60 Jahre BRD: Das Grundgesetz:Staatsakt zwischen ausgestopftem Getier

Vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation ist es soweit: Am 8. Mai 1949 wird das Grundgesetz verabschiedet - und die Republik übt sich in Demokratie.

Birgit Kruse

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Im Sommer 1948 geht es im Eiltempo zur Staatsgründung: Mit der Übergabe der "Frankfurter Dokumente" erhalten die elf westdeutschen Ministerpräsidenten von den Alliierten den Auftrag zur Verfassungsbildung - eine große und schwer lösbare Aufgabe: Zum einen war der Wunsch nach einen souveränen Staat groß, zum anderen sollte nicht der Eindruck entstehen, die Teile östlich der Elbe für immer auszuschließen.

Nach ersten Beratungen in einem Hotel auf dem Koblenzer Rittersturz, im Jagdschloss Niederwald bei Rüdesheim und mehreren unerfreulichen Diskussionen mit den Alliierten über Inhalte, kamen die Delegierten Anfang August auf Herrenchiemsee zusammen.

Foto: AP (Deutsche Ministerpräsidenten im Hauptquartier der amerikanischen Besatzungstruppen in Frankfurt am Main. Von rechts: Leo Wohleb, Baden; Dr. Hans Erhard, Bayern; Wilhelm Kaisen, Bremen; Max Brauer, Hamburg; Christian Stock, Hessen; Karl Arnold, NRW; Hinrich Kopf, Niedersachsen; Dr. Reinhold Maier, Württemberg-Baden)

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Vor bayerischer Alpenkullisse entwirft der Rat der Sachverständigen ein stark föderalistisch geprägtes Grundgesetz. Jedes Land schickte einen Vertreter in die ländliche Idylle. Die prominentesten waren Anton Pfeiffer (CSU), Leiter und Organisator des Konvents, Carlo Schmid, SPD-Justizminister in Württemberg-Hohenzollern, und Herrmann Brill (SPD), Chef der hessischen Staatskanzlei.

Meinungsverschiedenheiten waren bei der Konferenz von vornherein zu erwarten. Vor allem zwei Fragen sorgten für Diskussionen: ob die Länder oder das Volk die Quelle der konstitutiven Gewalt seien und ob es sich um eine Neugründung oder eine Reorganisation des Staates handle.

Foto: dpa (Der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Anton Pfeiffer, stehend, bei seiner Eröffnungsrede zum Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee.)

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Parallel zu dem Konvent in Bayern laufen die Vorbereitungen für die verfassungsgebende Versammlung in Bonn auf Hochtouren. Am 1. September 1948 beginnt die Versammlung im naturkundlichen Museum Koenig in Bonn - nachdem die letzten Ausstellungsstücke zuvor noch rasch beiseitegeräumt wurden.

Neben den kleineren Parteien waren die beiden großen politischen Lager, CDU/CSU und SPD, sind mit je 27 Abgeordneten vertreten, die FDP mit fünf Vertretern.

Carlo Schmid beschrieb die Szene mit den Worten: "Wohl kaum hat je ein Staatsakt, der eine neue Phase der Geschichte eines großen Volkes einleiten sollte, in so skurriler Umgebung stattgefunden. In der Halle dieses in mächtigen Quadern hochgeführten Gebäudes standen wir unter den Länderfahnen - rings umgeben von ausgestopftem Getier aus aller Welt."

Foto: AP (Blick in den Tagungsraum während der konstituierenden Versammlung des Parlamentarischen Rates in der Pädagogischen Akademie in Bonn. Am Rednerpult Carlo Schmid.)

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Am 8. Mai 1949 ist es dann soweit: Mit 53 gegen 12 Stimmen verabschiedet der Parlamentarische Rat das Grundgesetz - exakt vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation. Vier Tage später genehmigen auch die drei Militärgouverneure das Grundgesetz, das im Folgenden noch von zehn westlichen Landtagen ratifiziert wird.

Foto: dpa (Konrad Adenauer, Mitte, während der Stimmzählung für die Abstimmung über das westdeutsche Grundgesetz. Links eine der "Mütter des Grundgesetzes", Helene Wessel.)

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Nur Bayern kann sich mit dem Grundgesetz nicht anfreunden, lehnt es mit 101 gegen 63 Stimmen im Landtag als zu zentralistisch ab. Dennoch: Der Freistaat erkennt die Rechtsverbindlichkeit auch für Bayern an.

Die Debatte im bayerischen Landtag über das Grundgesetz erregte größtes Interesse in der Bevölkerung: Die Tribünen im Landtag sind überfüllt. Hunderte Menschen verfolgen die Sitzung über Lautsprecher in der Eingangshalle des Landtags. Wer hier keinen Platz mehr findet, lauscht der Sitzung über das Radio.

Die Abgeordneten geraten so aneinander, dass der Präsident die Sitzung unterbrechen muss. Den minutenlangen Tumult konnten die Bürger live am Radio mitverfolgen.

Foto: oh (Bayerischer Landtag)

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Die Geburtsstunde der Bundesrepublik fällt auf den 23. Mai 1949. Das Grundgesetz tritt in Kraft. Bis dahin wurden im Parlamentarischen Rat 169 Millionen Worte gesprochen, 750.000 Seiten Papier beschrieben - mehr als 5000 Eingaben kamen aus der Bevölkerung. Die drei westlichen Militärgouverneure spendierten den Ratsmitgliedern anschließend Champagner und Cognac.

Foto: AP (Der Präsident des Parlamentarischen Rates, Konrad Adenauer, bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 - der Geburtsstunde der Demokratie in Nachkriegsdeutschland)

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Im Sommer 1949 die nächste große Zäsur für die junge Bundesrepublik: Am 14. August finden die ersten Bundestagswahlen im Nachkriegsdeutschland statt - bei einer Wahlbeteiligung von über 78 Prozent.

Foto: dpa (Wahlplakate)

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Mit 31 Prozent gehen die Unionsparteien als Wahlsieger hervor, dicht gefolgt von der SPD mit 29,2 Prozent. Zusammen mit der FDP und der Deutschen Partei (DP) bildet die Union die erste Koalitionsregeierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU).

Der gestalterische Spielraum bleibt begrenzt. Denn der Löwenanteil des ersten Haushaltsbudgets ist bereits verplant - für die Kosten der Alliierten Hohen Kommission.

Für das laufende Haushaltsjahr werden 4,6 Milliarden Mark für Besatzungskosten veranschlagt - fast ein Drittel des gesamten Bundeshaushaltes. Kein Wunder: Der Kontrollapparat der Hohen Kommissare war groß und teuer.

Foto: dpa (Konrad Adenauer, CDU, wird am 20. September 1949 durch Bundestagspräsident Erich Köhler, rechts, als erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland vereidigt.)

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Von den fast fünf Milliarden Mark Besatzungskosten musste so einiges finanziert werden: Anfang der 1950er Jahre arbeiten mehr als 10.000 alliierte Beamte und einige hundert Offiziere für die Hohen Kommissare. Hinzu kamen mehrere hundertausend Familienangehörige und Hilfspersonal.

Nicht nur der finanzielle Aufwand ist beträchtlich - die Alliierte Hohe Kommission hat weitreichende Kompetenzen. Kein Gesetz kann vom Bundestag verabiedet werden, ohne die Zustimmung der Kommission. Eine Regelung, die zwar für das Hohe Haus lästig gewesen sein mag, die Abgeordneten in ihrem Tatendrang jedoch kaum einschränkt.

Foto: AP (Während einer Sitzungspause des Westberliner Magistrats unterhalten sich die drei Hohen Kommissare mit dem Berliner Oberbürgermeister Reuter und Bürgermeister Friedensburg. Von links: John J. McCloy, USA; Oberbürgermeister Ernst Reuter; André François-Poncet, Frankreich; Bürgermeister Dr. Ferdinand Friedensburg, Sir Brian Robertson. Großbritannien)

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Im März 1950 beschließt der Bundestag das erste Wohnungsbaugesetz. Innerhalb von sechs Jahren sollen 1,8 Millionen Wohnungen mit öffentlicher Förderung gebaut werden.

Foto: AP (Protest gegen die Wohnungsnot in München 1952)

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Ein großes Problem der ersten Regierung - die hohe Arbeitslosigkeit. Ein Gesetz soll Abhilfe schaffen. Im Februar 1950 verkündet Kanzler Adenauer im Bundestag ein Acht-Punkte-Programm der Regierung, das für das laufende Jahr Ausgaben in Höhe von drei Milliarden Mark zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorsieht.

Foto: dpa

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Im selben Jahr kommt es im Parlament zum Eklat. Stein des Anstoßes ist die Debatte um die Wiederbewaffnung Deutschlands. Auf Bitte des US-Hochkommissars um eine Stellungnahme zu einem deutschen Wehrbeitrag bietet Kanzler Adenauer in einem mit dem Kabinett nicht abgestimmten Sicherheitsmemorandum die grundsätzliche Bereitschaft der Bundesrepublik zur deutschen Wiederbewaffnung an - zugleich fordert er den Abbau der Besatzungskontrollen.

Wenige Monate später erklärt Innenminister Gustav Heinemann (damals CDU) aus Protest seinen Rücktritt.

Foto: AP (Bundeskanzler Konrad Adenauer verlässt das Hotel auf dem Petersberg in Bonn nach der Besprechung mit den drei alliierten Hochkomissaren)

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1950 fällt in Bonn die Entscheidung für Bonn als Bundeshauptstadt. Die wichtigste Frage: Wurden die Mandatsträger bestochen? Bayerische Abgeordnete sollen geschmiert worden sein - mit je 1000 Mark, wie der Spiegel berichtet.

Foto: dpa (Das Archivbild vom 10.05.1995 zeigt einen Blick auf den Eingang zum Plenarbereich des Deutschen Bundestages in Bonn)

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Wenn diese Debatte auch nicht im Parlament ausgefochten wurde, bezeichnend für die junge Republik ist sie allemal. Am ersten Amtstag von Bundespräsident Theodor Heuss, ging es um die Frage: Wer ist der zweite Mann im Staat?

Der damalige Bundestagspräsident Erich Köhler besteht darauf, mit seinem Dienstwagen direkt hinter Heuss zu fahren. Das Protokoll sieht aber vor, dass dieser Platz dem Wagen des Bundesratspräsidenten zustehe, als Heuss-Vertreter. Letztlich einigt man sich auf folgende Regelung: zuerst der Wagen des Bundespräsidenten, gefolgt vom Wagen des Bundesratspräsidenten, dann der Wagen des Bundestagspräsidenten. Doch Köhler setzte sich durch: Er nahm einfach neben Heuss in dessen Wagen Platz.

Foto: AP (Bundespräsident Theodor Heuss im Gespräch mit Bundeskanzler Konrad Adenauer, dem er auf dem Bürgenstock bei Luzern, wo sich der Kanzler im Sommerurlaub befindet, einen Besuch abstattet.)

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Die Wiederbewaffnung der jungen Republik und die Debatte um die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht erhitzt Anfang der 1950er Jahre die Gemüter: Während die linken Parteien strikt gegen die Wiederbewaffnung des Landes sind, spricht sich Kanzler Adenauer dafür aus.

Für den jungen Bayern Franz Josef Strauß wird der verbale Schlagabtausch um die Wehrdebatte zum ersten Meilenstein für seine politische Karriere.

Am 8. Februar 1952 stimmt der Bundestag gegen die Stimmen der SPD grundsätzlich einem deutschen Verteidigungsbeitrag zu.

Fünf Jahre später, am 7. Juli 1956 billigt der Bundestag die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht - einschließlich des Rechts, aus Gewissensgründen den Wehrdienst zu verweigern.

Foto: dpa (Franz Josef Strauß in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter mit Post von Bundesbürgern zur Wehrdebatte und Fragen der Wiederaufrüstung.)

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Am 26. Mai 1952 wird in Bonn der Deutschlandvertrag unterzeichnet: Er regelt die Aufhebung des Besatzungsstatuts. Die Westmächte behalten sich Befugnisse für Deutschland als Ganzes und Berlin vor.

Foto: dpa (Die Unterzeichner des Deutschlandvertrages. Von links: Die Außenminister Sir Anthony Eden, Großbritannien; Robert Schuman, Frankreich; und Dean Acheson, USA, sowie Bundeskanzler und Außenminister Konrad Adenauer.)

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Die erste Legislaturperiode geht 1953 zu Ende - mit einer Bilanz, die sich sehen lassen kann. Bereits im ersten Jahr wurden im Hohen Haus mehr als 600 Reden gehalten. In der ersten Legislaturperiode wurden etwa 500 Gesetze verabschiedet, dazu 200 Resolutionen und Beschlüsse - allein 89 Gesetze in den letzen beiden Sitzungstagen mit Ausgaben in Höhe von 20 Milliarden Mark. Insgesamt haben die Abgeordneten 13 Millionen Worte zu Protokoll gegeben, die auf 14.000 Seiten niedergeschrieben wurden. 60 Abgeordnete meldeten sich nie zu Wort.

Foto: dpa (Bundeskanzler und Außenminister Konrad Adenauer gibt bei der Bundestagswahl 1953 seine Stimme ab)

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Die Bürger sind mit ihrer Regierung zufrieden: Bei der zweiten Bundestagswahl am 6. September 1953 erreichen die Unionsparteien 45,2 Prozent der Stimmen, die SPD 28,8 Prozent. Zum zweiten Mal wird CDU-Mann Konrad Adenauer zum Kanzler gewählt.

Foto: dpa (Bundeskanzler Konrad Adenauer, CDU, auf einer Wahlkampfreise für die Bundestagswahl 1957)

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Der sozialpolitische Meilenstein der zweiten Legislaturperiode war die Rentenreform von 1957. Damals wird vom Kapitaldeckungsverfahren auf das noch heute gültige Umlageverfahren umgestellt. Die Rente steigt spürbar, der Clou daran: Die Rentenhöhe wird fortan dynamisch an die Bruttolohnentwicklung angepasst. Als "Vater der dynamischen Rente" gilt Wilfried Schreiber (Bild), damals Generalsekretär des Bundes Katholischer Unternehmer.

Das neue Rentensystem bekämpft die Altersarmut und lässt auch Rentner am Wirtschaftsaufschwung teilhaben. Die Rentenreform trägt dazu bei, dass die Union unter Adenauer bei der Bundestagswahl im Herbst 1957 mit 50,2 Prozent der Stimmen die bislang einzige absolute Mehrheit in der deutschen Nachkriegsgeschichte erreicht. Im Alter von 81 Jahren wird Adenauer am 22.10.1957 ein drittes Mal zum Kanzler der Bundesrepublik gewählt.

Foto: Physikr, veröffentlicht unter der GNU Free Documentation License

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