25 Jahre Ende der UdSSR:Sehnsucht nach dem alten Reich

25 Jahre Ende der UdSSR: Zwischen Staatsgründer Lenin und dem letzten sowjetischen Machthaber liegen 69 Jahre Imperium.

Zwischen Staatsgründer Lenin und dem letzten sowjetischen Machthaber liegen 69 Jahre Imperium.

(Foto: dpa)

Eine Mehrheit der Russen bedauert den Untergang der Sowjetunion. Auf den kapitalistischen Überfluss der Nachwendeära wollen die meisten allerdings nicht verzichten.

Von Julian Hans, Moskau

Es war nicht viel mehr als ein symbolischer Akt, als am Weihnachtstag vor 25 Jahren die rote Fahne über dem Kreml eingeholt und die russische Trikolore gehisst wurde. Und es ist auch nicht mehr als Symbolik, wenn die sowjetische Fahne heute wieder weht. Man muss nur in eine beliebige Datschensiedlung fahren, meistens findet sich irgendwo ein Grundstück, über dem Hammer und Sichel auf rotem Grund flattern.

Nach dem Austritt fast aller Republiken war der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow ein König ohne Land. Heute sind die Nostalgiker ein Volk in einem anderen Staat, das Erinnerungen und Sehnsüchte auf ein Stück roten Stoff projiziert. Nach wie vor bedauert eine Mehrheit der Menschen in Russland den Untergang der Sowjetunion. Aber an eine Wiedererrichtung des alten Reiches glauben nur wenige. Die Sehnsucht nach dem verlorenen Imperium war nach dessen Zerfall zunächst gewachsen. Im Jahr 2000 äußerten 75 Prozent der Befragten in einer Umfrage des unabhängigen Levada-Instituts Bedauern über das Ende der UdSSR. Seitdem Wladimir Putin Präsident ist, sank der Wert - auf heute 56 Prozent. Doch der Trend hat sich wieder umgekehrt: Seitdem Putin 2012 in den Kreml zurückkehrte, nimmt die Nostalgie wieder zu. Davor war er kurzzeitig unter 50 Prozent gefallen.

Es sind nicht nur die neue Großmachtrhetorik des Präsidenten, sein breitbeiniges Auftreten auf der Weltbühne und die regelmäßige Erinnerung daran, dass Russland eine Atommacht ist. Auch im Alltag sind Elemente der vermeintlich guten alten Zeiten zurück. Ein Beispiel finden Touristen, wenn sie im Warenhaus Gum am Roten Platz die Stufen in die dritte Etage nehmen. Vor der "Stolowaja No. 57" bildet sich fast immer eine Schlange. Nicht wegen Mangelwirtschaft, sondern weil das Café im Stil einer sowjetischen Kantine so beliebt ist. In Selbstbedienung holen sich die Gäste Klopse mit Kartoffelpüree und Kraut, Hering im Pelzmantel und dazu ein Glas Beerenkompott. Die Kassiererinnen tragen weiße Hauben und an den Wänden hängen die Agitprop-Plakate der sowjetischen Gastronomie: "Verlangt Würstchen wo immer ihr seid."

Das Geschichtsbild vieler Russen: Wir haben alles richtig gemacht

Aber diese Erscheinungen bleiben letztlich doch Elemente eines Ganzen, das sich aus vielen Epochen bedient: der neu zum Strahlen gebrachte Glanz der Zarenzeit des 1893 errichteten Gum-Warenhauses, der kapitalistische Überfluss bei Versace, Hermès und Apple in den Boutiquen und in einem Winkel ganz hinten - der Geschmack der Kindheit im Sozialismus. Fehlte eines davon, das moderne Russland wäre unvollständig.

Noch immer glaubt eine Mehrheit (51 Prozent), man hätte die UdSSR retten können, nur 29 Prozent meinen, der Zerfall sei nicht abzuwenden gewesen. Die Gründe, die Russen dafür nennen, sind ganz andere als sie zumindest westliche Historiker und Politikwissenschaftler anführen: Die meisten (29 Prozent) sind der Ansicht, die Präsidenten Russlands, Weißrusslands und der Ukraine hätten "verantwortungslos" gehandelt, als sie am 8. Dezember 1991 den Vertrag über die Gründung einer Gemeinschaft Unabhängiger Staaten anstelle der Sowjetunion "auskungelten". 23 Prozent glauben an eine Verschwörung fremder Mächte. 21 Prozent glauben, es habe daran gelegen, dass das Volk mit Michail Gorbatschow nicht zufrieden war.

Daran, dass die gewaltigen Rüstungsausgaben das Land ruiniert haben, glauben nur 14 Prozent. 13 Prozent sehen den Grund darin, dass der Kommunismus am Ende war, 12 Prozent sehen die Ursache in der technischen Rückständigkeit. Zusammengefasst: Im Grunde haben wir alles richtig gemacht. Aber einzelne Verirrte in der Führung haben uns verraten und der Westen hat uns in die Knie gezwungen.

Ein Geschichtsbild, das für den Staat so bequem ist wie für seine Bürger, und das er deshalb nach Kräften fördert. Etwa in der Ausstellungsserie "Russland - meine Geschichte", die von der Kulturabteilung des Patriarchen konzipiert wurde. Die Geschichte des Landes, das so viele Brüche, Zerstörungen und Neuanfänge erlebt hat, erscheint darin in widerspruchsfreier Kontinuität von den Fürstengeschlechtern der Ruriken über die Romanows bis zu Stalin und Putin. Verbindendes Element: Russland war immer stark, wenn sein Staat stark war und seine Führer sich fremden Bedrohungen entgegenstellten.

Unter den Rentnern vermissen 83 Prozent die UdSSR

Die Sehnsucht nach einer idealisierten Sowjetvergangenheit nimmt derweil über die Generationen ab: Unter den Rentnern vermissen 83 Prozent die UdSSR, bei den über 40-Jährigen sind es 63 Prozent, unter den Jüngeren sind die Nostalgiker inzwischen mit 40 Prozent in der Minderheit. Das Verklären einer Jugend, in der das Gras grüner und die Bäume höher waren, erkläre das Phänomen nur zum Teil, glaubt Alexej Graschdankin vom Levada-Zentrum. Es gehe auch um konkrete Vorzüge, wie Gleichheit, gesicherte Arbeitsplätze und die Gewissheit, was einen morgen erwartet. Anders als der Kommunistischen Partei sei es der heutigen Elite nicht gelungen, ein positives Zukunftsbild zu entwerfen. Also suchen viele Heil in einer verklärten Vergangenheit.

Darin werden sie vom Kreml noch bestärkt. Etwa wenn Putin die Auflösung der Sowjetunion als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" bezeichnet. Versprochen wird den Menschen so etwas wie eine verbesserte Sowjetunion, die aus den alten Fehlern gelernt habe und sie mit den Vorzügen des Kapitalismus verbinde, auf die natürlich keiner mehr verzichten möchte. Auf eine Wiederbelebung der Sowjetunion hofft derweil kaum mehr jemand. 2001 war es fast jeder Dritte, heute sind es nur noch zwölf Prozent.

Wer behauptet, Putin wolle die Sowjetunion zurück, übersieht die Vorteile, die die neue Ordnung auch für ihn bringt: Politik kann heute ohne das Korsett des wissenschaftlichen Marxismus-Leninismus gemacht werden. Keine Partei kontrolliert Geheimdienste oder den Präsidenten. Der kann sich derweil ganz postmodern nach Bedarf bedienen: ein bisschen Orthodoxie und Glanz der Zaren, sowjetischer Supermachtanspruch und Gerechtigkeitsrhetorik bei gleichzeitiger Akkumulation des Kapitals in den Händen Weniger. Von allem etwas - ein bisschen wie im Gum.

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