60 Jahre BRD: 1970er Jahre:Versöhnliche Gesten und blutiger Terror

Von Willy Brandts Kniefall bis zum RAF-Terror und einem Kanzlerkandidaten aus Bayern: Die siebziger Jahre sind das politische Jahrzehnt der Bundesrepublik.

Gökalp Babayigit

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60 Jahre BRD, Ostpolitik, Willy Brandt, dpa

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1969 ist es soweit. Erstmals in der noch jungen Geschichte der Bundesrepublik lenkt ein SPD-Politiker die Geschicke des Landes: Willy Brandt wird Bundeskanzler - ein Wechsel, der viele Hoffnungen weckt und viele Menschen näher an die Politik bringt. Die siebziger Jahre sollten als politischste aller Dekaden in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen. Die Wahlbeteiligung an den Bundestagswahlen 1972 und 1976 durchbrach zum ersten und zum letzten Mal die 90-Prozent-Marke, mit der RAF gründete sich eine linksextremistische Terrororganisation, die das politische System bekämpfte.

Doch auch viel Positives brachten die siebziger Jahre auf den Weg. Willy Brandts "Neue Ostpolitik" überlagerte beinahe sämtliche innenpolitische Konflikte. Nach dem Motto "Wandel durch Annäherung" versuchte die Regierung Brandt, die Beziehungen zur Sowjetunion, zu Polen und zur DDR zu verbessern.

Der Durchbruch gelingt mit den Verträgen von Warschau und Moskau, in denen durch die Anerkennung der unverletzlichen Oder-Neiße-Grenze die Aussöhnung mit Polen vorangetrieben, während gleichzeitig der Weg zur Wiedervereinigung mit der DDR offen gehalten wird. Beim Treffen mit dem Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph (im Bild), führt Brandt 1970 in Erfurt auch die ersten deutsch-deutschen Gespräche. Doch nicht alle sind begeistert vom neuen Kurs in der Ostpolitik des Kanzlers.

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60 Jahre BRD, Ostverträge, Willy Brandt, Demonstrationen, AP

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"Volksverräter Willy Brandt" - wütend reagieren Vertriebenenverbände auf Brandts Zugeständnis, die Oder-Neiße-Linie als unverändliche Grenze zu Polen anzuerkennen. Der Aussöhnung mit dem Nachbarland folgen Demonstrationen auf Deutschlands Straßen. Slogans wie "Brandt an die Wand" werden gerufen, das Image des "Verzichtspolitikers" Brandt erleidet die ersten Kratzer. Bis zu acht Millionen Menschen, so der Bund der Vertriebenen, waren bis 1950 nach Westdeutschland gekommen. Die konservativen Parteien fühlen sich als ihre Vertreter, so dass der Streit um die Ostpolitik auch im Bundestag ausgefochten wird. Das Symbolbild des siebziger Jahre allerdings prägte Brandt bei seinem Besuch in Warschau.

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60 Jahre BRD, Ostpolitik, Willy Brandt, Kniefall, dpa

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Am 7. Dezember 1970 befindet sich Kanzler Brandt in Warschau, um den zuvor ausgehandelten Vertrag mit Polen zu unterzeichnen. Das Protokoll sieht nach der Vertragsunterzeichnung auch einen Besuch im ehemaligen Warschauer Ghetto vor, der Ort, an dem die Nazis Tausenden jüdischen Gefangenen unfassbares Leid zugefügt hatten, in dem eine halbe Million Menschen ihr Leben ließen. Die deutsche Delegation sollte am Mahnmal zum Gedenken des Ghetto-Aufstandes einen Kranz niederlegen. Brandt, so wurde später bekannt, hat schon am Morgen des Tages gewusst, dass es diesmal mit einer einfachen Kranzniederlegung nicht getan war. Bedächtigen Schrittes und mit bitterernster Miene nähert sich Brandt dem Mahnmal. Er beugt sich hinunter zum niedergelegten Kranz und zieht die Kranzschleifen gerade, verneigt sich und tritt einen Schritt zurück. Doch in der typischen staatsmännischen Haltung verharrt er nur für einen kurzen Augenblick - und sinkt auf die Knie, den Kopf gebeugt, die Hände ineinander gefaltet. Eine knappe halbe Minute kniet der Kanzler der Bundesrepublik vor dem Mahnmal - und schafft so eines der wichtigsten Symbole der deutschen Nachkriegsgeschichte.

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Brandt, dpa, Kniefall

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Noch Jahre später wird Brandt zu seinem Kniefall befragt. Mutmaßungen darüber, dass der Kniefall geplant war, tritt der Kanzler stets entgegen. Brandt, der das Nazi-Regime nicht unterstützt, sondern bekämpft hatte, hatte nichts geplant. "Immer wieder bin ich gefragt worden, was es mit dieser Geste auf sich gehabt habe, ob sie etwa geplant gewesen sei. Nein, das war sie nicht. Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten", sagt Brandt, "tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt."

Unumstritten ist die Geste Brandts im Deutschland der siebziger Jahre allerdings nicht. Nach einer Spiegel-Umfrage unmittelbar nach der Reise Brandts nach Polen bewerten 48 Prozent der Deutschen den Kniefall als "übertrieben", während nur 41 Prozent ihn für "angemessen" halten. International erntet der Kanzler nicht nur für seine Geste, sondern für seine gesamte Ostpolitik fast ausschließlich Lob - und die höchste Auszeichnung, die ein Politiker erhalten kann.

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60 Jahre BRD, Ostpolitik, Willy Brandt, Nobelpreis, dpa

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"Deutschland ist freigesprochen" - so lautet die Schlagzeile der französischen Zeitung Combat, als das Nobel-Komitee in Oslo Kanzler Brandt zum Friedensnobelpreisträger erklärt. Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel unterbricht an jenem 20. Oktober 1971 die Debatte über den Haushalt für 1972, um den Kanzler die Glückwünsche des Hauses auszusprechen. Die Union ist sich unsicher, wie sie mit dem frisch Gekürten weiter umgehen soll. Die erbitterte Gegnerschaft, die sich vor allem an Brandts Ostpolitik entzündet - eben jene, für die der Kanzler nun den Friedensnobelpreis erhalten sollte - ist zumindest für einen Augenblick vergessen. Wenn auch nicht so ganz: Während sich die SPD- und FDP-Abgeordneten sowie die Ministerriege von ihren Plätzen erheben, um ihrem Kanzler applaudierend die Ehre zu erweisen, bleibt die Union sitzen. Nur Oppositionsführer Barzel verlässt seinen Platz, um seinem Kontrahenten persönlich die Hand zu geben. Brandt selbst, der von einem Parteigenossen zu mehr Kampfeslust gegen Barzel ermuntert wird, bleibt ironisch gelassen: "Damit habe ich jetzt nichts mehr zu tun. Ich bin nur noch zuständig für große Dinge, für Frieden und so."

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60 Jahre BRD, Brandt, Barzel, konstruktives Misstrauensvotum, AP

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Die Ostpolitik Brandts ist aber nicht nur der Opposition ein Dorn im Auge. Vier Abgeordnete verlassen deswegen die Regierungsfraktionen und ermutigen Oppositionsführer Rainer Barzel zu einem Schritt ohne Beispiel in der noch jungen Geschichte der Bundesrepublik. Im April beschließt Barzel, die sozialliberale Regierung mittels eines konstruktiven Misstrauensvotums abzulösen. Doch obwohl die Konstellation im Bundestag nach den vier Überläufern eine günstige ist, gelingt Barzel der Coup nicht. Zu hoch scheint das Ansehen des Nobelpreisträgers Brandt zu sein, als dass ihn die Parlamentarier stürzen wollen. Barzel bleibt nach dem gescheiterten Misstrauensvotum am 27. April 1972 nicht mehr, als dem Kanzler per Handschlag zu gratulieren. Es ist nicht die sozialliberale Koalition, die stürzt. Vielmehr fällt die Union in ein Loch, aus dem sie sich über Jahre nicht befreien kann. So wird auch die Bundestagswahl 1972 - mit einer Rekordwahlbeteiligung von 91,1 Prozent - zu einem Triumph für SPD und FDP, während CDU und CSU eine herbe Niederlage einstecken müssen.

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60 Jahre BRD, Viermächteabkommen, dpa

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Auch die internationale Politik trägt zur Entspannung der schwierigen deutsch-deutschen Beziehung bei. Am 3. Juni 1972 wird nach jahrelangen Verhandlungen das Viermächteabkommen über Berlin unterzeichnet (im Bild die Vertreter der vier Siegermächte aus den USA, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und der Sowjetunion). Das Abkommen regelt den Status Westberlins neu, sichert die Transitwege in die Bundesrepublik und bestätigt die besonderen Verbindungen zu Westdeutschland. Doch vor allem dient das Abkommen als Ausgangspunkt für weitere Verträge zwischen der Bundesrepublik und der DDR. So folgt im selben Jahr die Unterzeichnung des Grundlagenvertrags zwischen den beiden deutschen Staaten, der zwar keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR mit sich bringt und so keine Botschafter ausgetauscht werden - der aber die Errichtung von "Ständigen Vertretungen" regelt.

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60 Jahre BRD, Gaus, Honecker, Ständige Vertretung in der DDR, dpa

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Der Quasi-Botschafter der Bundesrepublik in Ost-Berlin, Günter Gaus, ist ein gern gesehener Gast in der DDR. Kurz nachdem der ehemalige Spiegel-Chefredakteur sein Beglaubigungsschreiben beim Staatsratsvorsitzenden Willi Stoph abgibt, erhält er eine Einladung von DDR-Premier Sindermann - und trifft auch SED-Chef Erich Honecker (rechts im Bild). Gaus, der sich als Journalist und Moderator einen guten Namen gemacht hatte, sollte die deutsch-deutschen Beziehungen weiter verbessern. Doch die Ostpolitik verliert allmählich ihren Glanz - weil andere Themen wichtiger werden und ein Spionagefall das Verhältnis zerrüttet.

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60 Jahre BRD, Autofreie Sonntage, dpa

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Symbol der Krise: Die anfängliche Euphorie, mit der die Deutschen gestärkt vom Wirtschaftswunder in die 70er Jahre stürzen, wird schnell gebremst. Beobachter sprechen Anfang des Jahrzehnts erstmals von einer Stagflation, bei der bei einer Stagnation des Wirtschaftswachstums gleichzeitig die Preise und die Arbeitslosenzahlen ansteigen. Die Konjunkturpolitik, die nach dem Rücktritt des angesehenen Wirtschafts- und Finanzministers Karl Schiller Aufgabe von Helmut Schmidt und Hans Friderichs wird, wird auf eine ernste Probe gestellt. Die Ölkrise von 1973 erschwert die Situation weiter. "Zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges", sagt Kanzler Brandt hinsichtlich der angeordneten autofreien Sonntage, "wird sich unser Land in einer Fußgängerzone verwandeln." An Stelle der Euphorie schleicht langsam eine Skepsis, die angesichts der ungewissen Zukunft die Bevölkerung heimsucht. Die Arbeitslosenzahl verdoppelt sich 1972 und 1974 zwei Mal. Hinzu kommen unpopuläre Maßnahmen wie der umstrittene "Radikalenerlass" von 1972, der auf einer staatlichen Abgrenzungsstrategie zu linken und rechten Bewegungen und Organisationen basierte und den öffentlichen Dienst von politisch "falsch" motivierten Menschen freihalten sollte. Selbst die Umfragewerte des lange Zeit so beliebten Kanzlers verschlechtern sich. Zu kämpfen hat Brandt aber vor allem mit Feinden im engsten Umkreis.

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60 Jahre BRD, Willy Brandt, Günter Guillaume, dpa

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Einer von Brandts engsten Mitarbeitern, Günter Guillaume, wird als DDR-Spion enttarnt - Anlass und Auslöser für Brandt, am 6. Mai 1974 den Rücktritt einzureichen. Guillaume hatte sich während einer Urlaubsreise Brandts sogar die Möglichkeit geboten, Einsicht in Geheimdokumente zu nehmen. Bei seiner Verhaftung sagt Guillaume: "Ich bin Hauptmann der NVA. Ich bitte Sie, meine Offiziersehre zu respektieren."

Brandt reagiert prompt und erklärt sich am 8. Mai 1974 im Fernsehen: "Mein Rücktritt geschah aus Respekt vor ungeschriebenen Regeln der Demokratie und auch, um meine politische und persönliche Integrität nicht zerstören zu lassen."

Brandts Rücktritt aber hat eine Vorgeschichte, wie Theodor Eschenburg sagt, der als Vorsitzender die Ermittlungskommission die Spionage-Affäre untersucht. "Die Demission eines integren, erfolgreichen und angesehenen Kanzlers wegen dieses Vorfalls, der auf Pannen und Betriebsstörungen mittleren Rangs beruhte, lag weit außerhalb des Erwartungshorizonts der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung. Die Guillaume-Affäre mag der Anlass, kann aber nicht die Ursache eines Rücktritts gewesen sein."

Tatsächlich fühlt Brandt die Zustimmung schwinden. Die herben Verluste der Hamburger SPD bei der Bürgerschaftswahl im März, die als Ausdruck für den großen Vertrauensverlust gewertet wird; die Kritik von Fraktionschef Herbert Wehner während dessen Moskau-Reise; die Flügelkämpfe innerhalb der SPD: Der Kanzler sieht den richtigen Zeitpunkt gekommen. Die fehlende Unterstützung während der Spionage-Affäre ist der letzte Beweis.

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60 Jahre BRD, Schmidt, Regierungserklärung, dpa

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Viele Reformvorhaben fallen der Krise zum Opfer, der Idealismus eines Willy Brandt scheint in diesen Zeiten ausgedient zu haben. Dass der amtierende Finanzminister Helmut Schmidt nun sein Nachfolger im Kanzleramt wird, ist nicht zuletzt für die zerstrittene SPD ein Gewinn, vermag es Schmidt doch, mit seiner Ernsthaftigkeit den Blick auf die wesentlichen Dinge zu richten: die Überwindung der Krise. So gibt er seiner ersten Regierungserklärung am 17. Mai 1974 (im Bild) das Motto "Konzentration und Kontinuität". Seine Rede trifft den Nerv: "In einer Zeit weltweit wachsender Probleme konzentrieren wir uns in Realismus und Nüchternheit auf das Wesentliche, auf das, was jetzt notwendig ist, und lassen anderes beiseite." Schnell erarbeitet sich Schmidt auch auf internationaler Bühne den Ruf eines fähigen Ökonoms und Pragmatikers und steht für das neue Selbstbewusstsein seines Landes. Doch in seiner Amtszeit soll noch ein beispielloser innenpolitischer Konflikt seine Regierung wenig später in große Bedrängnis bringen: die Radikalisierung der Roten Armee Fraktion (RAF).

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60 Jahre BRD, Schleyer-Entführung, RAF, AP

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Schon Ende der sechziger Jahre wird die RAF aktiv - doch der Terror erreicht in den siebziger Jahren seinen Höhepunkt. Die als "zweite Generation" bezeichneten Täter greifen zu drastischen Mitteln, um ihre politischen Ziele durchzusetzen, allen voran die Befreiung der ersten RAF-Generation um Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Sie verüben Anschläge auf wichtige Funktionsträger wie 1977 auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback oder auf den Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto - und beherrschen die Schlagzeilen mit spektakulären Entführungen wie die von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Mehr als einen Monat - vom 5. September bis zum 18. Oktober 1977 bleibt Schleyer in der Gewalt der Terroristen. Diese verlangen die Freilassung der inhaftierten ersten Generation der RAF. Doch Kanzler Schmidt bleibt hart. Der einberufene Große Krisenstab lehnt alle Verhandlungen mit den Terroristen ab - und provoziert die Geiselnehmer im "Deutschen Herbst" zu weiteren Verbrechen.

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60 Jahre BRD, Entführung der Landshut, RAF, AP

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Am 13. Oktober 1977 entführt ein Kommando der palästinensischen PFLP die Lufthansamaschine Landshut ins somalische Mogadischu. Fünf Tage später beendet die GSG 9 in einem gewaltsamen Einsatz die Geiselnahme - die Passagiere überleben, vier Terroristen werden erschossen. Wenige Stunden vergehen, ehe die inhaftierten Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe - jene, die durch die Geiselnahme von Schleyer freigepresst werden sollten - im Stammheimer Gefängnis Selbstmord begehen. Daraufhin erschießen die Geiselnehmer den Arbeitgeberpräsidenten. Die Leiche von Schleyer findet die Polizei am 19. Oktober im französischen Mühlhausen. Wer der Mörder ist, darüber schweigen die Beteiligten bis heute.

Der Terror der späten siebziger Jahre wirkt sich aber auch unabhängig von der eigentlichen Isolation der linksextremen Gruppierung in der Bevölkerung stark auf das gesellschaftliche Leben. Die Politik weitet die Kompetenzen der Polizei aus, die Überwachung wird ausgebaut, die Medien schüren eine Hysterie und machen teilweise selbst davor nicht halt, wieder die Todesstrafe einzuführen. Die Diskussion über das Spannungsverhältnis zwischen bürgerlicher Freiheit und staatlicher Kontrolle, die in dieser Zeit entsteht, dauert bis heute an.

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60 Jahre BRD, Schmidt, Genscher, dpa

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Gut gelaunt am Regierungstisch: Außenminister Genscher (FDP) und Kanzler Schmidt (SPD) lenken auch nach der Bundestagswahl 1976 die Geschicke des Landes. Trotz der Beliebtheit von Kanzler Schmidt hat die SPD ihre beste Zeit hier schon hinter sich. Die größten Erfolge feiern die Sozialdemokraten Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre. Denkbar knapp rettet sich 1976 die sozialliberale Koalition, die nun häufiger als SPD-/FDP-Koalition bezeichnet wird, da die FDP sich stärker als unabhängige Kraft etabliert sieht. Stärkste Fraktion wird bei der Wahl die CDU/CSU. Die CDU holt sogar das zweithöchste Ergebnis ihrer Geschichte - und stärkt so die Position ihres Vorsitzenden: Helmut Kohl.

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60 Jahre BRD, Helmut Kohl, CDU-Vorsitzender, Getty

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Nach dem gescheiterten konstruktiven Misstrauensvotum von Barzel stürzte die CDU in die Krise - doch der junge Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz führt die Volkspartei aus der Krise. Der erst 43-Jährige wird 1973 zum Vorsitzenden gewählt und versucht, seine Partei als "Partei der Mitte" zu etablieren - mit Erfolg. Zwischen 1970 und 1980 verdoppelt sich die Mitgliederzahl auf 690.000. 1976 gelingt der Partei ein wichtiger strategischer Erfolg. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen wird in geheimer Abstimmung der CDU-Mann Ernst Albrecht gewählt, obwohl SPD und FDP die Mehrheit der Sitze auf sich vereinen. Dass die FDP schließlich die Koalition mit der CDU eingeht, sehen viele als Vorboten für den Bruch der sozialliberalen Koalition im Bund.

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60 Jahre BRD, Strauß, Kohl, dpa

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Nach der enttäuschenden Bundestagswahl 1976, als die Union zwar stärkste Fraktion wird, aber nicht die Regierung stellen kann, trifft der mächtige Franz Josef Strauß eine gewichtige Entscheidung und legt sie seiner Partei bei der Klausurtagung in Wildbad Kreuth im Oktober zur Abstimmung vor. Seine CSU soll von nun an "getrennt marschieren", die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU also aufkündigen. Der CSU-Chef glaubt fest daran, dass so ein Zuwachs von etwa zwei Prozentpunkten erlangt und der dann koalierenden Parteien CDU und CSU die absolute Mehrheit beschafft werden kann. Am Ende langer Diskussionen wird der "Nichtzusammengehensbeschluss" mit 30 zu 18 Stimmen abgenickt. Staatssekretär Wighard Härdtl erinnert sich genau: "Ich saß damals bei der Stimmenauszählung neben Strauß und habe daher heute noch seinen Ausspruch im Ohr: 'Jetzt ist wieder Bewegung in der Politk.'"

Dass Strauß von Kohl nicht besonders viel hält, wird besonders bei der berühmten "Wienerwald"-Rede vor Vertretern der Jungen Union offensichtlich. In der Zentrale der Restaurantkette zieht Strauß vom Leder. Er bezeichnet die Köpfe der CDU als politische Pygmäen, als Zwerge im Westentaschenformat und Reclam-Ausgabe von Politikern. "Herr Kohl, den ich nur im Wissen, den ich trotz meines Wissens um seine Unzulänglichkeit um des Friedens willen als Kanzlerkandidaten unterstützt habe, wird nie Kanzler werden. Er ist total unfähig, ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür." Kohl werde mit 90 Jahren seine Memoiren schreiben: "Ich war 40 Jahre Kanzlerkandidat. Lehren und Erfahrungen aus einer bitteren Epoche."

CDU-Chef Helmut Kohl ist außer sich, als er von der Entscheidung der Bayern hört, die Fraktionsgemeinschaft aufzukündigen. Wenige Tage später überdenkt die CSU zwar ihren Beschluss und lässt es doch bleiben. Die Freundschaft zwischen Kohl und Strauß ist aber für immer dahin. Vier Jahre später probiert sich Strauß mit Hilfe von Kohl als Kanzlerkandidat - und erleidet das gleiche Schicksal wie Kohl: Er verliert gegen Schmidt.

Foto: dpa, Text: Gökalp Babayigit

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