des Staatschefs gesehen wurde. In der vergangenen Woche hatten Tausende in der Hauptstadt Sanaa für den Rücktritt des Präsidenten demonstriert. Für Donnerstag ist eine neue Kundgebung unter dem aus anderen arabischen Ländern übernommenen Motto "Tag des Zorns" vorgesehen.

"Ich mache diese Konzessionen im Interesse des Landes, die vor den persönlichen Interessen gehen", betonte Salih, der seit 32 Jahren an der Macht ist. Die Opposition forderte er auf, alle Demonstrationen und Proteste abzusagen und sich stattdessen an einer zu bildenden Regierung der nationalen Einheit zu beteiligen. In ihr wird der Opposition unter der Hand ein Drittel der Ministerien angeboten. Zur Sondersitzung des Parlaments wurden auch Stammesführer sowie militärische Kommandeure hinzugezogen.

Die oppositionellen Abgeordneten boykottierten die Sitzung. Die Proteste hatten sich ursprünglich an einer geplanten Verfassungsänderung entzündet, die von Abgeordneten der Regierungspartei Allgemeiner Volkskongress im Parlament eingebracht wurde. Sie sah vor, dass ein Präsident sein Amt auch länger als zwei mal sieben Jahre ausüben dürfe. Eine Aufhebung der bisherigen Beschränkung würde Salih den Weg zu lebenslänglicher Präsidentschaft ebnen.

Obwohl Salih weiß, dass die Volksstimmung nicht günstig für ihn ist, hat ihn das Tempo der revolutionären Vorgänge in den Bruderländern offensichtlich überrascht. Noch am Wochenende hatte er seinen ägyptischen Kollegen Hosni Mubarak angerufen, um ihm zu versichern, der Jemen stehe solidarisch zur Regierung und zum Volk Ägyptens.

Salih wünschte den Ägyptern "Sicherheit, Stabilität und Frieden". Um die Jemeniten zu besänftigen, die wie kein anderes Volk der arabischen Welt unter Elend, Arbeitslosigkeit und Vernachlässigung leiden, hat der Präsident inzwischen weitere soziale Vergünstigungen angekündigt.

Mit Blick auf arbeitslose Akademiker versprach er die Schaffung eines Fonds zur Beschäftigung von Universitätsabsolventen. Ein Viertel von ihnen soll Stellen im öffentlichen Dienst erhalten. Studiengebühren werden für den Rest des akademischen Jahres ausgesetzt.

Prüfungskosten sollen ermäßigt werden. Rund 500.000 Jemeniten, die bisher nicht der Sozialversicherung angehören, sollen in diese aufgenommen werden. Bereits in der vergangenen Woche hatte Salih Steuerermäßigungen und die Erhöhung des Soldes seiner Soldaten um rund 35 Euro monatlich verfügt. Die Loyalität der Truppen ist für ihn angesichts der labilen Lage lebenswichtig.

"Wir haben unsere Lehren daraus gezogen, was in Tunesien geschah und was jetzt gerade in Ägypten passiert", sagt der Sprecher der Regierungspartei, Tarek al-Schami. "Wir arbeiten daran, im Rahmen unserer Möglichkeiten die Forderungen des Volkes besser zu erfüllen." Eine Entwicklung wie in Ägypten oder Tunesien würde freilich nicht nur den Jemen treffen, sondern alle Länder der Region, warnte Schami.

Die Demonstration vom Donnerstag wird ein Gradmesser für die Stärke der Opposition und der nicht organisierten Regimegegner sein. Sie haben Stämme aus dem Umland von Sanaa aufgerufen sich zu beteiligen. Auf der anderen Seite verstärkt das Innenministerium auch auf Nebenstraßen die Kontrollen, um das Einsickern bewaffneter Kräfte zu verhindern. Die Formationen der Opposition sind seit dem Jahre 2002 in einem "Gemeinsamen Parteien-Treffen" zusammengeschlossen. Sein Programm verlangt trotz tiefgreifender ideologischer Unterschiede Sozialreformen, schärferes Vorgehen gegen die Korruption sowie vor allem die Einführung der Verhältniswahl.

Dem Bündnis gehört die Sozialistische Partei an, deren Vorgängerin einst den marxistischen Südjemen vor seiner Zwangsvereinigung mit Salihs Republik regierte. Ein wichtiger Bestandteil ist die Reform-Partei Islah, in der es sowohl radikale Islamisten als auch Demokraten gibt, und die starken Rückhalt bei den Stämmen hat.

Auftrieb für die Seperatisten

Konservative in der Islah sympathisieren mit Salih. Die kleine panarabische Baath-Partei und die Reste der einstigen Gefolgsleute des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser sowie auch eine kleine schiitische Partei der Zaiditen des jemenitischen Nordens haben sich dem Bündnis angeschlossen. Während die Straße verlangt, dass Salih sofort gehen soll, dürfte die Mehrheit der organisierten Opposition mit grundlegenden Reformen zufriedenzustellen sein.

Vor fünf Jahren hatte sich das Regime mit der Opposition auf einen Dialog geeinigt, der als Ziel die Verwandlung der Präsidial-Republik in ein parlamentarisches System mit Verhältniswahl vorsah. Gleichzeitig sollte der Jemen dezentralisiert werden, was den Autonomieforderungen des Südens entgegengekommen wäre. Doch diese Vereinbarungen wurden nie erfüllt. Im Süden wurden seither die separatistischen Stimmungen stärker. Derzeit erhält die Forderung nach Loslösung von Sanaa durch die Teilung des Sudan jenseits des Roten Meeres Auftrieb.

Die Wahl des Parlaments hätte bereits vor zwei Jahren, im Februar 2009, stattfinden sollen. Doch da der nationale Dialog bis dahin nichts bewirkt hatte, wurde sie verschoben. Jetzt sind Parlamentswahlen von der Regierung für 27. April angesetzt worden. Die Opposition protestiert gegen diesen einseitigen Schritt und droht mit Boykott.

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