60 Jahre Karlsruhe:Wulff würdigt Verfassungsgericht - und warnt die Politik

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Deutliche Worte zum Festakt: Bundespräsident Wulff erklärt zum Jubiläum des Bundesverfassungsgerichts, warum das höchste Gericht gerade in der derzeitigen Schuldenkrise besonders wichtig ist. Die Politik dürfe demokratische Verfahren nicht unterlaufen.

Zum 60. Geburtstag des Bundesverfassungsgerichts hat Bundespräsident Christian Wulff die Politik davor gewarnt, die vom Grundgesetz vorgegebenen Verfahrensregeln zu missachten. Unter der Maxime der Dringlichkeit oder Alternativlosigkeit dürfe die parlamentarische Befassung nicht vernachlässigt werden, sagte Wulff am Mittwoch bei einem Festakt in Karlsruhe.

60 Jahre Bundesverfassungsgericht
:Urteile, die Deutschland verändert haben

Vom KPD-Verbot bis zum Euro-Rettungsschirm: In den 60 Jahren seines Bestehens hat das Bundesverfassungsgericht Entscheidungen getroffen, die dem Gericht Respekt und der Republik besseres Recht gebracht haben. Ein interaktiver Überblick über die 30 wichtigsten Urteile und Beschlüsse.

Von Lydia Bentsche

Die Beteiligungsrechte des Parlaments seien die Herzkammer der Demokratie. Entscheidungsgrundlagen und -motive müssten formuliert und offengelegt werden, forderte der Bundespräsident.

Wulff betonte damit vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Bekämpfung der Schuldenkrise, die Notwendigkeit der Einbeziehung des Bundestages. In der Schwarz-Gelben Koalition war gestritten worden, in welchem Umfang der Bundestag an Entscheidungen über Hilfen für hochverschuldete Euro-Länder beteiligt werden sollte.

Die Rechtstreue der Bürger leide, "wenn rechtliche Bindungen beiseite geschoben werden - von Wirtschaftseliten, die Verträge missachten, von der Politik, die bestehende Regeln aussetzt oder Fristen, die das Bundesverfassungsgericht setzt, nicht beachtet." Diese Tendenzen seien "bedenklich", sagte Wulff.

Würdigung der Rolle des Verfassungsgerichts

Gleichzeitig hat der Bundespräsident die herausragende Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts gewürdigt. Wulff hob die Unabhängigkeit des Gerichts und seine tragende Rolle für die Demokratie in Deutschland hervor.

Die Karslruher Richter hätten erheblich zur Festigung des Rechtsstaatsbewusstseins in der Bundesrepublik beigetragen. Bei seiner Gründung habe das höchste deutsche Gericht keine Vorbilder gehabt, es sei aber inzwischen auch im Ausland zum Vorbild geworden, sagte der Bundespräsident am Mittwoch bei einem Festakt im Badischen Staatstheater in Karlsruhe.

Insbesondere durch seine Rechtsprechung zur Meinungs- und Demonstrationsfreiheit habe das Gericht die Demokratie in Deutschland gefördert, sagte Wulff vor rund 1000 Gästen aus dem In- und Ausland. Die Karlsruhe Richter hätten den engen Zusammenhang zwischen Demokratie und freier Meinungsäußerung in zahlreichen Entscheidungen unermüdlich betont.

Auch Angela Merkel betonte die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts für Freiheit und Demokratie in Deutschland. Die Rolle der Karlsruher Richter "im Gefüge des Grundgesetzes ist über allen Zweifel erhaben", sagte die Bundeskanzlerin. Das höchste deutsche Gericht sei "ein verlässliches Rückgrat für die junge Demokratie".

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. (Foto: dpa)

Merkel betonte auch den Einfluss des Gerichts auf die Politik in Berlin. "Macht kann und wird also in ihre Schranken gewiesen", sagte die CDU-Vorsitzende. Die Absage an einen politischen Allmachtsanspruch sei für eine Demokratie unabdingbar. Dafür stehe das Bundesverfassungsgericht.

Das Gericht genieße außerdem hohes Vertrauen bei den Bürgern, sagte die Kanzlerin. Diese sähen in dem Verfassungsorgan einen Garanten für Objektivität, die auch mal unbequem sein könne - "allen voran für die Politik".

"Dass die eine oder andere Meldung aus Karlsruhe in Berlin oder den Landeshauptstädten die Gemüter erregen kann, liegt in der Natur der Dinge", sagte Merkel. Dem Gericht sei es aber gelungen, diese Spannung zwischen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit zu bewältigen.

Voßkuhle mahnt neue föderale Ordnung an

Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, sieht eine "hohe Wertschätzung" des Bundesverfassungsgerichts durch Bürger und Politik. Das Verfassungsgericht spiele für die Entwicklung des Rechts und der politischen Kultur eine wichtige Rolle, sagte Voßkuhle.

Zugleich mahnte er eine Reform der föderalen Ordnung in Deutschland an: "Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Föderalismus müssen wohl auf kurz oder lang neu justiert werden." Denn das verfassungsrechtliche Versprechen, dass Bürger gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland haben müssten, stehe zunehmend infrage. Infrastrukturschwache Gebiete und finanzschwache Länder drohten immer mehr den Anschluss zu verlieren. Welche Konsequenzen er für nötig hält, sagte er allerdings nicht.

Das Gericht selbst sieht Voßkuhle vor fünf großen Herausforderungen. Dazu zählten Europäisierung, Nachhaltigkeit, Schutz der Privatsphäre, gleichwertige Lebensverhältnisse und neue Technologien. Die Europäisierung führe nicht zum Bedeutungsverlust der jeweiligen Landesverfassungen. Vielmehr müsse europäisches Verfassungsrecht gemeinsam von den Ländern entwickelt werden.

Die steigende Zahl der zu erledigenden Verfahren wiege allerdings schwer. Darunter seien eine hohe Zahl von unbegründeten Verfassungsbeschwerden, die die Arbeit des Gerichts behinderten, sagte Voßkuhle.

Das höchste deutsche Gericht nahm offiziell am 28. September 1951 seine Arbeit auf. Es hat als einziges Gericht die Kompetenz, Bundesgesetze für nichtig zu erklären, wenn sie gegen das Grundgesetz verstoßen.

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