Jemen:"Eskalation ist Pflicht"

Schwere Explosionen, Schüsse auf Demonstranten und Panzer in den Straßen der Hauptstadt: Trotz monatelanger Massenproteste im Jemen zeichnet sich eine Rückkehr von Präsident Salih aus dem Exil ab. Das Militär will offenbar mit Gewalt gegen die Demonstranten vorgehen. Oppositionelle denken laut über einen Staatsstreich nach.

Frederik Obermaier

Noch ist Jemens Präsident Ali Abdullah Salih im saudischen Exil, doch es mehren sich die Zeichen für eine baldige Rückkehr: Die Armee hat laut Medienberichten am Wochenende 2000 zusätzliche Soldaten in die jemenitische Hauptstadt Sanaa geschickt, die Republikanischen Garden haben Panzer an den Hauptstraßen postiert und die Stadtgrenzen abgeriegelt.

Anti-government protests in Yemen

Acht Monate dauern die Massen-Proteste im Jemen schon an - nun will das Militär offenbar mit Gewalt gegen die Demonstrierenden vorgehen.

(Foto: dpa)

Kein Auto und kein Laster darf mehr nach Sanaa. Explosionen erschüttern immer wieder die Stadt. Fünf Regierungsgegner wurden am Wochenende verletzt, als Unbekannte bei einer Demonstration das Feuer eröffneten.

Zugleich sorgt eine Nachricht aus den Vereinigten Staaten bei den Protestierenden für Unruhe. Die USA werden Präsident Salih nicht an einer Rückkehr in den Jemen hindern, betonte der amerikanische Geheimdienstbeauftragte John Brennan laut einem Bericht der Yemen Post.

Salih lässt sich zurzeit in Saudi-Arabien medizinisch behandeln, nachdem er Anfang Juni bei einem Anschlag schwer verletzt worden war. Viele Demonstranten hatten gehofft, die Vereinigten Staaten und die saudische Regierung würden den seit 33 Jahren amtierenden Präsidenten an einer Rückkehr in seine Heimat hindern, um so den Weg für einen Machtwechsel zu bereiten.

Der US-Geheimdienstbeauftragte Brennan beließ es jedoch bei einer Mahnung an den Autokraten: "Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht glaube, dass es in seinem Interesse, dem Interesse des Landes oder unserem Interesse ist, dass er in den Jemen zurückkehrt", sagte Brennan. Schon jetzt sei das Land ein "Pulverfass". Hunderttausende protestierten am Wochenende in der Hauptstadt Sanaa - die Rede ist von den größten Demonstrationen seit Beginn der Proteste vor acht Monaten.

Die Demonstranten fordern den sofortigen Rücktritt Salihs

Die Menschen auf den Straßen forderten einen sofortigen Rücktritt von Salih. Vorgezogene Neuwahlen, wie der Präsident im saudischen Kurzzeit-Exil sie jüngst angekündigt hatte, sind ihnen nicht genug. Zu oft schon hat Salih Versprechen gemacht, zu oft hat er sie nicht gehalten. Den Kompromissvorschlag des Golfkooperationsrates etwa hat er bis heute nicht unterzeichnet. Er hätte den Präsidenten zum Rücktritt innerhalb von einem Monat gezwungen.

In einem neuen Plan des UN-Sondergesandten für den Jemen, Dschamal Benomar, ist nun sogar von einer sofortigen Übergabe der Macht an Salihs Stellvertreter die Rede. Dies werde erörtert, sagte ein hoher Funktionär der jemenitischen Regierungspartei. Mehr nicht. Gleichzeitig zeigt das zerstrittene Anti-Salih-Bündnis weitere Risse. Sogar von einem gewaltsamen Sturz des 69-jährigen Präsidenten ist mittlerweile die Rede.

Al-Qaida nutzt das Machtvakuum

"Eskalation ist Pflicht, um das Regime schnell zu stürzen", riefen Demonstranten in der Hauptstadt. Zuvor hatte der zu den Regierungsgegnern übergelaufene General Ali Mohsen gedroht, Salih notfalls mit Gewalt zu stürzen. "Wir wissen, dass die Revolution eine militärische Einmischung braucht - und wir werden darauf hinarbeiten", sagte er in einer Videobotschaft.

Anti-government protests in Yemen

Acht Monate dauern die Massen-Proteste im Jemen schon an - nun will das Militär offenbar mit Gewalt gegen Demonstranten vorgehen.

(Foto: dpa)

Gleichzeitig schlichen sich laut Medienberichten etwa 200 schwerbewaffnete Stammeskrieger an den Militärposten vorbei in die Hauptstadt. Es soll sich um Anhänger des einflussreichen Scheichs und Salih-Gegners Hamid al-Ahmar handeln - sie hatten sich bereits im Juni tagelange Straßenschlachten mit der Armee geliefert.

Der Ausbruch neuer Kämpfe scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Das Militär ist bereits in höchster Alarmbereitschaft. "Wir haben Hinweise, dass die oppositionellen Kräfte zu Gewalt anstacheln und Gewalt anwenden werden", zitiert der amerikanische Sender CNN einen hochrangigen Beamten. Das parteiübergreifende Oppositionsbündnis JMP wies dies zurück. "Wir lehnen jegliche Gewalt ab."

Zur großen Sorge der USA nutzt derweil das Terrornetzwerk al-Qaida die Schwäche der Regierung. In der Provinz Abyan hatten die Islamisten vor einigen Wochen die 30.000-Einwohner-Stadt Dschaar (Jaar) erobert. Die Armee versucht derzeit verzweifelt, die Kontrolle über die Stadt zurückzugewinnen. Jemenitische Kampfflugzeuge hätten dabei am Montag das größte Krankenhaus der Stadt angegriffen und vollständig zerstört, sagte ein Augenzeuge. Beim Angriff auf eine Moschee seien sieben Zivilisten getötet worden. In einer Nachbarstadt wurde ein Selbstmordattentäter festgenommen. Er wollte nach eigenen Angaben einen örtlichen Markt in die Luft jagen.

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