50 Jahre Kuba-Krise:Der gefährlichste Moment in der Geschichte der Menschheit

Richard Heyser überflog vor 50 Jahren das verfeindete Kuba, um auszuspionieren, ob Moskau Waffen liefert. Die Mission gelang. Dass er die Menschheit gerade an den Rand des Dritten Weltkriegs gebracht hatte, ahnte der US-Major nicht.

Hubert Wetzel

Der 14. Oktober 1962 war ein guter Tag zum Fliegen. Das Wetter über Kuba war klar, nur eine leichte Wolkendecke lag über der Insel. Und so kletterte am frühen Morgen auf der Edwards Air Force Base in Kalifornien Major Richard Heyser in seine Maschine vom Typ U-2. Die Mission trug den unschuldig klingenden Namen "Brass Knob" - Messingknauf.

Kubakrise 1962

Luftaufnahme von sowjetischen Raketenabschußrampen, Raketentranportern und Tanklagern auf Kuba im Oktober 1962. Die Raketenkrise rückte Kuba 1962 ins Zentrum des Weltgeschehens.

(Foto: dpa)

Der Auftrag war weniger unschuldig und vor allem gefährlich: Heyser sollte den westlichen Teil Kubas von Süden nach Norden in einer Höhe von gut 22.000 Metern überfliegen und dabei den Boden fotografieren. Nur wenige Wochen zuvor war eine U-2 der taiwanischen Luftwaffe über Westchina abgeschossen worden. Das Pentagon hatte daher Angst, dass auch die Kubaner von ihren sowjetischen Verbündeten moderne Abwehrraketen bekommen hatten, mit denen sie das Spionageflugzeug vom Himmel holen könnten.

Doch das Pentagon brauchte auch dringen die Bilder aus Heysers Bordkamera. Die US-Regierung vermutete seit Wochen, dass Moskau größere Mengen Waffen an das kommunistische Regime auf Kuba lieferte. Aufklärungsflugzeuge der US-Marine hatten in der Karibik sowjetische Frachter fotografiert, die offenbar Teile von Bombern geladen hatten. Auch gab es Gerüchte über die Lieferung von Raketen. Dass das Regime von Fidel Castro, ein kommunistischer Außenposten vor der Haustür Amerikas, derartige Angriffswaffen besitzen könnte, war für Washington ein Alptraum. Die U-2-Bilder sollten Klarheit bringen.

Mission "Brass Knob" war ein Erfolg. Heyser überquerte das feindliche Gebiet ungestört, ließ die Kamera laufen und landete sicher auf der McCoy Air Force Base in Florida. Dass er die Menschheit gerade an den Rand des Dritten Weltkriegs gebracht hatte, ahnte der Major nicht.

Doch so war es. Heysers Flug war der Beginn der sogenannten Kuba-Krise vom Oktober 1962: Auf seinen Luftaufnahmen war erstmals zweifelsfrei zu sehen, dass sowjetische Techniker auf Kuba Stellungen für atomare Mittelstreckenraketen aufbauten. In den zwei Wochen danach entfaltete sich jene Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion, welche die beiden Supermächte näher an einen Krieg brachte als wohl jeder andere Zusammenstoß während des Kalten Krieges - und welche die Welt näher an den Abgrund der nuklearen Vernichtung rücken ließ als je zuvor und je danach.

Die Kuba-Krise war, wenn man so will, der gefährlichste Moment in der Gesichte der Menschheit. Robert Kennedy, damals Justizminister im Kabinett seines Bruders, US-Präsident John F. Kennedy, schrieb über einen düsteren Abend während der Krise: "Der Präsident hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Aber es war nur eine Hoffnung, keine Erwartung. Die Erwartung war, dass es zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen wird, vielleicht schon morgen."

Glanzstück der Diplomatie

In den 50 Jahren, die seit dem Oktober 1962 vergangen sind, ist viel über die Kuba-Krise geschrieben worden. Die Motive auf beiden Seiten wurden ausgeleuchtet: Die USA wollten um jeden Preis verhindern, dass atomare Angriffswaffen auf Kuba stationiert werden, keine 150 Kilometer von der Küste Floridas entfernt. Das hätte alle Großstädte an der US-Ostküste in Gefahr gebracht.

Die Sowjetunion dagegen wollte unbedingt Kuba als kommunistisches Bollwerk in der Karibik stärken und schützen. Immerhin war es gerade eineinhalb Jahre her, dass nationalistische Exil-Kubaner mit Hilfe der CIA - und Billigung Präsident Kennedys - versucht hatten, Castro zu stürzen. Ihre Invasion in der Schweinebucht Mitte April 1961 scheiterte zwar kläglich. Die Sabotage-Kampagne der USA gegen Castro, "Operation Mongoose", lief danach freilich verstärkt weiter.

So dramatisch die Kuba-Krise war - sie galt lange Zeit auch als Glanzstück der Diplomatie. Präsident Kennedy, so die These, habe den Westen mit ruhiger Hand, Weitblick und höchstem Geschick durch die Krise gesteuert, die sein sowjetischer Kollege, Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow, mutwillig vom Zaun gebrochen habe. Heute weiß man, dass das allenfalls die halbe Wahrheit ist. Kennedy handelte in der Tat besonnen. Doch auch Chruschtschow hatte kein Interesse an der gegenseitigen nuklearen Vernichtung, nur um Castros Zuckerinsel zu schützen. Und es ist heute klar, dass auch eine große Portion Glück dazu führte, dass die Krise trotz vieler Missverständnisse und Fehlinformationen nicht zum großen Krieg eskalierte.

So wurde zum Beispiel erst Anfang der Neunzigerjahre bekannt, dass die sowjetischen Truppen auf Kuba - bis zu 40 000 Mann anstelle der 10 000, die die CIA vermutete - über taktische Atomwaffen verfügten, die sie zur Abwehr einer amerikanischen Invasion einsetzen durften. Die US-Generäle, die im Oktober 1962 vehement für eine solche Invasion plädierten, hatte davon keine Ahnung. Ihre Landungstruppen wären in den Feuerstürmen nuklearer Explosionen verbrannt. Ein zweites Beispiel: An einem Tag während der Krise zwang die US-Marine in den Gewässern um Kuba ein sowjetisches U-Boot zum Auftauchen, das Atomwaffen an Bord hatte. Nur der Widerstand eines einzelnen Offiziers verhinderte deren Einsatz. Solche Momente, an denen die Welt nur um Haaresbreite an einem Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion vorbeirutschte, gab es im Oktober 1962 weit mehr als einem von heute aus gesehen lieb sein kann.

Die Süddeutsche Zeitung wird in den nächsten zwei Wochen die Kuba-Krise nachzeichnen. Jeden Tag wird ein Artikel beschreiben, was vor 50 Jahren geschehen ist. Manchmal erscheinen diese Ereignisse im Rückblick irreal, als seien sie nur Szenen aus dem Spielfilm Thirteen Days, den Roger Donaldson vor zwölf Jahren über die Kuba-Krise drehte - mehr Hollywood als Wahrheit. Doch dieses Gefühl trügt. Der Oktober 1962 war der Moment, in dem die Menschheit ihrer Existenz fast ein Ende gesetzt hätte.

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