300 Jahre Friedrich der Große:Preußen à la carte

Feinsinniger Philosoph, Kriegstreiber, Durchhaltekönig: Das Preußen von Friedrich II. ist zum Sehnsuchtsort einer vom Wunschdenken bestimmten Wahrnehmung geworden. Doch Preußen verschwindet dahin, wohin Byzanz, Burgund oder die Donaumonarchie schon früher verschwunden sind.

Kurt Kister

Fast scheint auch das schon wieder Geschichte zu sein: Am 17. August 1991, kurz vor Mitternacht, wurde im Garten des Schlosses Sanssouci ein Sarg mit den Überresten des berühmtesten Preußenkönigs in eine Gruft versenkt. Friedrich von Hohenzollern, genannt der Große, gestorben am 17. August 1786 in Sanssouci, war, wie es in pathetischen Kommentaren hieß, "heimgekehrt".

300. Geburtstag von Friedrich II.

Feinsinniger Philosoph, Kriegstreiber oder mürrischer Großonkel: Friedrich II. eignet sich hervorragend für eine vom Wunschdenken bestimmte Wahrnehmung - auch zum 300. Jahrestag seiner Geburt.

(Foto: dpa)

Im Zweiten Weltkrieg war er ausgelagert worden aus der Potsdamer Garnisonskirche in einen Bergwerksstollen, von wo aus er 1952 auf die Hohenzollern-Burg nach Sigmaringen gebracht wurde. Des Alten Fritzes Rückführung nach der deutschen Einigung war nicht zuletzt das Werk des Kanzlers Helmut Kohl, der ein umstrittener Meister der historischen Geste war. Die nutzte und benutzte er immer wieder zur symbolischen Politik - sei es in Verdun, in Sanssouci oder in Bitburg.

Die mutmaßlich letzte Reise Friedrichs bot 1991 noch einmal Anlass zu einer politischen Debatte über Deutschland und Preußen. Solche Debatten hatte es im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder gegeben; kein König der neueren deutschen Geschichte war von Reaktionären und Progressiven, von Kommunisten und Nazis, von Bildungsbürgern und Elite-Nostalgikern so sehr instrumentalisiert worden wie Friedrich II.

So rief ihn Thomas Mann 1914 zum Beispiel des Tuns und Denkens in einer Welt von Feinden aus; Joseph Goebbels pries ihn als Durchhaltekönig; Rudolf Augstein versuchte mit und in Friedrich das Wesen der Deutschen zu ergründen.

Nun gibt es wieder einmal einen Friedrich-Termin. Am 24. Januar vor 300 Jahren wurde der Mann geboren, der Preußen, Deutschland und Europa so grundlegend verändert hat. Es werden Reden gehalten, Bücher und Essays geschrieben und natürliche große Ausstellungen in Potsdam und Berlin präsentiert.

Die Erinnerung an Preußen verblasst

Heute allerdings überwiegt bei der Beschäftigung mit Friedrich und Preußen das Interesse der Touristen, und seien dies Teilzeit-Forscher im Reiche jener Bildung, die früher in der lesenden Klasse zum Allgemeinwissen zählte. Leuthen, von Katte und Voltaire waren einst so geläufig wie es heute Gottschalk, Guttenberg und Ego-Googeln sind.

Dies hängt übrigens nicht nur mit jenem Phänomen zusammen, dass jede älter werdende Generation bei den Nachfolgenden stets einen Mangel an Wissen, Interesse und Anstand auszumachen glaubt. Nein, es hat entscheidend damit zu tun, dass jenes Preußen, für das vor allem Friedrich und die zwei Wilhelms stehen, allmählich nur noch dort existiert, wo man auch andere verflossene Staaten und Reiche findet.

Die Erinnerung an das, was Preußen einmal war, verblasst immer mehr; es bleibt die interpretierende Erzählung oder auch die vom Wunschdenken bestimmte Wahrnehmung, die je nach Standort des Betrachters zwischen Verdammnis und Verklärung schwanken kann. Bei Friedrich klappt Letzteres besonders gut, vom feinsinnigen Philosophen über den rechtsbrecherischen Kriegstreiber bis hin zum mürrischen Großonkel bietet er alle Ingredienzien.

Sehnsuchtsort Preußen

Preußen verschwindet im 21. Jahrhundert dahin, wo Byzanz, Burgund oder die Donaumonarchie schon früher verschwunden sind. Das Ende Preußens begann damit, dass sein König Wilhelm 1871 deutscher Kaiser wurde. Der Nachfolger Friedrich, der Hundert-Tage-Kaiser, war eine nie erfüllte Hoffnung. Sein Sohn Wilhelm, der mit dem Schnurrbart, rammte wegen seiner deutschen Großmachtträume auch Preußen in den Erdboden.

Unter dem SPD-Ministerpräsidenten Otto Braun erlebte Preußen in den zwanziger Jahren eine Auferstehung in einer Gestalt, die den Nazis so verhasst war, dass sie, die sich illegitimerweise auf den Alten Fritz beriefen, Preußen alsbald endgültig den Garaus machten.

Preußen ist heute fast nur noch ein folkloristischer Begriff, dem auch eine gewisse geographische Bedeutung zu eigen ist. (Übrigens, als Berlin und Brandenburg, zwei föderale Einheiten mit dezidiert unpreußischen Tugenden, pro forma über eine Vereinigung nachdachten, lehnte man Preußen als Namensbestandteil rigoros ab.)

Für manche, darunter überproportional viele ältere Herren, symbolisiert Preußen zwar noch einen Wertekatalog jener Bürger- und Pflichttugenden, die allerdings im einst real existierenden Preußen stark von Autoritarismus und Intoleranz kujoniert wurden.

Um einen modischen Begriff aus dem Arsenal des Geschichtstourismus zu verwenden: Preußen ist ein Sehnsuchtsort geworden, den man sich bauen kann aus etwas Friedrich, etwas Kleist, ein wenig Schinkel und Menzel, kaum Wilhelm, höchstens drei Gramm Bismarck, dafür aber mehr Zille und Fontane. Das ist Preußen à la carte, so wie es niemals war, sich aber gerade heute gut verkauft.

Ein Aperçu: Was an manifestiertem Preußentum in Potsdam, dem vermeintlichen Zentrum des borussischen Militarismus, nicht die Bomber zerschlugen, wurde vom SED-Staat zerstört, oder man ließ es verrotten. Friedrichs Wiederbegräbnis war dann, zumindest zeitlich, der Beginn einer neuen Besiedlung durch die Leistungsboheme einer sehr postpreußischen Gesellschaft. Was einst in Potsdam die Prinzen und die Gardeoffiziere waren, sind heute die Jauchs und Joops. Ja, Preußen ist untergegangen.

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