Jamaika-Koalition:Dieser Weg wird kein leichter sein

Noch nie gab es eine Koalition aus Union, FDP und Grünen im Bund. Kann das klappen? Die SZ gibt einen Überblick über die heiklen Punkte möglicher Sondierungen.

Von Hannah Beitzer, Stefan Braun und Jakob Schulz, Berlin

Jamaika-Fahne vor Reichstag

Eine Jamaika-Koalition im Bundestag gilt derzeit als wahrscheinlich – doch alle vier beteiligten Parteien müssten dafür Zugeständnisse machen.

(Foto: Peter Endig/dpa)

Eine Koalition zu schmieden, das geht selten einfach. Und es wird noch schwieriger, wenn sich Parteien zusammenschließen sollen, die im Bund noch nie zusammengearbeitet haben. Vor dem Beginn der Sondierungsgespräche für eine sogenannte Jamaika-Koalition geht es für Union, FDP und Grüne darum, zunächst den richtigen Ton zu treffen. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, der in Schleswig-Holstein Erfahrungen mit einer Jamaika-Koalition gesammelt hat, mahnt, man dürfe die anderen "nicht über den Tisch ziehen oder desavouieren". Und zur wichtigsten vertrauensbildenden Maßnahme gehöre "zu verstehen, wo die Schmerzgrenzen der jeweils anderen liegen". Diese dürfe man nicht überschreiten, sonst gebe es keine Basis für eine Zusammenarbeit. Wo liegen diese Grenzen? Und an welcher Stelle sind Probleme trotzdem lösbar? Ein Überblick.

Schmerzgrenzen der CSU

Der größte Schmerzpunkt der CSU ist auch der wohl komplizierteste Aspekt in den Verhandlungen: Wer vorneweg die von der CSU geforderte Obergrenze für Flüchtlinge attackiert, spielt mit dem Feuer und verschwendet seine Kräfte - den Verzicht auf eine Obergrenze zur Bedingung für Gespräche zu machen, würde gewiss schnell zum Ende der Sondierungen führen. Das Problem: Grüne und CDU lehnen eine Obergrenze ab, auch in der FDP wird sie in dieser Form kaum mitgetragen. Die Liberalen wollen dafür künftig präzise zwischen Asyl, Bürgerkriegsflüchtlingen und dem Fachkräftezuzug unterscheiden.

Auch am Kooperationsverbot von Bund und Ländern in der Bildung wird sich nur schwer rütteln lassen. Die CSU hat lange für dieses Prinzip gekämpft. Zu einem schnellen Ende der Gespräche würde es auch führen, wenn jemand das Ende des Verbrennungsmotors zur Vorbedingung machen würde. Das hat Horst Seehofer ausgeschlossen.

Für die CSU zu verschmerzen

Auch in dieser Kategorie landet man beim Thema Bildung. Im Detail geht es Grünen und Liberalen bei ihrer Kritik am Kooperationsverbot um bessere Schulen, nicht um Lehrpläne. Vielleicht ist eine stärkere Finanzierung durch den Bund möglich, ohne das Grundgesetz zu ändern.

Heikel könnte es auch bei der Landwirtschaft werden. Einerseits lehnt die CSU die Attacken der Grünen auf die Massentierhaltung ab, andererseits will sie die Bauern glücklich machen. Das könnte einen Weg hin zu etwas kleineren Betrieben öffnen, die in Bioproduktion investieren und angesichts der wachsenden Nachfrage wirtschaftlich erfolgreich werden. Möglicherweise sehen die Fronten hier verhärteter aus, als sie es sind.

Und dann ist da die Familienförderung. Die Grünen wollen das Ehegattensplitting abschaffen, die CSU es beibehalten. Die CSU will Familien steuerlich entlasten, die Grünen Alleinerziehende unterstützen. Das klingt unversöhnlich, trotzdem könnten die Parteien dort zueinander finden.

Schmerzgrenzen der Liberalen

Die Sicherheitsgesetze sind für die FDP ein entscheidender Punkt. Die Forderung nach mehr Überwachung und weniger Datenschutz wäre für die Liberalen ein Grund, schnell auszusteigen. Einen "Wahn der Union" diagnostizierte FDP-Vize Kubicki vor der Wahl - das sagt alles.

Gleiches gilt für die Steuerpolitik. Versteht man Steuerreform nicht als Steuersenkung, bekommen Liberale rasch Bauchschmerzen. Die FDP dürfte sich gegen alles stellen, was nach höheren Steuern klingt. Sehr heikel wird auch die Europapolitik, jedenfalls wenn es ums Geld geht: Eine Vergemeinschaftung der Schulden lehnen die Liberalen ab. Sie pochen auf die "finanzpolitische Eigenverantwortung aller". Das heißt: Es wird mit ihr "keine neuen Geldtöpfe für automatische Transfers" geben.

Für die FDP zu verschmerzen

Es spricht einiges dafür, die Sondierungen nicht mit dem Thema Energiepolitik zu beginnen. Die Liberalen kämpfen gegen Quoten, Subventionen und Verbote. Eine strenge Regelung etwa, Autos mit Verbrennungsmotor vom Jahr 2030 an nicht mehr neu zuzulassen, dürfte mit der FDP schwer zu machen sein. Anders als die Grünen sind die Liberalen nicht davon überzeugt, dass Elektro-Autos alle Probleme lösen. Sie können sich vorstellen, dass Verbrenner dank synthetischer Kraftstoffe umweltfreundlicher werden. Gleichwohl werden sich die Liberalen bei Energiefragen einen Spielraum erlauben, auch sie bekennen sich zu den Klimazielen des Pariser Abkommens.

Resolut gibt sich die FDP auch in der Türkei-Politik: "Die Zusammenarbeit mit der Regierung Erdoğan muss ausgesetzt, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssen beendet werden", hieß es im Wahlkampf. Beide Forderungen sind brisant. Ein vollständiges Ende der Kooperation und der Betrittsgespräche würde das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei massiv gefährden. Das dürfte die FDP dann doch nicht riskieren.

Schmerzgrenzen der Grünen

Das für die Grünen wohl schwierigste Thema ist die CSU-Obergrenze für Flüchtlinge. Mit ihnen werde es die auf keinen Fall geben, schreiben sie in einem Zehn-Punkte-Plan. Die Grünen waren im Wahlkampf die entschiedensten Vertreter einer Willkommenskultur. Ihnen gleich zu Beginn der Gespräche eine Obergrenze aufdrücken zu wollen, dürfte die Verhandlungen beenden, bevor sie begonnen haben.

Ähnlich wichtig sind andere Fragen des Asylrechts. So lehnen die Grünen alle "Verschärfungen und Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete" ab. Das gilt besonders für Afghanistan. Allerdings sind sie auf Landesebene von diesem Grundsatz schon abgewichen. Ob das im Bund möglich sein könnte? Eher unwahrscheinlich. Eine Lösung kann es nur geben, wenn jährlich neue Obergrenzen ausgehandelt werden, für die Einwanderung und für Flüchtlinge.

Heikel sind auch Freihandelsabkommen wie Ceta oder TTIP. Ein kleiner Nachsatz im Wahlprogramm weist nur vielleicht einen Ausweg: Man kämpfe dafür, dass Ceta "in dieser Form" nicht ratifiziert werde. Lässt sich da was machen?

Für die Grünen zu verschmerzen

Auch die Grünen kennen Obergrenzen, in der Klimapolitik haben sie selbst welche formuliert: Die Partei will die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort abschalten, der Ausstieg aus der Kohlekraft soll bis 2030 passieren. Und an der Forderung, von 2030 an keine Autos mit Verbrennungsmotor in Deutschland zuzulassen, wollen sie auch festhalten. Einiges davon werden sie kaum aufgeben. Gleichwohl werden sie hier auch nicht alles durchsetzen. Und so erinnert man sich an Cem Özdemirs Schlussbotschaft im Wahlkampf, unverzichtbar sei "Der Einstieg in den Ausstieg". Wenn man es wörtlich nimmt, schafft das Spielraum.

Große Unterschiede tun sich auch im Bereich der Krankenversicherung und der Rente auf, wo die Grünen einen Systemwechsel anstreben. Sie wollen eine Bürgerversicherung, in die Selbständige, Beamte und Angestellte einzahlen. Insbesondere für den linken Parteiflügel könnte das ein zentraler Punkt werden, wenn es ums Ja zu einer Koalition geht. Deshalb dürfte es hier spannend werden, immerhin will die FDP die private Krankenversicherung ausbauen und die private Altersvorsorge stärken.

Für alle vier eher ohne Schmerz

Alle - auch die CSU - wollen eine Bildungsoffensive starten. Alle vier Parteien - inklusive CDU - wollen und müssen bei der Digitalisierung Tempo machen. Alle vier sind anders als Sozialdemokraten dafür, nicht länger an einem starren Renteneintrittsalter festzuhalten; alle vier plädieren mit Verve für mehr Personal und Technik für die Polizeien in Deutschland. Und wenn man sich an der Rhetorik orientiert, dann müssten sich alle vier schnell auch auf eine Entschädigung für die Betroffenen der Dieselaffäre verständigen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: