Italiens EU-Ratspräsidentschaft:Mit Renzi zurück nach Europa

Italiens EU-Ratspräsidentschaft: Neues Selbstbewusstsein in Rom: Seitdem Matteo Renzi Italiens Regierungschef ist, nimmt das Land wieder stärker Einfluss auf Europa.

Neues Selbstbewusstsein in Rom: Seitdem Matteo Renzi Italiens Regierungschef ist, nimmt das Land wieder stärker Einfluss auf Europa.

(Foto: AFP)

Italien gehört zu den europäischen Gründerstaaten, nun wollen Premier Matteo Renzi und sein Europa-Staatssekretär Sandro Gozi die EU reformieren und den Bürgern näherbringen.

Von Andrea Bachstein, Rom

"Sehr zufrieden" zeigt sich Sandro Gozi mit dem EU-Gipfel vom vergangenen Donnerstag und Freitag. Wenn der energische Europa-Staatssekretär der italienischen Regierung den Ausgang des Treffens so positiv sieht, dann liegt das daran, dass unmittelbar vor Beginn der italienischen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli in Brüssel die Weichen in die von Rom erhoffte Richtung gestellt worden sind.

Der sozialdemokratische Premier Matteo Renzi und Gozi dürfen sich in den strategischen Zielen bestätigt sehen, die sie seit Monaten vorgeben. "Ein neuer politischer Zyklus" habe jetzt begonnen, sagt der 48-jährige Gozi, der ein Überzeugungseuropäer und EU-Experte ist. Er war Mitarbeiter des früheren Kommissionspräsidenten Romano Prodi und Berater von dessen Nachfolger José Manuel Barroso.

Der Staatssekretär - einen Europa-Minister gibt es in Rom aus Kostengründen derzeit nicht - erläutert die italienischen Pläne fast wortgleich wie sein Regierungschef. Die wichtigste Forderung ist: Weg vom reinen Sparkurs, hin zu einer Politik, die Wirtschaftswachstum und Beschäftigung fördert. Beides hat Italien dringend nötig. Mehr Flexibilität unter Wahrung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts: Darüber haben sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Renzi nach einigem Dissens verständigt. Und so haben es die Staats- und Regierungschefs in Brüssel gutgeheißen.

Gemeinsamer Energiemarkt, gemeinsame Flüchtlingspolitik

Italien will, dass die EU neue Finanzinstrumente entwickelt, um Geld für gemeinsame Investitionen zu gewinnen, sagt Gozi. "Project Bonds" nennt er als ein Modell. Seine Regierung hätte gern, dass solche Investitionen nicht in die Berechnung der Neuverschuldung einfließen. Arbeitsplätze zu schaffen, ist eines der wichtigsten Elemente bei dem, was sich Renzi und Gozi vorgenommen haben als übergeordnetes, vielleicht ehrgeizigstes Projekt, das Italiens Ratspräsidentschaft anstoßen soll: Sie will die EU näher zu den Menschen bringen, und das nicht nur durch weniger Bürokratie. Die Bürger sollen merken, dass Europa ihnen nützt. Die Gemeinschaft soll sich nicht mehr vor allem über Finanzen definieren.

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Einen gemeinsamen Energiemarkt haben die Italiener weit vorne auf ihrer Agenda, und eng verbunden damit die Klima-Politik. Aber auch Grundrechte sollen wieder mehr ins Zentrum rücken. Gozi meint, es brauche etwas Rückbesinnung auf den Geist der Gemeinschaftsgründer. Eine gemeinsame Migrationspolitik nennt er als weitere italienische Priorität, nicht zuletzt deren humanitäre Aspekte. Auch das ist ein Thema, das Italien besonders betrifft wegen der Flüchtlinge, die übers Mittelmeer ins Land gelangen.

"Wir arbeiten sehr gut mit Paris und Berlin"

Was Renzis Differenzen mit Merkel und seine Übereinstimmungen mit dem französischen Präsidenten François Hollande anbelangt, wiegelt Gozi ab: "Wir arbeiten sehr gut mit Paris und Berlin." Dass Merkel Renzi schätzt, ist bekannt. Der Respekt für sie sei umgekehrt auch groß. Renzi und Hollande seien auf EU-Ebene die führenden Sozialdemokraten. Doch eine Achse Rom-Paris gebe es nicht. "Merkel, Hollande und Renzi zusammen tun Europa gut."

Daraus spricht, was auch der Premier spüren lässt: Italien, einer der europäischen Gründerstaaten, tritt wieder selbstbewusst auf und mischt aktiv in Brüssel mit - nach all den Jahren, in denen Berlusconi-Regierungen die Gemeinschaftpolitik vernachlässigt haben: "Italien erfüllt endlich seine europäische Rolle", sagt Gozi, und dass Matteo Renzi so stark bei den Europawahlen abschnitt, helfe sehr.

Beide leiten den Anspruch, Veränderungen der EU zu verlangen, aus der Reformpolitik zu Hause ab. Kleine Steuererleichterungen für kleinere Einkommen sind da schon umgesetzt, sowie Neuerungen im Arbeitsrecht, die mehr Flexibilität bringen. Ein Teil der Wahlrechtsreform ist geschafft.

Es geht nicht so schnell, wie Renzi will, doch das Klima hat sich geändert

Aber um die Reform des Senats, die auch die Änderung des Wahlrechts komplettieren würde, wird noch gestritten. Die Justizreform, die im Juni vorgelegt werden sollte, ist verschoben worden. Es geht nicht so schnell, wie Renzi will, das war auch nicht zu erwarten. Doch das Klima hat sich geändert. Renzis ungebrochene Entschlossenheit zu verändern, hat Bewegung in die italienische Politik gebracht. Keine Partei mag es sich mehr leisten, als Reformverweigerer dazustehen. Das allein ist mehr, als frühere Regierungen geschafft haben.

Auch Gozi steht mit 48 Jahren für eine neue Generation von Politikern. "Mit uns ist zum ersten Mal die "Erasmus"-Generation in einer Regierung", sagt er. "Ich bin seit dem Alter von 17 Jahren in Europa unterwegs. Ich habe in vier europäischen Ländern studiert und gearbeitet." Seine Laufbahn ist europäisch, ohne Zögern sagt er: "Europa ist mein Leben." Ehe er Abgeordneter in Rom wurde, war Gozi Europa-Dozent in Parma und Brügge, Brüssel, Bologna, Genf und in den Vereinigten Staaten. Sein Studium des Internationalen Wirtschaftsrechts und Gemeinschaftsrechts und der internationalen Beziehungen hat ihn von Bologna zur Verwaltungshochschule in Paris und zur London School of Economics gebracht. Das Deutsch, das er in Frankfurt und Bremen gelernt hat, ist ziemlich gut, auch wenn er es kaum noch nutzt.

Doch wer heute Mitte, Ende 20 sei, empfinde die EU nicht mehr als Hoffnung und als etwas, was das Leben voranbringe, sagt Gozi. Er wünscht sich, dass es wieder so wird, wie seine Generation es erlebt hat. Italiens Präsidentschaft soll da einen Anstoß geben. Möglicherweise gibt sie den auch für mehr italienische Präsenz in Brüssel: Die 41-jährige Außenministerin Federica Mogherini wird als Nachfolgerin von Catherine Ashton als Außenbeauftragte der EU gehandelt. "Das ist nur eine Hypothese", sagt Mogherini dazu, aber es heißt, Renzi wolle ihre Kandidatur betreiben.

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