50 Jahre Élyseé-Vertrag:Zwang zur Freundschaft

Es ist eine manchmal schwer zu pflegende Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Doch Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande sind nicht Adenauer und de Gaulle. Wenn Europa vorankommen soll, sind beide Länder dazu verurteilt, miteinander auszukommen.

Ein Kommentar von Sylvie Kauffmann (Le Monde)

Während Angela Merkel und François Hollande den 50. Jahrestag eines Vertrages feiern, der eine auf der Welt einzigartige Partnerschaft begründet, streiten sich Tausende Kilometer entfernt zwei Länder über eine kleine Felsgruppe im Meer. Zwischen China und Japan vergeht kein Tag ohne Kriegsgetrommel. Marineschiffe und Kampfflugzeuge beider Länder patrouillieren in dem Gebiet, der japanische Premier sucht Unterstützung bei seinen Nachbarn, die USA schicken aus Sorge einen Emissär. Die Chefs von Toyota und Honda ringen derweil verzweifelt ihre Hände, während sie zusehen, wie ihre Verkäufe in China, dem größten Automarkt der Welt, einbrechen.

Haben diese Manager zu Jahresbeginn die europäische Presse gelesen? Wenn ja, dürften sie überrascht gewesen sein von der Bitterkeit in vielen Kommentaren über das deutsch-französische Verhältnis. Die Asiaten, ganz besonders die einstigen Kriegsgegner China und Japan, sehen mit Neid, wie die Europäer - vor allem Deutsche und Franzosen -, nicht nur zusammenleben, sondern geduldig ein gemeinsames Projekt aufbauen.

File photo of France's President Hollande and Germany's Chancellor Merkel at anniversary ceremony in castle Ludwigsburg

Ein ungleiches Paar: Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande.

(Foto: REUTERS)

Was von Asien aus gesehen Neid hervorruft, ist, von beiden Seiten des Rheins aus betrachtet, Normalität geworden. Die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident feiern auch deswegen gemeinsam den Jahrestag des Élysée-Vertrags, weil es anders gar nicht geht - was an sich schon eine gute Sache ist.

Merkel und Hollande hegen füreinander keine große Sympathie. Die Zeiten sind hart, die Euro-Krise hat ihre Spuren hinterlassen. Aber was soll's. Merkel und Hollande sind nicht Konrad Adenauer und Charles de Gaulle; nicht einmal Helmut Kohl und François Mitterrand. Und 2013 ist nicht 1963. Zwischen diesen Jahren hat die Welt, haben Frankreich und Deutschland, einige Umstürze erlebt. Die Sowjetunion ist zerbrochen, der Kalte Krieg vorbei, Deutschland vereinigt. Die Deutsche Mark ist verschwunden, der Euro wurde geboren. Die Globalisierung hat die Welt verändert, China ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht geworden.

Frankreich und Deutschland haben auf diese Umstürze unterschiedlich reagiert. Die deutsche Wiedervereinigung musste auch die deutsch-französischen Beziehungen verändern. Deutschland ist de facto der Riese im vereinten Europa geworden. Und durch die Osterweiterung der EU hat Deutschland eine noch zentralere Rolle bekommen: an seiner Grenze im Westen Frankreich, im Osten Polen.

Zwei sehr unterschiedliche Länder

Die großen Probleme der deutschen Wirtschaft haben diese Veränderung zunächst kaschiert. Es ist fast vergessen - aber vor nur zehn Jahren war Deutschland noch der "kranke Mann Europas". Damals haben die Deutschen über ihre Wettbewerbsfähigkeit gestritten, bis dann Kanzler Gerhard Schröder Strukturreformen anpackte, deren Früchte Angela Merkel nun erntet. Der starke deutsche Export, perfekt an eine globalisierte Welt angepasst, hat das Land auf das heutige Niveau aufsteigen lassen.

Frankreich hat einen anderen Weg eingeschlagen. Zurückhaltender angesichts der Globalisierung und empfindsamer für sozialen Druck, hat Frankreich die strukturelle Anpassung aufgeschoben. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Abstand zwischen den beiden Volkswirtschaften daher unerbittlich vergrößert. Nun sind es die Franzosen, die über ihre Wettbewerbsfähigkeit debattieren. Und es sind die Franzosen, die reformieren müssen. Sie tun es, wenn auch nicht schnell genug für Merkels Geschmack.

In der globalisierten Welt hat Deutschland mehr Gewicht als Frankreich. Aus Washington oder Peking blickt man nicht auf das deutsch-französische Paar, man schaut auf die EU. Und wenn man die Karte der EU aus der Ferne betrachtet, ist Deutschland der größte Klecks. Das ist die Realität im Jahr 2013.

Trotzdem gebe es keinen Ersatz für das deutsch-französische Duo, sagt der frühere Außenminister Hubert Védrine, weder in Gestalt eines französisch-britischen Tandems noch eines deutsch-polnischen. Deutschland und Frankreich sind dazu verurteilt, miteinander auszukommen, wenn Europa vorankommen soll. Es sind zwei sehr unterschiedliche Länder - darin liegt auch die Idee begründet, ihre unentbehrliche Partnerschaft in einem Vertrag festzuschreiben, also einen verpflichtenden Rahmen zu schaffen, der sie zur Zusammenarbeit zwingt.

Es mag sein, dass diese Partnerschaft manchmal schwer zu pflegen ist. Aber es ist unwürdig, Differenzen allzu öffentlich zur Schau zu tragen. Die Bürger jedenfalls haben gelernt, miteinander zu leben und zu arbeiten. Es ergibt sich sogar, dass sie zusammen Zeitungen machen.

Sylvie Kauffmann ist Directrice Éditorial von Le Monde. Übersetzung: Caroline Ischinger

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: