David Ben-Gurion:Der Mann, der Israel gründete

Vor 60. Gründungstag von Israel

David Ben-Gurion unterschreibt am 14. Mai 1948 in Tel Aviv die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel. Neben ihm Rabbi Yehuda Leib Hacohen Maimon.

(Foto: dpa)

Jiddisch empfand er als Zumutung und in Bayern wollte er jüdische Dörfer errichten: Historiker Tom Segev legt eine ausführliche Biografie über David Ben-Gurion vor.

Rezension von Ronen Steinke

Auf einer Reise durch das kriegszerstörte Bayern im Oktober 1945 warb David Ben-Gurion für einen grandiosen Plan. Alle jüdischen Displaced Persons, also Holocaust-Überlebende und Flüchtlinge, sollte man in Bayern zusammenziehen, so schlug er den Amerikanern vor.

Man solle sie in Dörfern unterbringen, deren deutsche Bewohner man vorher wegbringen würde. Sie sollten dort landwirtschaftlichen und paramilitärischen Unterricht erhalten, bis sie nach Palästina ausreisen dürften.

Seinen zionistischen Parteikollegen in der Heimat berichtete Ben-Gurion, er habe General Eisenhower praktisch vorgeschlagen, in Bayern einen jüdischen Staat zu gründen. Das sei "eine neue Idee", antwortete der verdutzte US-General. Er verwarf den Vorschlag sofort.

Für die Holocaust-Überlebenden hatte Ben-Gurion gleichzeitig wenig Geduld: "Die an ihn herankamen, versuchten ihm von ihren grauenhaften Erlebnissen zu berichten", beschreibt der israelische Historiker Tom Segev verkrampfte Begegnungen, "Ben-Gurion konnte kein väterliches Mitgefühl aufbringen."

Ben-Gurion-Nostalgie verstärkt durch Netanjahu-Antipathie

Selbst als er seinen Cousin aus Łódź wiedererkannte, der in Buchenwald und Auschwitz war, blieb Ben-Gurion distanziert. Der Cousin gab ihm Bittbriefe auf Jiddisch mit; der Besucher aus Palästina lästerte über die "das Ohr beleidigende" jiddische Sprache der Diaspora.

David Ben-Gurion: Premierminister in Badehose: David Ben Gurion im Kopfstand am Strand. Daneben sein skeptisch blickender Leibwächter. Der Fotograf Paul Goldman machte die berühmt gewordene Aufnahme im Jahr 1957.

Premierminister in Badehose: David Ben Gurion im Kopfstand am Strand. Daneben sein skeptisch blickender Leibwächter. Der Fotograf Paul Goldman machte die berühmt gewordene Aufnahme im Jahr 1957.

(Foto: Paul Goldman/ © Sammlung Spencer M. Partrich)

Die Biografie Ben-Gurions, die Segev jetzt vorlegt, kommt pünktlich zu einem Jahrestag. Vor 70 Jahren hat David Ben-Gurion den Staat Israel ausgerufen, "nach einer dreißig Jahre währenden Entwicklung, beginnend mit der Entscheidung der Briten, die zionistische Bewegung bei der Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina zu unterstützen", wie Segev schreibt.

Ben-Gurion lenkte diese Entwicklung über die Dauer einer Generation, besonders in den letzten zehn Jahren vor der Unabhängigkeit.

Die Biografie kommt aber auch zu einer Zeit, da Ben-Gurion in Israel so populär zu sein scheint wie nie. Allein in den vergangenen fünf Jahren sind fünf neue Biografien erschienen. Fragt man den Autor Segev, woran das liegt, antwortet er mit einem Wort: Netanjahu! Je mehr Israelis heute angewidert seien von dessen unerbittlichem Stil, umso rosiger leuchte in der Erinnerung Ben-Gurion. Der versöhnliche Opa, ein Maskottchen der Linken.

Für solche Nostalgie taugt die Figur Ben-Gurion in Wahrheit nur bedingt. David Grün, geboren 1886 in Polen als Sohn des Rechtsberaters Viktor Grün, hatte das Grauen des Pogroms von 1903 in Kischinew verinnerlicht. Anders als die meisten seiner jüdischen Zeitgenossen hatte er aus den Erfahrungen aber nicht die Konsequenz gezogen, sich weiter für die Emanzipation der Juden als Bürger einzusetzen.

Er war schon als Jugendlicher fortgegangen ins damals osmanische Palästina, hatte seinen alten Nachnamen abgelegt wie eine peinliche Erinnerung und sein Leben dem Zionismus gewidmet, also dem Plan, einen Ort zu erbauen, an dem Juden nicht mehr von einer nichtjüdischen Mehrheit zertrampelt werden könnten.

Die Kaltschnäuzigkeit der zionistischen "Pioniere" um Ben Gurion gegenüber den Juden, die in ihrer europäischen Heimat zurückgeblieben waren, ist schon oft kritisiert worden, besonders von Segev, der lange für die linke Tageszeitung Haaretz schrieb.

In seiner Biografie Ben-Gurions nun setzt er die Figur des israelischen Staatsgründers trotzdem in ein milderes Licht. Er zitiert Ben-Gurion zwar wieder mit unsensiblen Sätzen. "Der enorme Druck, der jetzt auf den Juden in der Diaspora lastet, schwemmt Möglichkeiten in einer nie gekannten Fülle ins Land", sagte Ben-Gurion in Tel Aviv, als die Nazis schon zu morden begonnen hatten; so als sehe er auch eine gute Nachricht darin. "Ich sehe keinerlei Hindernis für eine Masseneinwanderung von Zehn- oder Hunderttausenden in den nächsten Jahren."

Aber angesichts der eigenen Ängste, die Ben-Gurion verbarg oder überspielte, bringt der Autor Segev auch mehr Verständnis auf als früher. Während eines London-Besuchs in der Zeit der deutschen Luftangriffe habe Ben-Gurion geprahlt, dass er den Kanonendonner der britischen Flugabwehrgeschosse genieße und sich sogar weigere, sich in einem Keller zu verkriechen. Die Hausgehilfin berichtete gleichzeitig, Ben-Gurion schreibe viel in der Küche, und die Küche lag im Keller.

"Sein Verhalten gegenüber den Holocaust-Überlebenden", so resümiert Autor Tom Segev, "sollte vielleicht kaschieren, dass er ihnen kaum in die Augen schauen konnte; er wollte seine Machtlosigkeit zur Zeit des Holocaust verdrängen, und sie waren deren Zeugen."

Die Ausführlichkeit, mit der Segev die Haltung analysiert, aus der heraus Israel gegründet wurde, anhand einer Fülle persönlicher Dokumente, von denen viele erst in jüngerer Zeit zugänglich geworden sind, ist der Wert dieser Biografie; auch wenn sie sonst kaum neue Fakten enthält. Lange vor der Staatsgründung forderten einige Zionisten, man solle darauf hinwirken, dass die Araber Hebräisch und die Juden Arabisch lernten.

Ben-Gurion, der etwas Arabisch konnte, antwortete sarkastisch: Er wisse nicht, warum er Arabisch lernen sollte, und seinetwegen brauche "Mustafa" auch kein Hebräisch zu können. Praktisch sei es ihm egal, ob der jüdische Bauer, der den arabischen Arbeiter ausbeute, Arabisch könne, oder ob der Araber, der den Juden umbringe, Hebräisch spreche. Die Araber würden jedenfalls auch dann nicht zugestehen, dass Palästina den Juden gehören sollte, wenn diese Arabisch lernten.

Die Briten, die 1917 die Herrschaft über Palästina von den Osmanen übernommen hatten, sahen schließlich ein, dass mit einem gedeihlichen Zusammenleben von Juden und Arabern nicht zu rechnen sei.

Die Vereinten Nationen beschlossen, ihr "Mandatsgebiet" westlich des Jordans in zwei Hälften zu teilen. Ben-Gurion war begeistert, zugleich aber kam ihm nicht in den Sinn, sich mit den Grenzen des UN-Plans von 1948 langfristig zufriedenzugeben: "Ein jüdischer Teilstaat ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang", sagte er seinem Sohn Amos.

Es war nicht Mitleid mit den Opfern des Holocaust gewesen, das die Briten dazu bewegt hatte, Juden und Araber in die Unabhängigkeit zu entlassen - das zu verdeutlichen, ist dem Autor Segev vielleicht das größte Anliegen.

Mitleid habe die Briten nie geleitet, auf Mitleid konnten die Juden sich weder vor noch nach 1945 verlassen. Schon lange hätten die Briten erkannt gehabt, dass diese Kolonie wirtschaftlich fast wertlos war, am Ende hätten innenpolitische Spannungen ihnen die Freude an ihrer Herrschaft ganz vergällt. Dazu trugen auch Terroranschläge diverser jüdischer Gruppen wie des Irgun bei, die David Ben-Gurion als Zionistenführer offiziell verurteilte, inoffiziell jedoch duldete.

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