Jamaika-Verhandlungen:Die Sondierer wandeln scharf am Abgrund

In den Hauptstreitpunkten sind Grüne, FDP und Union auch nach einer langen Nacht keinen Schritt weiter. Der Machtkampf in der CSU belastet die Gespräche. Rücken Neuwahlen näher?

Von Stefan Braun, Berlin

Wolfgang Kubicki ist oft ein großer Spieler und manchmal ein feiner Seismograf für die politische Stimmung. Als die Sondierer sich am frühen Morgen trennen, entfährt dem Liberalen: "Ich bin schwer frustiert!" Auch nach vier Wochen sei es nicht gelungen, Vertrauen aufzubauen. Ja, die Fronten hätten sich zuletzt sogar wieder verhärtet. Jetzt müsse es allen gelingen, diese Verhärtungen aufzulösen. Und um das zu schaffen, werde er erst duschen gehen und danach versuchen, im Fernsehen "Optimismus zu verbreiten". Im Übrigen sei für ihn nur eines klar: "Wir sind nicht diejenigen, die aufstehen werden."

Kürzer hätte niemand die Lage zusammenfassen können. Frustriert, verhärtet, zwangsoptimistisch - das sind so gut wie alle. Nur eines verbindet die vier Parteien auf dramatische Weise: Keine will diejenige sein, die am Ende Nein ruft.

Das ist inzwischen das wichtigste Bindeglied geworden: Bloß nicht zum Buhmann, zum Zerstörer der Jamaika-Chance werden. Ansonsten sind alle Beteiligten dort, wo sie nicht sein wollten: am Abgrund. Weder beim Klima noch bei den Flüchtlingen und auch nicht beim Geld sind sie in der Lage, zusammenzufinden. Die Fronten sind nicht immer die gleichen. An der Kompromisslosigkeit mancher Akteure ändert das aber wenig.

Flüchtlinge

Es ist gekommen, wie man befürchten musste: Das Thema spaltet noch immer. Wie zu hören ist, sind es nicht die Grünen, die dabei komplett kompromisslos auftreten. Die CSU scheint vielmehr in dieser Frage keinen Millimeter zu weichen. Sie will alles, was sie fordert und geht auch auf Zugeständnisse und Vermittlungsversuche nicht ein. Kein Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige und dazu eine harte Obergrenze. Es ist offenkundig die Trophäe, mit der die meisten CSUler heimfahren möchten.

Die Grünen dagegen haben offenbar signalisiert, dass sie für ein Ja zum Familiennachzug an anderen Stellen zu Zugeständnissen bereit wären. Das gilt für die Ausweitung der Zahl sicherer Herkunftsländer, es gilt für die Schaffung von mehr Aufnahme- und Abschiebezentren, in denen schneller als bisher über Asylanträge entschieden werden könnte. Und es gilt sogar für die Bereitschaft, eine Art Richtwert für die jährliche Aufnahme zu akzeptieren. Nur eines wollen die Grünen nicht: dass am klassischen individuellen Asylrecht geschraubt wird. Deshalb würde eine absolut fixe, festgeschriebene Höchstgrenze nicht gehen. Sonst wäre Artikel 16 des Grundgesetzes für sie endgültig nicht mehr das, was er sein soll.

Über dieses individuelle Asylrecht freilich sind in den vergangenen Jahren die wenigsten Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Die meisten sind hier auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention. Und viele gerade aus den Bürgerkriegsländern Syrien und Irak genießen nur einen subsidiären Schutz auf Zeit. Deshalb wäre mittels eines Richtwerts vieles zu lösen; die FDP hatte einen Spielraum von 150 000 bis 250 000 angeboten.

Die CSU sagt gleichwohl Nein. Und das, obwohl selbst das unionsinterne Einigungspapier nicht die radikale Eindeutigkeit aufweist, die die CSU jetzt fordert. Das weckt bei immer mehr Leuten den Verdacht, dass Horst Seehofer nicht mehr alleine Herr im Hause CSU ist. Er hatte sich in den unionsinternen Gesprächen mit einem weicheren Kompromiss zufriedengegeben. Der neue CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt aber gibt den Hardliner. Dahinter steht vielleicht die Strategie, die Grünen so lange zu provozieren, bis sie frustriert ablehnen. Auf alle Fälle aber möchte Dobrindt damit beweisen, dass er mindestens ein so harter Hund ist wie Markus Söder, der seit Monaten alles tut, um Seehofers Nachfolger zu werden. So gefährdet ein bayerischer Machtkampf die Zukunft der deutschen Regierung. Wie angespannt die Lage in der CSU ist, zeigte sich in der Nacht ziemlich deutlich. Mittendrin benötigte sie fast zwei Stunden ganz für sich alleine. Und dabei geht es nicht nur um Dobrindt und Seehofer. Auch Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer spielt in den internen Debatten eine Rolle. Öffentlich tritt er kaum auf, intern aber vertritt er eine Linie, die mindestens so hart ist wie die von Dobrindt.

Klima

Nicht viel besser sieht es beim Streit ums Klima aus. Die Grünen wollen einen klaren Beschluss, dass die nächste Regierung die selbstgesteckten Klimaziele nicht nur erreichen will, sondern das mit unbestreitbaren Beschlüssen untermauert. Dabei gibt es heftigen Streit darüber, wie viel bis 2020 an CO₂-Emissionen eingespart werden müsste. Union und FDP behaupten, es müssten zwischen 36 und 62 Millionen Tonnen an CO₂ sein; die Grünen sprechen von 90 bis 120 Millionen Tonnen. Man liegt weit auseinander.

Noch komplizierter wird alles, weil Union und FDP sich beim Verkehr gegen jede Änderung stemmen, die CO₂-Einsparungen möglich machen würde. Tatsächlich gäbe es bei der Kohle mehr Spielraum, wären Union und FDP bereit, aus einer Mineralölsteuer eine CO₂-Steuer zu machen. Die Grünen jedenfalls hoffen, dass eine solche Besteuerung viele Autofahrer zum sparsamen Fahren anregen würde.

Dagegen aber wehren sich Union und FDP strikt. Also konzentriert sich alles auf die Braunkohle und die Forderung der Grünen, dort entsprechend harte Einschnitte vorzunehmen. Der Widerstand dagegen kommt vor allem von den Christdemokraten, namentlich von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und seinen Kollegen in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Hier wie dort gibt es noch Braunkohlereviere, die um ihre Zukunft fürchten. Die CSU hätte dagegen kein Problem; in Bayern gibt es fast keine Braunkohlekraftwerke. Allerdings argumentiert sie wie die FDP mit der Versorgungssicherheit. Beide erklären, dass man nichts abschalten dürfe, wenn man Gefahr laufe, in energieknappen Zeiten Strom aus den EU-Nachbarstaaten importieren zu müssen.

Finanzen

Das Geld bleibt das dritte große Problem. Aber das ist alles andere als überraschend. Noch in jeder Koalition macht sich schlussendlich alles an den Finanzen fest. Wie viel steht für dieses und für jenes zur Verfügung, die Frage stellt sich immer. In diesem Fall geht es um Familienförderung, um Investitionen in Schulen und Digitalisierung, um mehr Geld für Pflegeberufe, dazu mögliche Ausgleichsfonds für Menschen, die noch in der Braunkohlegewinnung arbeiten. Vor allem aber geht es um die Abschaffung des Solidaritätszuschlages. Und weil die FDP das zu ihrem allerwichtigsten Thema gemacht hat, will sie erreichen, dass die Legislaturperiode mit dem Ende des Soli ausklingt.

Für alle anderen freilich ist das eine Provokation. Nach groben Rechnungen würde das bis zu 80 Milliarden Euro verschlingen und alle anderen Ideen weitgehend unmöglich machen. Kein Wunder, dass auch hier der Streit heftig bleibt und zuallerletzt gelöst werden müsste.

Und jetzt?

Es wird also weiter gestritten und gerungen. Und dabei ist fürs Erste offen, ob das bis Freitagabend, bis Samstag oder sogar bis Sonntag so weitergeht. Zwei Dinge sind aber schon jetzt klar: Zum einen gibt es starke Kräfte, die diese Koalitionsoption nicht scheitern lassen wollen. Deshalb bleiben sie sitzen, obwohl sie massiv provoziert werden. Und deshalb sind auch Neuwahlen in der vergangenen Nacht - noch - nicht näher gekommen.

Zum anderen aber ist bislang so wenig an echtem Vertrauen und Gemeinsinn gewachsen, dass sich längst die Frage aufdrängt, wie diese Parteien wohl miteinander umgehen, wenn von außen eine Krise auftritt. Krisenfest ist dieses Quartett noch lange nicht.

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