Japan: Fukushima und die Atomlobby:Schmieren, lügen, tricksen

Schmiergeldzahlungen an Wissenschaftler, Beamte und Politiker, Großanzeigen in den Medien: Jahrzehntelang konnte Japans Atomlobby Politik und Gesellschaft korrumpieren. Die Katastrophe von Fukushima-1 hat daran wenig geändert - allerdings bröckelt die Mauer des Schweigens. Das zeigt das Beispiel eines Schauspielers, der seine Serienrolle verlor, als er sich gegen Kernkraft aussprach.

Christoph Neidhart

In Japan ist es kein Geheimnis mehr, dass die Atomlobby Wissenschaftler, Beamte, Politiker und Medien gekauft hat, um die Zustimmung der Bevölkerung zur Kernkraft zu gewinnen. Doch jüngst sind noch mehr von ihren schmutzigen Tricks enthüllt worden: So wurde bekannt, dass über viele Jahre hinweg fast drei Viertel aller legalen Spenden, welche die lange regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) von Privaten erhielt, von den Top-Managern der AKW-Betreiber kamen.

Japan: Fukushima und die Atomlobby: Entschuldigen und immer wieder verbeugen: Der Vorstand des japanischen Energiekonzerns Tepco bei einer Pressekonferenz. Doch auch nach der Katastrophe von Fukushima versucht es die japanische Atomlobby mit den alten Tricks.

Entschuldigen und immer wieder verbeugen: Der Vorstand des japanischen Energiekonzerns Tepco bei einer Pressekonferenz. Doch auch nach der Katastrophe von Fukushima versucht es die japanische Atomlobby mit den alten Tricks.

(Foto: AFP)

Unternehmen dürfen in Japan nicht an Parteien spenden. Doch die Spitzenleute der Elektrizitätswerke zahlten jedes Jahr, und zwar alle gleichzeitig im Dezember - und unabhängig vom Unternehmen je nach ihrem Rang in der Hierarchie den gleichen Betrag. Die LDP hatte Japans Energiepolitik jahrzehntelang einseitig auf Atomenergie ausgerichtet.

Von der Tageszeitung Mainichi Shimbun, die ursprünglich gegen die Atomkraft eintrat, ist dokumentiert, wie sie sich für ihren Seitenwechsel mit Anzeigen-Großaufträgen belohnen ließ. Willfährige Redakteure der großen japanischen Zeitungen erhielten Einladungen, zum Beispiel bei Tepco, dem Betreiber der havarierten Meiler, großzügig honorierte Vorträge zu halten. Und es gab andere Geschenke: Während in Fukushima die Reaktorkerne schmolzen, reiste Tepco-Präsident Tsunehisa Katsumata durch China - eine Delegation leitender japanischer Medienleute im Schlepptau.

Inzwischen sind drei Viertel der Japaner dafür, schrittweise aus der Atomenergie auszusteigen; eine Minderheit will die Kraftwerke sogar sofort abschalten. Aber die meisten Politiker sind noch nicht bereit, ihre Freunde bei Tepco und den andern Stromversorgern im Stich zu lassen. Und auch manche Medien versuchen es weiter mit den alten Tricks. Fukushima hat daran wenig geändert.

Doch blamieren sich Atommanager und Medien inzwischen immer öfter, wie das Beispiel des Schauspielers Taro Yamamoto zeigt. Er ist ein Star. Mit seinen 37 Jahren noch immer bubenhaft und ein Filou, hat er sich in mehr als 80 Kino- und Fernsehfilmen in die Herzen der Japanerinnen gespielt. Die Medien registrieren hier normalerweise von Prominenten wie ihm jede Bewegung - vor allem wenn die Berühmtheiten in Schwierigkeiten geraten. Vor zwei Jahren etwa jagten Polizei und Medien die Schauspielerin Noriko Sakai gemeinsam wie eine Schwerverbrecherin. Sie hatte ein paar Mal Amphetamine genommen und sich vorübergehend in ein Ferienhaus verkrochen.

Doch als Yamamoto Mitte Mai aus der Besetzung einer geplanten Fernsehserie geworfen wurde, schwiegen Zeitungen und Fernsehen. Seine Agentur, Shisu Management, dankte ihm bloß, dass er die Zusammenarbeit mit ihr beendet habe, "um ihr weitere Schwierigkeiten zu ersparen", wie es in einer Erklärung hieß. Yamamotos Vergehen: Unter dem Eindruck von Fukushima hat er sich gegen die Kernkraft ausgesprochen. Erst äußerte er sich nur auf dem Internetnachrichtendienst Twitter, seit er seine Rolle verloren hat, tritt er auch bei Demonstrationen auf. Jüngst war er der Stargast bei einem Treffen der "Mütter zum Schutz der Kinder vor Radioaktivität".

Als Demonstranten jüngst den Sitz des Gouverneurs der Präfektur Saga auf der Hauptinsel Kyushu stürmten, war Yamamoto ganz vorne dabei. Die Demonstranten, unter ihnen Flüchtlinge aus Fukushima, protestierten gegen Kyushu Electric. Der Atomkraftwerk-Betreiber hatte mit gezinkten Massen-E-Mails versucht, während einer Fernsehdebatte den Eindruck vorzutäuschen, die Bevölkerung unterstütze die Kernkraft. Yamamoto sagte, die Atomlobby habe die Japaner über Fernsehen und Zeitungen einer Gehirnwäsche unterzogen. "Jetzt verteidigen sie ihre Interessen, und es ist ihnen todernst." Die Regierung sagt zwar, sie bemühe sich um Transparenz, sucht aber gleichzeitig eine PR-Firma, die in ihrem Auftrag "schädlichen Gerüchte" über die Atomkraft entgegentreten soll.

Doch die Wand des Schweigens von Atomlobby und Medien bröckelt. Über das Handgemenge vor der Präfektur in Saga gab es durchaus Berichte, und einige Fans haben vielleicht nur vom E-Mail-Skandal erfahren, weil Yamamoto davon sprach. Nun ruft er zum nationalen Referendum über die Kernkraft auf. Außerdem zeigt er seinen Charme im Fernsehen inzwischen in den Werbeblöcken: Er wirbt für Energiespar-Vorhänge.

Das Rechtsaußen-Blatt Sankei unterstellt ihm, er bereite einen Wechsel in die Politik vor. Und einige Leute aus dem Showgeschäft behaupten, er treibe ein abgekartetes Spiel; ihm sei gar keine Rolle entzogen worden. Seine Anhänger vermuten dahinter eine Schmierenkampagne. Weil die Atomlobby ihre Kritiker bisher erfolgreich mundtot gemacht hat, trauen ihr viele Japaner nun auch das zu.

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