Humanitäre Lage:Menschen im Jemen leiden unter Folgen der Kämpfe

Fuel shortage stops rubbish collection forcing Yemenis to clean o

Wegen Treibstoffmangels fahren keine Müllautos mehr, der Müll in den Straßen Sanaas wird deshalb weggetragen.

(Foto: dpa)
  • Die Zivilbevölkerung des Jemen leidet immer stärker unter den Auswirkungen des Krieges.
  • Allein aus der Stadt Sanaa sollen hunderttausend Familien geflohen sein.
  • Die Menschen im Jemen rechnen nicht mit einem schnellen Ende der Kämpfe.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Die von Saudi-Arabien angeführte Militäroffensive Sturm der Entschlossenheit geht bald in die fünfte Woche - eine Ende des Krieges in Jemen oder gar eine politische Lösung des Konflikts ist nicht absehbar. Das Leiden der Zivilbevölkerung allerdings wird Tag für Tag schlimmer.

Sieben Tage ist die Hauptstadt Sanaa nun ohne Strom. Am Sonntag gelang es, einen Dieselgenerator zum Laufen zu bringen. Er liefert manchen Vierteln eine Stunde Elektrizität am Tag, bei einigen Krankenhäusern reicht es für zwei Stunden, wie mehrere Bewohner Sanaas der Süddeutschen Zeitung am Telefon berichteten. Techniker versuchten, die Leitung zum größten Kraftwerk des Landes im östlich von Sanaa gelegenen Gouvernement Marib wiederherzustellen. Viele Impfstoffe und Medikamente sind wegen mangelnder Kühlung aber verdorben.

Gefahr von Seuchen

Auch gibt es weiter kein fließendes Wasser, weil die Pumpen, die es nach Sanaa befördern, keinen Strom haben. Wasser ist deswegen extrem knapp. Der Preis für einen Kubikmeter liegt inzwischen bei umgerechnet mehr als 20 Euro. Die Benzinpreise haben sich verzehnfacht, ein Liter kostet jetzt 6,50 Euro - ein Vermögen für jemenitische Verhältnisse. Auch an Gas zum Kochen mangelt es.

In den Straßen stapeln sich Müllberge, wie die Bewohner am Telefon bestätigten. Die Gefahr wächst, dass Seuchen ausbrechen. 100 000 Familien sollen Sanaa inzwischen verlassen haben, teils aus Angst vor den Bomben. Viele Menschen haben aber auch ihre Arbeit verloren, können ihre Mieten nicht mehr bezahlen.

Wie die Einwohner übereinstimmend erzählten, fliegen die Jets der von Saudi Arabien geführten Koalition täglich Angriffe auf Ziele in der Hauptstadt; am Samstag waren es 20, ein relativ ruhiger Tag. Am Freitag schlugen mehr als 50 Mal Bomben und Raketen ein. Die Bombardements richteten sich überwiegend gegen militärische Einrichtungen, immer wieder würden aber auch zivile Gebiete getroffen, insbesondere wenn die Jets versuchten, Führungspersönlichkeiten der schiitischen Huthi-Miliz zu treffen.

Auch seien zivile Konvois auf den wichtigen Verbindungsstraßen des Landes attackiert worden, offenbar wegen des Verdachts, dass sie Waffen transportieren würden. Während die Vereinten Nationen von mehr als 800 registrierten Toten sprechen, wird die Opferzahl in Jemen mittlerweile auf insgesamt fast 2700 geschätzt - darin inbegriffen sind auch getötete Kämpfer der Huthis, der Stämme und Soldaten.

Schlimmer noch als in Sanaa ist die Lage in Aden, der zweitgrößten Stadt Jemens. Dort liefern sich seit Wochen Huthi-Rebellen und Eliteeinheiten des Militärs, die loyal zu Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh stehen, einem Verbündeten der Huthis, schwere Straßenkämpfe mit Anhängern des nach Saudi-Arabien geflohenen Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi. Beide Seiten verweigern sich lokalen Waffenstillständen, die es erlauben würden, die Wasser- oder Stromversorgung wiederherzustellen. Temperaturen um die 30 Grad verschärfen die Lage zusätzlich.

Auch aus Taizz, der drittgrößten Stadt, wurden am Wochenende schwere Kämpfe mit Dutzenden Toten gemeldet. Die Zahl der Luftangriffe auf Ziele in Taizz und Aden nahm am Wochenende deutlich zu, wie es hieß.

Jemeniten befürchten Andauern des Krieges

Im Gouvernement Hadramaut haben Kämpfer der Terrororganisation al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel sich das Machtvakuum zunutze gemacht und die Hauptstadt der Region, al-Mukalla, sowie einen Flughafen und ein Ölterminal unter ihre Kontrolle gebracht. Das US-Verteidigungsministerium zeigte sich von der Entwicklung besorgt.

Durch den Krieg in Jemen dürfte die dortige al-Qaida-Filiale, die ohnehin schon als schlagkräftigste und gefährlichste gilt, wieder an Stärke gewinnen. Das US-Militär hatte seit 2009 mit Einverständnis Sanaas versucht, mit Drohnenschlägen die Kader der Organisation zu eliminieren; erst am Donnerstag töteten sie bei al-Mukalla Ibrahim al-Rubaish.

Der 35 Jahre alte saudische Staatsbürger galt als einer der Chefideologen der Qaida in Jemen und trat als ihr Sprecher auf. Es war der erste solche Angriff, nachdem vor sechs Wochen die letzten US-Soldaten Jemen wegen des Huthi-Vormarsches verlassen hatten.

Präsident Hadi ohne Machtbasis

Saudi-Arabien erklärte sich bereit, die gesamte von den UN für humanitäre Hilfe in Jemen geforderte Summe von 274 Millionen Dollar bereitzustellen. Ein Ende der Angriffe schloss Riad aber zunächst aus und wies einen Friedensplan Irans zurück. Die sunnitischen Golfstaaten beschuldigen den schiitischen Iran, er bewaffne und unterstütze die Huthis, ebenfalls Schiiten, um aus Jemen einen Vasallenstaat zu machen.

Unabhängige Experten und westliche Diplomaten sprechen von politischer Unterstützung Teherans für die Huthis, die USA warfen Iran auch Waffenlieferungen vor. Allerdings stellen die meisten unabhängigen Quellen in Abrede, dass der Aufstand in Jemen und der Vormarsch der Huthis von Iran gesteuert wird.

Präsident Hadi, dessen Wiedereinsetzung das erklärte Ziel der Offensive ist, verfügt in Jemen über keine Machtbasis mehr. Als möglicher Nachfolger gilt Khalid Bahah, der letzte Premier und eine für alle Parteien akzeptable Figur. Ihn hat Hadi jüngst zu seinem Stellvertreter ernannt. Mit zunehmender Dauer der Offensive schließen sich aber immer mehr Freiwillige den Huthis an, um Ruhe und Ordnung im Land wiederherzustellen - auch wenn sie deren politische Ziele nicht teilen.

Eine Bodenoffensive, über die wieder spekuliert wird, seit Saudi-Arabien und Ägypten ein Großmanöver angekündigt haben, würde wohl auf entschiedenen Widerstand in Jemen stoßen und zu verlustreichen Gefechten führen. Weil aber beide Seiten offenbar davon ausgehen, dass die Zeit für sie spielt und sie ihre Ausgangsposition für mögliche Verhandlungen verbessern wollen, fürchten die Jemeniten, dass der Krieg fürs Erste weitergehen wird.

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