Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation:Amnesty International stellt Ägypten Armutszeugnis aus

Harsch kritisiert Amnesty International die Lage in der arabischen Welt: Ein Jahr nach den Protesten herrschen dort häufig immer noch Unterdrückung und Gewalt. In ihrem Jahresbericht greift die Menschenrechtsorganisation auch den Westen für seinen Umgang mit autoritären Regimen an.

Ronen Steinke

Es ist ein Jahr der Proteste gewesen, von Kairo bis Bahrain, von Moskau bis Athen, und für viele, die auf die Straßen gingen, ist es auch ein Jahr des Tränengases gewesen, der Schlagstöcke und der letztlich enttäuschten Hoffnungen. Mehr als ein Jahr nach dem Beginn der Aufstände in der arabischen Welt zieht die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nun eine ernüchternde Bilanz: Die neuen Machthaber sicherten ihre Herrschaft oft mit nicht weniger repressiven Mitteln als die alten, heißt es im jüngsten Jahresbericht der Organisation, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.

Amnesty International stellt Report zur Lage der Menschenrechte vor

Amnesty International hat den Report zur Lage der Menschenrechte vorgestellt. Der Generalsekretaer von Amnesty International Deutschland, Wolfgang Grenz, und die Expertin für zum Beispiel Aserbaidschan und die Ukraine, Marie von Möllendorff, bei der Vorstellung des Reports 2012.

(Foto: dapd)

Das vergangene Jahr habe zwar eindrucksvoll gezeigt, dass der Wunsch nach Menschenrechten und Demokratie tatsächlich universell sei. Dies seien nicht nur "westliche" Werte, wie oft behauptet werde. Zugleich sei die Kultur der politischen Gewalt und Unterdrückung in der arabischen Welt aber noch lange nicht gebrochen.

In Ägypten ist der Autokrat Hosni Mubarak von einem Militärrat abgelöst worden - doch "genau wie seinerzeit die Regierung Mubarak" behaupte auch die Übergangsregierung, Notstands-Befugnisse seien notwendig, um die Sicherheit im Land zu garantieren, heißt es in dem Bericht. Was in Ägypten vielleicht am stärksten beunruhige, sei "die Tatsache, dass mehr als 12.000 Zivilpersonen von der Militärjustiz strafrechtlich verfolgt oder vor Militärgerichte gestellt wurden - und damit mehr als während Mubaraks 30-jähriger Herrschaft." In Tunesien sieht Amnesty noch am ehesten eine Verbesserung. Es gebe dort keine Hinrichtungen mehr.

Strittige Fragen bleiben offen

Die Kritik richtet sich auch gegen die Rolle, die der Westen bei den Umbrüchen spielte, etwa die langjährige Unterstützung autoritärer Regime durch die USA. Zu der am meisten debattierten menschenrechtlichen Frage des vergangenen Jahres aber - ob das brutale Vorgehen eines Regimes gegen seine eigene Bevölkerung einen militärischen Eingriff von außen rechtfertigt, gar eine moralische Pflicht dazu begründet - vermeidet die Menschenrechtsorganisation eine klare Stellungnahme.

Diese Frage hatte den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen entzweit, als es um Syrien ging. Amnesty äußert sich dazu nur indirekt: Die Organisation prangert die Blockade der Veto-Mächte China und Russland im UN-Sicherheitsrat gegen "wirksame Maßnahmen" an. Von jenen Maßnahmen nennt sie dann aber nur eine beim Namen: Dass der Sicherheitsrat die Niederschlagung von Protesten in Libyen zur Untersuchung an den Internationalen Strafgerichtshof verwies, lobt der Bericht. Im Falle Syriens habe man vergebens auf dasselbe gehofft.

Zu der Nato-Intervention, die letztlich zum Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi beitrug, findet sich dann keine Bewertung - auch nicht zu den jüngst von Human Rights Watch, einer anderen Menschenrechtsorganisation, erhobenen Vorwürfen, die Nato habe dabei zu viele zivile Opfer in Kauf genommen. Die Lücke im Amnesty-Bericht verdeutlicht, wie sehr sich die Mitglieder der Organisation uneins darin sind, wie sie sich zum Menschenrechtsschutz mit Waffengewalt positionieren sollen.

Amnesty hat weltweit 2,8 Millionen Mitglieder, 100.000 von ihnen in Deutschland. In dem Jahresbericht 2012 wird auch die Menschenrechtslage in Deutschland bewertet. Hier sei vor allem der Umgang mit Asylbewerbern und die mangelnde Aufklärung in Fällen von Polizeigewalt bedenklich.

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