Japan:"Wie im Kalten Krieg"

Gegen den Willen der eigenen Bevölkerung hat Japans Parlament eine neue Militärdoktrin verabschiedet. Tokios Nachbarstaaten protestieren.

Der japanischen Regierung schlägt nach der Verabschiedung einer neuen Gesetzgebung für Militäreinsätze scharfe Kritik aus der eigenen Bevölkerung und seinen Nachbarländern entgegen. Das Parlament in Tokio hatte am Samstag eine Abkehr von der zurückhaltenden Nachkriegspolitik des Landes beschlossen und den Weg frei gemacht für Kampfeinsätze im Ausland. Damit kann Japan sich künftig auf ein "Recht zur kollektiven Selbstverteidigung" berufen und in Konflikten an der Seite von Verbündeten im Ausland kämpfen - selbst wenn es nicht direkt angegriffen wurde, aber wenn seine Sicherheit bedroht ist und alle "friedfertigen Optionen" ausgeschöpft wurden. Wie schon in den Monaten zuvor kam besonders scharfe Kritik an der neuen Politik aus China. Das Verteidigungsministerium in Peking warf Japan eine "Mentalität wie im Kalten Krieg" vor. Südkorea rief in moderaterem Ton Japan dazu auf, sich weiter dem Geist der pazifistischen Nachkriegsverfassung verpflichtet zu fühlen. Japan müsse sich transparent verhalten und zur Stabilität in der Region beitragen, erklärte das Außenministerium in Seoul. Die umstrittene Reform ist der größte Kurswechsel in der japanischen Verteidigungspolitik seit dem Wiederaufbau der Armee 1954. Zwar hatten bereits frühere Regierungen moderate Neu-Interpretationen der ursprünglich pazifistisch angelegten Verfassung zugelassen. Erstmals wird nun aber die Anwendung von Gewalt auch für andere Fälle als die Landesverteidigung erlaubt. In den neuen Gesetzen wird ein Recht auf "kollektive Selbstverteidigung" zugestanden, um Bündnispartner zu unterstützen, wenn sie angegriffen werden. Dies gilt auch für den Fall, dass Japan selbst nicht attackiert wird.

Der japanische Regierungschef Shinzo Abe begründete die neue Sicherheitspolitik unter anderem mit den neuen Kräfteverhältnissen in der Region. Das neue Gesetz sei nötig, um die japanischen Bürger zu schützen und Kriege zu verhindern, sagte er. Auch die Beschränkungen für UN-Friedenseinsätze sollen gelockert werden. Zudem kann die logistische Militärhilfe für Verbündete ausgeweitet werden. Frühere Regierungen hatten die Grenzen der Verfassung für Militäreinsätze bereits ausgeweitet. Es wurden auch schon japanische Soldaten ins Ausland geschickt, wenn es nicht um Kampfeinsätze ging. Rechtlich sind den Streitkräften aber nach wie vor große Schranken gesetzt. Die japanische Verfassung war nach 1945 von der Siegermacht USA entworfen worden. Die Regierung in Washington begrüßte nun die Reform.

Sie hatte Abe über Jahre zu einer Reform gedrängt. Eine Mehrheit der Japaner lehnt laut Umfragen die Sicherheitsreform ab. In den vergangenen Wochen war es fast täglich zu Massenprotesten gegen die neue Militärdoktrin gekommen, die auch mit Protesten gegen die USA verbunden wurden. Mit allen Mitteln, darunter einer Serie von Misstrauensanträgen gegen Abes Kabinett, versuchte das Oppositionslager bis zur letzten Minute, die Parlamentsabstimmung zu verhindern. Darüber kam es sogar zu Handgreiflichkeiten mit Politikern des Regierungslagers.

"Ihr versucht, das Volk zu täuschen, und das Volk hat es gemerkt. Deswegen sind die Menschen dagegen," rief der Oppositionsabgeordnete Tetsuro Fukuyama in einer leidenschaftlichen Rede. Das "gewaltsame" Durchpeitschen der umstrittenen Gesetze sei ein eklatanter Verstoß gegen die pazifistische Nachkriegsverfassung, schrie er den Tränen nah. Im kommenden Jahr stehen in Japan Wahlen zum Oberhaus des Parlaments an. Abe sagte, er werde sich weiter bemühen, dem Volk die Notwendigkeit der neuen Sicherheitsgesetze zu erläutern.

Seine Zustimmungwerte sinken.

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