60 Jahre indische Unabhängigkeit:"Um Mitternacht die Freiheit"

Vor 60 Jahren gaben die Briten ihre größte Kolonie frei. Begleitet von Gewalt und Blutvergießen entstanden zwei Staaten: Indien und Pakistan.

Tobias Matern

Ihren Geburtstag mag sie wie in jedem Jahr nicht feiern, auch wenn es dieses Mal ein runder sein wird. Der indische Bollywood-Star Rakhee Gulzar kam am 15. August 1947 zur Welt, am Tag, als der britische Vizekönig Mountbatten Indien in die Unabhängigkeit entließ.

Indien, Pakistan

Der letzte britische Generalgouverneur Lord Mountbatten (links) und Indiens erster Premierminister Jawaharlal Nehru (rechts) beobachten, wie in Delhi am 15. August 1947 die neue Staatsflagge erstmals gehisst wird

(Foto: Foto: AP)

An dieses Ereignis möchte sich die Schauspielerin lieber erinnern, still und zurückgezogen. Vielleicht werde sie eine der Dorfschulen besuchen, in denen zu Ehren der Nation eine Zeremonie abgehalten wird, sagte sie dem Indisch-Asiatischen Nachrichtendienst.

Die Familiengeschichte ist für Rakhee Gulzar der Grund, großen Pomp zu meiden. Denn für ihren Vater war der Tag der Unabhängigkeit auch der Tag der Entwurzelung. Er lebte in dem Teil Indiens, der zu Ostpakistan, dem heutigen Bangladesch, wurde.

"Er hatte die Wahl: konvertieren oder fliehen", sagt Rakhee. Er floh nach Indien, andere Familienmitglieder blieben. Seine Schwester hat er seitdem nie wiedersehen wollen, genauso wenig sein Heimatdorf.

Die Geburt des modernen Indiens vor 60 Jahren ist das Resultat einer Teilung. Der indische Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi hatte den jahrzehntelangen gewaltlosen Widerstand gegen die britischen Kolonialherren angeführt und sich um ein politisches Bündnis zwischen Hindus und Muslimen bemüht. Das kam allerdings nicht zustande.

Grausamer Anblick

Die Briten setzten daher auf eine Zweistaatenlösung. Neben Indien mit den Hindus als religiöser Mehrheit entstand so ein Land für die Muslime: Pakistan. Mit der Grenzziehung 1947 begann eine Massenmigration. Etwa 15 Millionen Menschen versuchten, in den jeweils anderen Landesteil zu kommen.

Pakistans heutiger Präsident Pervez Musharraf erinnert sich in seiner Autobiographie, welch grausamer Anblick sich der Familie bot, als sie von Delhi nach Karatschi in Pakistan flüchtete: "Die Schienen waren übersät mit den Körpern der Toten - Männer, Frauen und Kinder, viele auf abscheuliche Weise verstümmelt", schreibt er.

Hunderttausende Menschen erreichten ihr Ziel nicht, Muslime metzelten Hindus und Sikhs nieder, Hindus und Sikhs vergingen sich an Muslimen.

Die Wunden dieser Ereignisse sind bis heute nicht verheilt. Geschichten wie die von Musharraf oder Rakhee Gulzars Vater werden dieser Tage in Indien und in Pakistan nacherzählt. Die Form des Gedenkens in beiden Ländern könnte allerdings unterschiedlicher nicht ausfallen.

"60 bittere Jahre nach der Unabhängigkeit" betitelt die pakistanische Zeitung Daily Times einen Artikel. Pakistans "Vater der Nation", Mohammed Ali Jinnah, hatte zwar die Vision eines säkularen Staates. Aber der scheint heute gefährdeter denn je - radikale Islamisten wollen die Scharia einführen.

"Die Demokratie siegte"

Indien hingegen blickt trotz der blutigen Entstehungsgeschichte mit einer gehörigen Portion Stolz auf die vergangenen sechs Jahrzehnte zurück. 1,1 Milliarden Menschen leben in einem Land, in dem 22 offizielle Amtssprachen gesprochen werden, in dem zusätzlich zu zahlreichen Religionen noch etliche Glaubensgemeinschaften vertreten sind, dessen Wirtschaft boomt, das sich trotz des fortbestehenden Kastensystems und der krassen Unterschiede zwischen Armen und Reichen seine Einheit in der Vielfalt bewahrt hat.

Zwar sind Korruption und Misswirtschaft in der Politik weit verbreitet, dennoch floriert das Land, die Lage ist stabil. "Indien ist das einzige ehemals kolonialisierte Land, das in den vergangenen 60 Jahren den ungebrochenen Beweis erbracht hat, demokratisch zu sein. Das ist eine der größten Leistungen der modernen Zeit", sagt der indische Historiker Bipan Chandra.

Den Weg dafür hatte Jawaharlal Nehru, Indiens erster Premierminister und enger Vertrauter Mahatma Gandhis, maßgeblich bereitet. "Punkt zwölf Uhr, um Mitternacht, wenn der Rest der Welt schläft, wird Indien im Licht der Freiheit erwachen", erklärte er zum Ende der britischen Kolonialherrschaft mit dem gebotenen Pathos.

Nehru gab der Nation eine eigene Identität, trat für die Trennung von Staat und Religion ein, kämpfte leidenschaftlich für Demokratie und Bürgerrechte. Diese entwickelten sich zur Grundkonstante des Landes, die Nehrus Tochter Indira Gandhi allerdings kurzzeitig verließ: Mitte der 70er Jahre regierte sie 22 Monate autokratisch, verhängte den Notstand und ließ Oppositionelle verhaften.

"Letztlich ist die Demokratie aber auch aus der Zeit als Sieger hervorgegangen", sagt Chandra. Denn bei den Wahlen 1977 verlor Gandhis Kongresspartei deutlich. 1984 wurde sie von ihren Sikh-Leibwächtern ermordet. Es folgte eine blutige Vergeltung. Schätzungsweise 2700 Sikhs wurden von aufgebrachten Gandhi-Anhängern umgebracht.

Problematische Beziehungen

Wesentlich problematischer als innerindische Konflikte sind aber die Beziehungen zu Pakistan. Bis heute ist der Status der Kaschmir-Region nicht geklärt. Beide Regierungen erheben Anspruch auf das Gebiet. Schon kurz nach der Teilung brach darum der erste Krieg aus, weitere Auseinandersetzungen und die atomare Aufrüstung auf beiden Seiten folgten.

In der Gegend sind noch immer etwa 500.000 indische Soldaten stationiert, sie kämpfen gegen muslimische Rebellen. Seit 1989 starben in dem Konflikt mehr als 42.000 Menschen. Historiker Chandra ist dennoch optimistisch. "Die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan bewegen sich in die richtige Richtung." Viele Menschen beider Länder seien befreundet, auf politischer Ebene herrsche allerdings noch Misstrauen.

Chandra wünscht sich für den Subkontinent eine Aussöhnung und nennt dafür Europa als Modell: "Auch Deutschland und Frankreich waren lange verfeindet, bis sie begannen, aufeinander zuzugehen. Heute pflegen sie beste Beziehungen."

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