Jahr der Kämpfe:Warum wir eine neue Friedensdebatte brauchen

Flug über Masar-i-Sharif 2014. Deutschland wollte im Juni Ortskräfte von hier ausfliegen. Die Flüge wurden jedoch wieder storniert.

Ein deutscher Soldat an Bord eines Helikopters über Afghanistan. In der Ferne leuchtet eine Flare (Hitzefackel) auf.

(Foto: Markus Heine/Imago)
  • Deutschland beteiligt sich an einem Krieg in Syrien. Das sollte man nicht weichreden.
  • Doch der Krieg ist den meisten Leuten irritierend egal.
  • Wir brauchen eine neue Friedensdebatte. Der Preis des Krieges ist hoch. Wir müssen wissen, wann wir ihn zahlen wollen.

Von Matthias Drobinski

Man sollte nicht drumherumreden: Deutschland beteiligt sich in Syrien an einem Krieg. Dass diese Beteiligung eher symbolisch mit einem halben Dutzend Tornados samt Kameras, einem Tankflugzeug sowie einem Schiff geschieht, ändert daran nichts. Das Land ist dabei. Es ist dabei, wenn die Bomben und Raketen die maschinengewehrbepflanzten Toyotas des sogenannten Islamischen Staates treffen, die Nachschubwege und Ölraffinerien.

Es ist dabei, wenn diese Bomben und Raketen auch Frauen und Kinder treffen, weil mit noch so genauen Lenkwaffen kein Krieg sauber und rein zu führen ist. Es ist dabei im Spiel der Mittel-, Groß- und Supermächte, die ihre Einflusssphären sichern wollen. Es gibt in Deutschland keine Kriegsrhetorik, Gott sei Dank. Und doch steht das Land im Krieg. Man kann das richtig finden. Man kann sagen, dass anders eine mörderische und hochgerüstete Miliz nicht zu stoppen ist. Nur weichreden sollte man das nicht.

Weihnachten ist wie kein anderes Fest im Christentum voller Friedensvisionen und Friedenssehnsüchte. Gott wird ein hilfloses, verletzliches Kind, die Engel verkünden den Frieden auf Erden; sie platzen zur Geburt Jesu mit ihrer Botschaft hinein in eine Welt voller Kämpfe, Brutalität und Grausamkeit.

Der Traum vom Frieden auf Erden ist hunderttausend Mal getötet worden, und er ist doch geblieben. Dieses Fest des Friedens findet 2015 in Deutschland in einer eigentümlichen Ambivalenz statt. Man kann nicht dankbar genug dafür sein, in einer Gegend zu leben, in der sich 70 Jahre Frieden, Wohlstand und eine weitgehend zivile Gesellschaft historisch einmalig vereinen, in der Nationalismus und Militarismus geächtet sind.

Wer gegen jede Gewalt ist, muss erklären, wie er das Morden des IS stoppen will

Und doch ist der Krieg näher gerückt in diesem Jahr. Eine Million Flüchtlinge sind auch das ferne Echo des Tötens in Syrien, im Irak, in Afghanistan oder Afrika. Einer Koalition aus Nato-Staaten, Kurden, der irakischen Armee sowie anderen Kräften ist es mühsam gelungen, das Gebiet der IS-Miliz zu verkleinern. Der IS wiederum hat den Terror in die Türkei getragen, nach Ägypten, Tunesien und Paris. Da kann man schon mal vergessen, dass auch in der Ostukraine ein Konflikt schwelt, der Europas Frieden bedroht.

Umso erstaunlicher ist es, wie wenig da um den richtigen Weg zum Frieden gerungen wird. Es geht in den politischen Debatten um die Flüchtlinge und den Terror. Wie dem Krieg selbst, der Ursache von Flucht und Terror, beizukommen wäre, beschäftigt das Land dagegen vergleichsweise wenig. Das gilt für den Bundeswehreinsatz in Mali wie für den in Syrien.

Keiner predigt Gewalt, das ist gut so. Es protestiert aber auch kaum einer gegen eine Mission, von der keiner sagen kann, wie sie ausgeht. Es gibt die Kritik der Linkspartei, der Grünen und der geschrumpften Friedensgruppen. Es meldet eine Reihe evangelischer und katholischer Bischöfe Bedenken an. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx zum Beispiel hat gesagt, er fürchte, dass ohne langfristigen Friedensplan der Einsatz in Syrien die Lage eher verschlimmern werde; ihn erstaune, wie "ruhig und teilnahmslos" die meisten Bürger die Entscheidung für den Syrien-Einsatz der Bundeswehr hinnähmen. Marx hat recht: Der Krieg ist den meisten Leuten irritierend egal.

Es hilft kein Pazifismus mehr

Der Krieg erscheint ferner als der Terror und die Flüchtlinge, schon geografisch. Es ist aber auch die Friedensdebatte schwierig geworden; die eindeutig moralisch saubere Seite ist nicht auszumachen. Es hilft kein Pazifismus mehr, der seine Hände in Unschuld wäscht. Wer gegen jede Gewalt ist, muss erklären, wie er das Morden des IS stoppen, wie er den Menschen helfen will, denen Tod oder Sklaverei drohen - oder dafür sein, dass man die Menschen in Syrien und Irak ihrem Schicksal überlässt.

Entsprechend schwach ist die einst so wortmächtige Friedensbewegung. Ist aber deswegen gleich jeder Waffeneinsatz ethisch gerechtfertigt, der da im Namen der Freiheit, der Demokratie oder der Menschenrechte geführt wird? Die Bilanz solcher Einsätze ist 25 Jahre nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation ernüchternd.

Das Eingreifen der Nato auf dem Balkan hat Schlimmeres verhindert, das stimmt. In Bosnien und dem Kosovo herrscht ein brüchiger Friede, aber immerhin: Man schießt nicht aufeinander. In Afghanistan aber steht nach mehr als zehn Jahren Krieg der Westen vor der Wahl, auf unabsehbare Zeit mit Militär präsent zu sein - oder die Taliban weiter vorrücken zu lassen.

Es gibt keinen gerechten Krieg

In Libyen konnte mit amerikanischer, britischer und französischer Luftunterstützung der Diktator Muammar al-Gaddafi gestürzt werden, doch das Land ist heute ein zerfallener Staat. Das furchtbarste Beispiel ist und bleibt der Irak-Krieg des George W. Bush und seiner "Koalition der Willigen", begonnen unter einem Vorwand, geführt als Rachefeldzug, abgeschlossen mit den Folterbildern aus Abu Ghraib und der Geburt des IS. Und jetzt also Syrien.

Es bräuchte eine neue Friedensdebatte, ein neues, tiefes Nachdenken über das Verhältnis von Krieg und Frieden. Es bräuchte eine Reflexion über die eigenen Ziele und Maßstäbe, die an die Stelle des Hineingleitens in Konflikte im Namen irgendeiner Bündnistreue tritt. Die erste Erkenntnis dieser Reflexion müsste lauten: Es gibt keinen gerechten Krieg.

Der Krieg verrät die ethischen Werte

Die Bürger von Dresden hatten 1945 den Feuertod so wenig verdient wie heute ein IS-Kämpfer, dass ihn eine Rakete zerfetzt. Krieg zu führen bleibt auch im moralisch besten Fall ein Dilemma: Man begeht ein Unrecht, um größeres Unrecht zu verhindern.

So lässt sich die Drohung und die Ausübung von Gewalt begründen. Aber diese Sicht verändert die Perspektive: Gewalt kann nur als letztes Mittel geschehen, wenn die Mittel der Politik, der Diplomatie, des wirtschaftlichen Drucks versagt haben. Sie ist das Eingeständnis des Scheiterns.

Für einen Despoten kann der Krieg nützlich sein, für demokratische Rechtsstaaten ist der Preis immer hoch. Für sie verrät der Krieg unvermeidlich die ethischen Werte, um derentwillen er geführt wird. Der Krieg, schrieb einst der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz, ist "die äußerste Anwendung der Gewalt"; geführt wird er "rücksichtslos ohne Schonung des Blutes". Der Krieg entgrenzt die Gewalt, die der Rechtsstaat begrenzt, da hilft keine Landkriegsordnung, da helfen auch nicht die guten Vorschriften der Bundeswehr. Wenn es ums Töten und Getötetwerden geht, gelten eigene Gesetze.

Im Nahen Osten wurzeln die Narrative des Hasses immer tiefer

Diese Entgrenzung verändert, tief und für lange Zeit. Sie verändert das Land, in dem der Krieg geführt wird, sie fügt alten bösen Rechnungen neue hinzu, schreibt die Narrative des Hasses fort. In Europa ist es nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen, diese Erzählstränge zu kappen, was ein großes Glück ist.

Die Traumatisierungen des Krieges aber wirken bis heute. Im Nahen Osten dagegen wurzeln die Narrative des Hasses immer tiefer. Der Krieg verändert aber auch die Länder, die Flugzeuge und Soldaten in die Krisenregionen schicken. Es gibt wieder Veteranen in Deutschland, die Albträume vom Schießen in Afghanistan haben. Es wächst das Gefühl, dass die Front überall ist. Der Boden des Zivilen wird dünner.

Der Preis des Krieges ist hoch, das muss man wissen, wenn man über ihn redet oder gar abstimmt. Es gibt Situationen, wo man ihn zahlen muss, weil der Preis, nicht einzugreifen, noch höher wäre. Doch machte man sich diesen Preis bewusst, würde manche Forderung nach schnellem Eingreifen weniger selbstgewiss vorgetragen.

Es würde mehr über das Leid der Menschen geredet - das durch einen solchen Einsatz beendet, aber auch erst geschaffen wird. Es würde der Bedenkenträger nicht als lästiger Störer empfunden, sondern als einer, der den notwendigen Einspruch vorträgt: "Süß ist der Krieg nur dem Unerfahrenen", schrieb vor 2500 Jahren der griechische Dichter Pindar, "der Erfahrene aber fürchtet im Herzen sein Nahen."

Die Fluchtursachen sind nicht beseitigt

Gerecht kann nur der Frieden sein. Der Treck der Flüchtlinge zeigt das: Die Fluchtursachen sind nicht beseitigt, wenn die irakische Armee nun ein paar Städte zurückerobert. Die Menschen bleiben, wenn sie nicht mehr den Tod fürchten müssen, wenn sie glauben, mit ihren Nachbarn zusammenleben zu können, wenn die Region nicht mehr mit Waffen vollgepumpt wird, sie nicht mehr Spielball auswärtiger und Beute einheimischer Mächte ist.

Ein alter Gedanke - Immanuel Kant hat ihn vor 220 Jahren formuliert, in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden". Friede herrscht, wenn nicht schon heimlich der nächste Krieg vorbereitet wird, wenn die Zahl der Waffen und Soldaten sinkt, wenn das Recht herrscht. Er ist ein wackliges Ding und mühseliges Geschäft, dieser Friede, nie ist er erreicht. Auch das wusste Kant: Der Titel zur Schrift kam ihm, als er am Gasthaus "Zum ewigen Frieden" vorbeikam - dessen Schild zeigte einen Friedhof. In diesem Leben gibt es ihn nicht. Und doch lohnt der Frieden alle Mühe.

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