Frankfurter Auschwitz-Prozess:Fritz Bauer - ein deutscher Held

Fritz Bauer, 1967

Fritz Bauer, Chef-Ankläger des Frankfurter Auschwitz-Prozesses

(Foto: AP)

Staatsanwalt Fritz Bauer brachte erstmals Täter aus Auschwitz vor Gericht. Als jüdischer Deutscher war Bauer von den Nazis verfolgt worden, doch er wollte keine Rache - sondern Recht.

Von Ronen Steinke

Eine Frage an den Juristen, der die Deutschen mit Auschwitz konfrontiert hat. "Haben Sie als Kind oder als junger Mann unter Antisemitismus zu leiden gehabt?" Der Satz hängt für einen kurzen Moment in der Luft, bevor die vielen Fernsehzuschauer seinen freundlichen, schwäbisch gefärbten Bass mit der Antwort hören. Es ist eine unschuldige Frage. Aber eine gefährliche.

Um eine Gruppe von Cordsesseln sind Lampen aufgebaut, die diesen Moment ausleuchten. Es ist August 1967, die ARD-Journalistin und der Jurist sitzen neben einem dunklen, expressionistischen Gemälde. Der Jurist, weißes, leicht ungeordnetes Haar und Hornbrille, fläzt etwas verdreht im Sessel, raucht. Er muss dem Fernsehpublikum nicht mehr vorgestellt werden: Es ist Hessens Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Sein Name steht in den 1960er-Jahren stellvertretend für eine scharfe Abrechnung mit der NS-Vergangenheit, die vielen Deutschen zu weit geht.

Bleierne Ruhe hatte sich während der Adenauer-Zeit über das Land gesenkt; gnädig, finden viele Ältere; verlogen, viele Jüngere. Die Wirtschaft boomt, alte SS- und Parteimitglieder sind wieder in Amt und Würden, doch der Staatsanwalt Fritz Bauer zerreißt diese Ruhe mit spektakulären Anklagen.

Der größte Prozess der deutschen Strafjustiz

Er hat den großen Frankfurter Auschwitz-Prozess initiiert. Es ist ein riesiger Prozess geworden, mit zwanzig Angeklagten, vom SS-Lageradjutanten bis hinunter zum Häftlingskapo; der größte Prozess in der Geschichte der deutschen Strafjustiz. Vom 20. Dezember 1963 an ist das Wort "Auschwitz" in deutsche Wohnzimmer gedrungen, zwanzigtausend Deutsche sind als Zuschauer in den Gerichtssaal geströmt, unter ihnen viele Studenten. Fritz Bauer ist jetzt der bekannteste und, den Drohbriefen und dem jüngst aufgedeckten Mordkomplott nach zu urteilen, auch meistgehasste Staatsanwalt des Landes. Und er ist selbst jüdisch.

Rachsüchtig nennen sie ihn in der Nachkriegszeit. "Haben Sie in Ihrer blinden Wut denn noch nicht verstanden", so schreibt der Verfasser eines typischen Schmähbriefs, "dass einem sehr großen Teil des deutschen Volkes die sogenannten Nazi-Verbrecher-Prozesse längst aus dem Hals hängen! Gehen Sie doch dorthin, wohin Sie gehören!!!"

Doch die Frage, ob er auch von persönlichen Motiven angetrieben wird, stellen sich nicht nur einzelne Verrückte in dieser Zeit. Deshalb ist die Frage der ARD-Journalistin Renate Harpprecht nach seinen persönlichen Erfahrungen mit dem Antisemitismus so heikel. Deshalb wägt er seine Worte jetzt sehr genau.

Er könnte dem Fernsehpublikum erzählen, wie er einst als jüdischer Student von Sportklubs und Studentenverbindungen ausgeschlossen wurde; wie er sich als 28-jähriger Amtsrichter gegen Angriffe der NS-Presse als "Jude Bauer" verteidigen musste; wie er ins KZ verschleppt und ins skandinavische Exil getrieben wurde; wie ihm als Jude noch nach dem Krieg die Rückkehr in den deutschen Staatsdienst als "inopportun" erschwert wurde.

"Deine Familie hat Jesus umgebracht"

Aber statt dessen erzählt er nur eine einzige Episode aus der Schulzeit in Stuttgart. Ein paar Mitschüler hätten ihn, den Bebrillten, einmal in der ersten Klasse verprügelt, aus Eifersucht über ein Lob des Lehrers. Wobei im Rahmen ihrer kindlichen Beschimpfungen auch der Satz gefallen sei: "Deine Familie hat Jesus umgebracht." Das ist alles. Mehr gibt Bauer nicht preis. Wenn es um seine persönlichen Erfahrungen in der NS-Zeit geht, schweigt er lieber. Das Wahnbild einer "jüdischen Clique", die in der Frankfurter Justiz eine Hexenjagd betreibe, ist in den Schmäh- und Drohbriefen, die er erhält, schon lebendig genug.

Im großen Frankfurter Auschwitz-Prozess (einige kleinere folgen später) stellt Fritz Bauer eine Gruppe deutscher Jedermänner vor Gericht: Der Angeklagte Robert Mulka zum Beispiel, gerötetes Gesicht, schlohweißes Haar und makelloser Anzug, fährt zwischen den Verhandlungstagen nach Hamburg, um in seinem gut gehenden Geschäft nach dem Rechten zu sehen; in Auschwitz war er Adjutant des Lagerkommandanten Rudolf Höß, also der zweitmächtigste Mann in der SS-Hierarchie dort. Oder Oswald Kaduk, "einer der grausamsten, brutalsten und ordinärsten SS-Männer im Konzentrationslager Auschwitz", wie es im Urteil später heißen wird. Er arbeitet inzwischen als Krankenpfleger, die Patienten nennen ihn "Papa Kaduk", weil er sich so aufopfernd kümmert.

"Also, ich muss Ihnen sagen, die Welt würde aufatmen", sagt der Ankläger Fritz Bauer einmal in einer Diskussionsrunde, während der Prozess die Tageszeitungen füllt. "Ich glaube, Deutschland würde aufatmen, und die gesamte Welt, und die Hinterbliebenen derer, die in Auschwitz gefallen sind, und die Luft würde gereinigt, wenn endlich einmal ein menschliches Wort fiele." Doch auf ein Geständnis warten die Ankläger in Frankfurt vergebens, das menschliche Wort "ist nicht gefallen, und es wird auch nicht fallen". Nur ein einziger Angeklagter, der Jüngste, äußert im Prozess je ein Wort des Bedauerns. Die meisten ziehen sich darauf zurück, nichts gewusst zu haben, selbst der Lageradjutant Robert Mulka.

Er beharrt darauf, dass sein Antrieb Recht, nicht Rache ist

Der Ankläger Fritz Bauer beharrt darauf, dass sein Antrieb nicht Rache ist, sondern Recht. Was ihn, den KZ-Überlebenden und Remigranten, von der breiten Mehrheit der Deutschen, die er politisch überzeugen will, menschlich trennt, spielt er dafür nach Kräften herunter. Er selbst nennt sich nicht mehr jüdisch, sondern glaubenslos. Es gehe beim Prozess nicht so sehr um eine schreckliche Vergangenheit, so erklärt er. Sondern um eine bessere Zukunft: Das neue Deutschland zeige hier, dass es für die Menschenwürde einsteht.

August 1964. In Frankfurt lebt ein 17-jähriges jüdisches Mädchen, das erst aus der Zeitung erfährt, dass ihr eigener Vater, Hersz Kugelmann, gerade im Auschwitz-Prozess als Zeuge ausgesagt hat. Mit fester Stimme und mit dem weichen Akzent des südpolnischen Będzin, in dem er aufgewachsen ist, hat er dort beschrieben, wie er auf der Rampe in Auschwitz-Birkenau, vor brüllenden und mit kleinen Handbewegungen selektierenden SS-Männern, seine Eltern und seine ersten beiden Töchter, neun und sechs Jahre alt, in den Gastod gehen sah. Später in Frankfurt aber, bei der erst nach dem Krieg geborenen Tochter Cilly, haben stets die Worte versagt.

"Unsere Eltern haben uns nichts erzählt", erinnert sich Cilly Kugelmann, die heute als Programmdirektorin des Jüdischen Museums in Berlin arbeitet. "Wir kannten die Fakten nicht, aber wir spürten ein tiefes Unbehagen, den Schatten einer schrecklichen Geschichte."

Gemeinsam mit einem anderen jüdischen Teenager, Micha Brumlik, produziert sie damals eine Art zionistische Schülerzeitung, Me'orot, was "Sterne" bedeutet. Und als Cilly und Micha erfahren, dass Fritz Bauer bereit ist, ihnen ein Interview zu gewähren, "versanken wir in Ehrfurcht", wie sich Brumlik jetzt erinnert. Der Generalstaatsanwalt wirkt zugewandt, als die beiden Jungzionisten vor seinem Schreibtisch Platz nehmen. Er hört ihnen geduldig zu - auf eine Weise, wie sie es von Erwachsenen nicht gewohnt sind. Und dennoch bleibt es am Ende eine seltsam sprachlose Begegnung.

Auf die Themen Judentum oder Israel, welche die Macher von Me'orot so offensichtlich umtreiben, kommt er mit keiner Silbe zu sprechen, nicht einmal beim Small Talk am Rande. Insgesamt kommen mehr als 200 Auschwitz-Überlebende als Zeugen nach Frankfurt. Einige haben gehört, dass Fritz Bauer selbst KZ-Häftling und Emigrant war und haben ihm bereits 1959, zu Beginn der Ermittlungen gegen die Auschwitz-Täter, herzliche Briefe geschrieben.

Zwanzig Auschwitz-Täter und junge, idealistische Ankläger

In seinem Büro bewahrt Bauer einen Stein aus Auschwitz auf, den sie ihm geschenkt haben. Aber zu den Zeugen persönlich hält er Abstand: Er versagt sich jede sichtbare Nähe zu den Opfern, die ihm doch vor allem große Sympathien entgegenbringen wollen, weil er gegenüber der Öffentlichkeit die Glaubwürdigkeit der Anklage als objektiv und unvoreingenommen schützen muss.

Dazu zieht er sich schließlich hinter die Kulissen zurück. Von dort aus führt Fritz Bauer Regie im Prozess, die Bühne überlässt er einer Riege junger Staatsanwälte aus der Flakhelfer-Generation. Es sind handverlesene, unbelastete Berufsanfänger. Und es ist ein schönes Bild, das so entsteht: Auf der einen Seite die Riege von zwanzig Auschwitz-Tätern. Auf der anderen Seite idealistische deutsche Ankläger, die vom Alter her ihre Söhne sein könnten.

Ein bedeutender Prozess wird es am Ende nicht wegen der juristischen Feinheiten des 920 Seiten umfassenden Urteils, das im August 1965 ergeht und das für Fritz Bauer auch einige bittere Enttäuschungen enthält: Die meisten Angeklagten werden lediglich wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, selbst der Lageradjutant Robert Mulka. Sondern bedeutend wird der Prozess allein deshalb, weil nun überhaupt ein 920-seitiges Urteil über Auschwitz entsteht, an dessen Feststellungen fortan niemand mehr vorbeikommt. Das bleierne Schweigen der jungen Bundesrepublik - es endet hier, und die bewegten 1960er-Jahre beginnen.

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