Japan und sein Kaiser:Ein Symbol tritt ab

Nippons 82-jähriger Monarch ist müde, er will aufhören. Das stößt in Japan nicht nur auf Verständnis. Der Kaiser ist ein wichtiger Teil des Status quo, und viele Menschen fürchten nichts mehr als Veränderung.

Von Christoph Neidhart

Kaiser Akihito ist müde. Er sei mit mehr als 80 Jahren zwar noch gesund, erklärte er den Japanern nun in einer Videobotschaft, aber seine Kräfte ließen nach; es falle ihm zusehends schwerer, seine Pflichten als "Symbol der japanischen Nation" zu erfüllen. Deshalb möchte der 82-jährige Monarch zurücktreten. Mit diesem menschlich sehr verständlichen Wunsch schubst der sanfte Akihito den japanischen Staat in eine Identitätskrise, zumal der Kaiser nach den geltenden Gesetzen gar nicht zurücktreten darf.

Jahrhundertelang war Japans Kaiser nur das Oberhaupt der Shinto-Religion, ein Gottkönig ohne weltliche Befugnisse. Er lebte in Kyoto, isoliert von Alltag und Politik, seine Aufgaben beschränkten sich auf religiöse Zeremonien. Die Macht lag in den Händen des Shogun, eines erblichen Militärdiktators. Erst die sogenannte Meiji-Restauration 1867, die rasante Öffnung und Modernisierung Japans, machte den Tenno zum Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Armee (sehr viel früher, im Mittelalter und noch davor, übte der Kaiser zeitweise auch Kommandofunktionen aus).

Gleichwohl blieb der Kaiser nach den Reformen offiziell ein Gott. Gewissermaßen als göttlicher Oberbefehlshaber führte Hirohito, der Vater des jetzigen Kaisers, Nippon in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. Tokios Generäle schickten Millionen Soldaten für ihn in den Tod; Japans Kriegsgräuel geschahen in seinem Namen. Wie viel Hirohito wirklich davon wusste und guthieß, ist bis heute nicht ganz geklärt.

Nach der Kapitulation 1945 zwangen die USA Japan dazu, die Rolle seines Kaisers erneut umzudefinieren. Hirohito durfte kein Gott mehr sein, als Mensch und konstitutioneller Monarch sollte er aber das Symbol Japans bleiben. Hirohitos Sohn Akihito hat seit seiner Inthronisierung 1989 die Nähe zum Volk gesucht. Mit Kaiserin Michiko besuchte er die Menschen, immer wieder auch notleidende, den Fukushima-Flüchtlingen sprach er Mut und Trost zu. Obwohl er sich politisch nicht äußern darf, ließ er seine Sympathie für die Kritiker der Kernkraft erkennen. Im Ausland hat er mehr zur Heilung der Wunden beigetragen, die Japan mit seinen Aggressionskriegen verursachte, als alle Politiker Japans zusammen.

Die Amerikaner schafften 1945 auch den Adel ab und mit ihm alle Nebenlinien des Kaiserhauses. Die kaiserliche Familie hat nur noch 20 Mitglieder; weil nur Männer den Thron besteigen dürfen, gibt es nur drei Anwärter: Kronprinz Naruhito, seinen Bruder Akishino und dessen Sohn, den zehnjährigen Hisahito. Damit ist der Fortbestand der nach offizieller Lesart ununterbrochenen dynastischen Linie von 125 Generationen gefährdet. Schon deshalb zögert die Regierung, dem Kaiser den Rücktritt gesetzlich zu ermöglichen.

General Douglas MacArthur, der Oberbefehlshaber der US-Besatzer, hat Japan demokratische Strukturen aufgezwungen. Dies erlaubte dem Land, beschützt und geführt von Washington, einen raschen Wiederaufbau als Verbündeter der USA. So wurde Nippon zur derzeit drittgrößten Wirtschaftsmacht. Indes klammert sich Tokio an diese Nachkriegsordnung. Allerdings haben weder MacArthur noch die Japaner weiter in die Zukunft gedacht - bis heute scheut man dies.

Nippons Elite fürchtet nichts so sehr wie Veränderungen

Als der damalige Premier Yukio Hatoyama 2009 über eine ostasiatische Gemeinschaft nach dem Modell der EU zu reden begann, läuteten in Tokio und in Washington die Alarmglocken. Die Nationalisten um den heutigen Premier Shinzo Abe, die Japan inzwischen wieder regieren, träumen im Gegenteil von einer Rückkehr zur Gesellschaftsordnung der Vorkriegszeit, wie der Premier sie in seinem Buch "Schönes Land" beschworen hat. Einerseits wissen sie, dass dies nicht möglich ist. Andererseits verkünden sie, sie wollten sich "aus der Bevormundung durch Washington lösen". Aber gerade Abe sucht noch mehr Nähe zu den USA, auch militärisch.

Japans Eliten haben seit dem Ende des Kalten Krieges - und dem gleichzeitigen Einbruch der Wirtschaft - nie ernsthaft über eine neue geopolitische Zukunft mit dem erstarkten China und einem schwächer werdenden Amerika nachgedacht. Man klammert sich viel mehr an einen immer prekärer werdenden Status quo.

Ein Rücktritt von Kaiser Akihito hätte keinen Einfluss auf die Politik. 84 Prozent der Japaner gönnen dem Tenno den Ruhestand, vielen Jüngeren ist er egal. Manche halten die strengen Regeln des Hofes für überholt. Zudem dürfte Kronprinz Naruhito ein ebenso liebenswürdiger "Kaiser des Volkes" werden wie sein Vater. Doch die Reaktionen auf Akihitos Rücktrittsabsicht haben gezeigt, wie sehr Japans Politik Veränderungen fürchtet, wie wenig sie auf die Zukunft vorbereitet ist.

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