20 Jahre Mauerfall:Ein Weltveränderer, der um sein Erbe kämpft

In diesen Tagen applaudiert der Westen Michail Gorbatschow. Doch in Russland kämpft der einstige Staatschef um seinen Platz in der Geschichte.

F. Nienhuysen

Noch einmal bekommt er jetzt den Applaus der Welt. Eine Art Ehrenbeifall für ein Lebenswerk, das im März 1985 begann und nur sechs Jahre später schon wieder endete.

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(Foto: Foto: dpa)

Andere waren länger mächtig, aber so nachhaltig war selten die Wirkung eines einzelnen Politikers. "Michail Gorbatschow hat die Welt verändert", sagt Hans-Dietrich Genscher 20 Jahre nach dem Berliner Mauerfall. Dabei wollte Gorbatschow eigentlich nur die Sowjetunion verändern.

Wie viel Mut muss dieser Bauernsohn aus dem nordkaukasischen Stawropol gehabt haben, als er 1985 Generalsekretär der KPdSU wurde und beschloss, die Starre seines siechen Riesenreiches aufzulösen? Wer vor ihm hatte derart viele Ruckreden gewagt, so offen die Missstände des Sowjetkommunismus gegeißelt? Gorbatschow prägte und propagierte eine neue politische Kultur, für die der Begriff Glasnost zum Leitmotiv wurde.

Doch Michail Gorbatschow war nicht immer mutig, und er wollte ja auch nicht wirklich zupackend die deutsche Einheit. Er gestattete sie. Der frühere sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse beschrieb Gorbatschow kürzlich in einem SZ-Interview als ein zauderndes, oft unentschlossenes Staatsoberhaupt.

Zumindest ist dieser Mann schon immer sehr viel widersprüchlicher gewesen, als es Genschers Würdigung suggeriert. Denn auch das gehört zu seiner politischen Vita: das Schweigen in den Tagen nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl 1986, der Militäreinsatz 1991 im Baltikum, mit dem sich bereits Gorbatschows zunehmende Machtlosigkeit andeutete. Und der donnernde Rücktritt Schewardnadses Ende 1990, der von der Gefahr einer neuen Diktatur sprach.

Gorbatschows Ruhm in der Welt stand häufig Kritik im eigenen Land gegenüber, der Friedensnobelpreis brachte ihm daheim manchen Spott ein. Der Westen pries seinen Willen zur Abrüstung, seinen glasklaren Befehl 1989 an die sowjetischen Soldaten in der DDR, in den Kasernen zu bleiben. Doch das alles hielt Russlands Präsidenten Boris Jelzin nicht davon ab, den gebeugten Gorbatschow von der Macht zu verdrängen.

Für die Deutschen, für die Europäer ist das Bild vom einstigen sowjetischen Staatschef vollendet; in Russland kämpft er noch heute um seinen Platz in der Geschichte.

78 Jahre ist er nun alt, und es ist nicht so, dass das Land aufhorchen würde, wenn er seine Stimme erhebt. Bei der Präsidentenwahl 1996 erhielt er 0,5 Prozent der Stimmen, und seine Versuche, eine starke sozialdemokratische Partei in Russland zu gründen, scheiterten derart deutlich, dass es ihn eigentlich kränken müsste.

Aber Gorbatschow ist immer noch da. Er leitet den Gorbatschow-Fonds, vor allem aber ist er als Mitherausgeber der Zeitung Nowaja Gaseta zu einem gesellschaftskritischen Dauermahner geworden.

Erst vor wenigen Tagen griff er die Dominanz der Regierungspartei Einiges Russland an, die Manipulationen bei den russischen Kommunalwahlen. Missstände sieht Gorbatschow jedenfalls genug. Vielleicht schließt sich für ihn da ja ein Kreis. Er ist stolz auf seinen Beitrag zur deutschen Einheit, mit seinen Erben in Russland aber ist Gorbatschow noch nicht zufrieden.

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