Japan:Ungewohnt scharfe Töne

High school students pose for photos with a cardboard Instagram frame calling on youths to vote in the July 10 upper house election, in Tokyo

Wahlwerbung analog: Jugendliche in Tokio im Instagram-Rahmen aus Pappe fordern ihre Altersgenossen auf, ihre Stimme abzugeben.

(Foto: Toru Hanai/Reuters)

Vor der Oberhaus-Wahl dominiert die Partei des Premiers. Nur in der Präfektur Yamagata könnte eine kämpferische Linke siegen.

Von Christoph Neidhart, Murayama

Premier Shinzo Abe höre nicht auf die Menschen, schimpft Yasue Funayama. Er habe Militärgesetze durchgesetzt, "die die Leute nicht wollten", weil sie die Sicherheit Japans und den Frieden gefährdeten. Er wolle die Verfassung ändern, "was das Volk nicht will". Vor allem aber wolle er die TPP, die Transpazifische Partnerschaft, eine Freihandelszone mehrerer Pazifik-Anrainerstaaten, mit "Lügen" durchs Parlament peitschen. Das sind für Japan ungewohnt scharfe Töne.

Am Sonntag wählt Japan die Hälfte seiner Oberhaus-Abgeordneten neu. Die 50-jährige Agronomin Funayama kandidiert als Unabhängige, sie saß schon einmal in der Kleinen Kammer, damals für die Demokratische Partei (DP). 2013 verlor sie ihren Sitz an Abes Liberaldemokraten (LDP). Da hatte sie die DP bereits verlassen und mit drei anderen Parlamentarierinnen eine Frauenpartei für "Öko-Sozialismus, Umweltschutz und gegen die TPP" gegründet, den "Grünen Wind". Der verpuffte jedoch nach nur einem Jahr.

Yamagata ist tiefste Provinz, zehn Prozent der Wähler sind hier noch Bauern. Die Jungen wandern ab, nur wenige Präfekturen sind so stark überaltert. Und eigentlich ist Yamagata stramm konservativ. Obwohl von Tokio vernachlässigt, hatte Abes LDP Yamagata meist in der Tasche, wie andere Landpräfekturen auch. "Nicht wegen ihrer Politik oder weil sie die richtigen Argumente hätte", so der Politologe Steven Reed von der Chuo Universität, "sondern weil sie die Partei an der Macht ist."

Wenn Schüler in Tokio Japans 46 Präfekturen aufzählen sollen, gehört Yamagata zu jenen, die sie oft vergessen. Im Norden der Hauptinsel Honshu gelegen, hat Yamagata kein Profi-Baseball-Team und kaum Touristenattraktionen, kommt also selten im Fernsehen vor. 2011 haben die Berge Yamagata, obwohl es an Fukushima grenzt, gegen die Atomkatastrophe abgeschirmt.

Ausgerechnet in diesem Yamagata, einem Einerwahlkreis, bewirbt sich mit Funayama eine Frau und Linke um das Oberhausmandat. Umfragen zufolge wird sie gewinnen. Sie hat die Demokratie in Yamagata belebt. 450 Leute sind gekommen, Angestellte in schwarzen Anzügen, Bauern in frisch gebügelten bunten Hemden, auch einige Frauen und Junge, um ihr im Kulturzentrum der Stadt Murayama zuzuhören. Abe gehe überhaupt nicht auf Argumente ein, kritisiert sie. Zwischenrufer feuern sie an, besonders, als sie über die TPP herzieht. Der Pakt gefährde Japans Gesundheitssystem und bedrohe die Existenz der Bauern.

Anfang Juli ist es warm und feucht in Yamagata, ideal für den Reisanbau. Außerdem züchten die hiesigen Bauern Rinder und produzieren hellrote Kirschen. Letztere werden zur Zeit geerntet. Direkt vom Bauern kostet das Kilo 17 Euro, im Supermarkt das Doppelte. Schwarze Kirschen aus dem US-Bundesstaat Washington sind trotz Zoll und Luftfracht schon heute billiger. Auf Reis erhebt Tokio 730 Prozent Zoll, um seine Bauern gegen Importe abzuschirmen. Kein Wunder, dass diese die TPP fürchten, vor allem die Abschaffung der Zölle. Sie müssten ihre Landwirtschaft von Grund auf umstrukturieren. Viele sagen, sie seien dazu zu alt - Japans Bauern sind im Schnitt 67 Jahre alt.

Yamagatas Landwirtschaftskooperative war stets ein treuer Stimmensammler der LDP. Bei Funayamas Wahlabend hingegen wettert ihr Vertreter gegen die TPP. Gleichwohl hat die Kooperative nur Stimmfreigabe ausgegeben. Sie wollte es sich nicht offiziell mit Abe verderben, heißt es. Funayama sagt, selbst viele LDP-Politiker seien "resolut gegen die TPP", wagten es aber nicht, das offen zu sagen.

Shinzo Abe erfreut sich hoher Akzeptanz, seine Politik lehnen die meisten Japaner aber ab

Abe habe seine Partei gleichgeschaltet wie kein Nachkriegs-Premier vor ihm, bestätigt Steven Reed. Er brachte nicht nur TPP-Gegner in der Partei, sondern auch Kritiker der Atomkraft zum Verstummen. Fünf Jahre nach Fukushima ist die Atomenergie in Japan kein Wahlkampfthema.

Nach dem Willen Abes gibt es überhaupt kaum Wahlkampfthemen. Er und seine Regierung erfreuen sich einer hohen Akzeptanz, aber jede seiner politischen Initiativen wird von einer Mehrheit der Japaner abgelehnt. Diesem Paradox trägt er im Wahlkampf Rechnung, indem er alle kontroversen Themen meidet. Auch die Verfassungsänderung, um die er sich seit Jahren bemüht. Er will vor allem den Friedensparagrafen abschaffen, der Japan zum Pazifismus verpflichtet. Zwei Drittel der Japaner dagegen wollen an ihm festhalten.

Kritiker befürchten, Abe werde seine Landsleute, falls er die nötige Mehrheit erreiche, nach der Wahl mit einer Verfassungsänderung überrumpeln. Er gebe im Wahlkampf den selbstbewussten Staatsmann, behaupte, seine Wirtschaftsreformen seien gelungen, obwohl zwei Drittel der Japaner davon nichts spüren, analysiert Reed. Ansonsten halte er den Wahlkampf absichtlich inhaltslos.

Funayama wird in Yamagata gewinnen, weil es der Opposition erstmals gelungen ist, sich in den 32 Einerwahlkreisen auf den jeweils aussichtsreichsten Kandidaten zu einigen. Aber sie bleibt eine Ausnahme. Nach den jüngsten Umfragen dürfte Abes LDP die Wahl klar für sich entscheiden. Sie könnte im Oberhaus sogar erstmals seit 27 Jahren eine alleinige Mehrheit erreichen. Allerdings sind 40 Prozent der Wähler noch unentschieden.

Auf der Wahlveranstaltung von Kaoru Tsukino, Funayamas Gegenkandidat, der Yamagata für die LDP retten soll, ruft niemand dazwischen. Tsukino, ein Landwirtschaftsfunktionär, verspricht, die TPP werde den Bauern und der Industrie von Yamagata neue Märkte öffnen, zum Beispiel Singapur - für ihre teuren Kirschen. Die Leute klatschen brav.

Am Ende seiner Rede wirft sich Tsukino zum Kotau auf den Boden. Japans Demokratie ist oft vor allem eine Inszenierung.

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