Jahrestag der Reichspogromnacht:Jüdische Organisationen fordern rasche Entschädigung von NS-Opfern

"Die Bundesrepublik Deutschland hat lange genug auf Zeit gespielt": Vertreter von Sinti und Roma und jüdischer Organisationen appellieren zum 75. Jahrestag der Reichspogromnacht an den Bundestag. Für viele Holocaust-Opfer könnten die noch immer ausstehenden Entschädigungen zu spät kommen.

Vertreter jüdischer Organisationen, des Zentralrats der Sinti und Roma und anderer gesellschaftlicher Gruppen haben eine rasche Anerkennung und Entschädigung noch lebender Nazi-Opfer gefordert. "Die Bundesrepublik Deutschland hat lange genug auf Zeit gespielt", heißt es in einem Appell in der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau.

"Wir appellieren deshalb an den 18. Deutschen Bundestag, unabhängig von Koalitionen und Parteibüchern, die letzte Chance zu nutzen. Wer vor 68 Jahren befreit wurde und noch am Leben ist, hat die Blütezeit seines Lebens hinter sich. Statt bewegender Reden fordern wir Taten." Der Bundestag müsse unabhängig von Koalitionen und Parteizugehörigkeit "die letzte Chance nutzen".

Als Beispiel für noch nicht anerkannte Opfergruppen nennen die Unterzeichner ehemalige sowjetische Kriegsgefangene und die Überlebenden der "Euthanasie"-Programme, dem organisierten Mord an behinderten Menschen. Die Politik dürfe auch nicht vormittags an das tausendfache Leid von Sinti und Roma im Nationalsozialismus erinnern und nachmittags heute hier lebende Roma als Gefahr für die Sozialsysteme stigmatisieren, heißt es in der Erklärung zum 75. Jahrestag der Pogromnacht.

Unterzeichner des Aufrufs sind unter anderem die Direktorin des American Jewish Committee Berlin, Deidre Berger, die Vorsitzende der Union Progressiver Juden in Deutschland, Sonja Guentner, Rabbiner Walter Homolka vom Potsdamer Abraham Geiger Kolleg, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, der Vorsitzende des Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose und die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU).

Am Samstag jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 zum 75. Mal. Etwa 1400 Synagogen, Tausende jüdische Geschäfte, Arztpraxen, Betriebe und Wohnhäuser wurden damals unter den Nazis in Deutschland und Österreich binnen weniger Stunden zerstört, 91 Menschen starben offiziellen Angaben zufolge. Wie viele tatsächlich durch die Übergriffe der Nationalsozialisten ums Leben kamen, ist nicht bekannt. In den darauffolgenden Tagen wurden etwa 30.000 jüdische Männer in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald verschleppt.

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