Italiens Außenminister Frattini:"Wir brauchen eine symbolische Geste"

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Außenminister Franco Frattini spricht mit der Süddeutschen Zeitung über die europäische Krise und die Entschädigung italienischer Zwangsarbeiter - und stellt sich dabei auf die Seite Deutschlands.

Stefan Ulrich, Rom

Der neue italienische Außenminister Franco Frattini gilt als enger Gefolgsmann von Premier Silvio Berlusconi. Seine Erfahrung als Vize-Präsident der EU-Kommission von 2004 bis 2008 ermöglicht es ihm, zwischen dem Cavaliere und der Außenwelt zu vermitteln. Der 51 Jahre alte Jurist sprach mit der Süddeutschen Zeitung über Europas Krise, über deutsch-italienische Animositäten und über Berlusconis Erfolgsgeheimnis.

"Europa ist unser Traum": der italienische Außenminister Franco Frattini will Europa bürgernäher gestalten. (Foto: Foto: AFP)

SZ: Die EU steckt nach dem irischen Nein zum Vertrag von Lissabon in der Existenzkrise. Welche Ideen hat der Gründerstaat Italien zur Rettung Europas?

Franco Frattini: Um Europa zu retten, müssen wir es den Bürgern nahe bringen. Millionen Europäer haben Angst vor der Zukunft. Wir müssen ihnen erklären, wie ihnen die EU bei Problemen nützt, die die Einzelstaaten nicht mehr allein lösen können. Nehmen Sie die Globalisierung, die Einwanderung, die Energieversorgung. Viele Menschen meinen, Europa sei das Problem. Dabei ist es die Lösung, weil es seine Bürger schützt.

SZ: In welcher Weise?

Frattini: Etwa indem wir jetzt gemeinsam die Immigration regeln. Oder indem der EU-Gipfel an diesem Freitag das Problem der hohen Lebensmittel- und Energiepreise angeht. Wenn wir dagegen weiter nur über die Zahl der EU-Kommissare diskutieren, verstehen uns die Menschen nicht und wenden sich ab.

SZ: Die Lega Nord, eine Partei ihrer Koalition, bejubelt das "Nein" der Iren. Und ihr Premier Silvio Berlusconi zeigt wenig Begeisterung für Europa. Wie wollen Sie da EU-Politik betreiben?

Frattini: Die Italiener fordern von unserer Regierung Sicherheit, Arbeitsplätze und weniger Steuern. Wir erwarten, dass auch Europa darauf Antworten gibt, statt nur zu deklamieren: Europa ist unser Traum. Wir brauchen die Bürger, um Europa zu erbauen. Wenn wir das vergessen, sagen die Bürger: "Nein".

SZ: Was heißt das? Wird Italien unter der Regierung Berlusconi konstruktiv an der europäischen Einigung mitwirken?

Frattini: Ja. Nehmen Sie die großen Infrastrukturprojekte wie die Hochgeschwindigkeitszüge, oder nehmen Sie die Energieversorgung. Wir sind überzeugt, dass das nur von der ganzen EU angegangen werden kann. Dabei kommt die Achse Frankreich-Deutschland nicht mehr ohne Italien aus. Wir liegen im Zentrum des Mittelmeerraums, und Europa kann nicht nur nach Norden schauen. Wenn es eine starke Übereinstimmung zwischen Italien, Deutschland und Frankreich gibt, wird das ganz Europa nutzen.

SZ: In Italien wird von einer Achse Berlusconi-Sarkozy, ohne Merkel, geredet.

Frattini: Berlusconi und Sarkozy kennen sich seit langem. Aber für mich ist klar, dass auch die Beziehung zur Kanzlerin stark sein muss. Das Verhältnis Italiens zu Deutschland ist genauso wichtig wie das zu Frankreich. Allerdings erwarte ich von Berlin eine entsprechende Einstellung.

SZ: Wenn wir das Dreieck Berlusconi - Sarkozy - Merkel betrachten: Kann Berlusconi die beiden anderen gegeneinander ausspielen?

Frattini: Wir wollen eine stabile Achse, mit Paris und Berlin.

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SZ: Manche Diplomaten beklagen sich, Berlin nehme Italien nicht ernst.

Frattini: Das weiß ich nicht. Aber ich sehe: Die Deutschen mögen Italien mehr als jedes andere europäische Land.

SZ: Zwischen den Regierungen sieht es nicht so rosig aus. Deutschland möchte Italien aus der "5plus1-Gruppe" heraushalten, die mit Iran über dessen Atomprogramm verhandelt. Warum?

Frattini: Berlin sollte ein großes Interesse haben, dass Italien hilft, eine iranische Atombombe zu verhindern. Wir kennen Iran besser als andere westliche Länder. Unsere Unternehmer arbeiten in der iranischen Autoproduktion, im Energiegeschäft, im Transportwesen. Zugleich setzt die Regierung Berlusconi wie Berlin, London und Paris auf eine harte Haltung: Wir wollen verhindern, dass Teheran die Bombe baut.

SZ: Ohne Militärschläge?

Frattini: Natürlich. Denn das wäre eine Katastrophe. Italien will bei einer friedlichen Lösung helfen. Wenn die 5plus1-Gruppe reüssiert, umso besser. Nur: Welche Ergebnisse haben die Verhandlungen gebracht? Wenige. Iran gibt nicht nach. Wenn das so bleibt, müssen wir über Alternativen zu 5plus1 reden.

SZ: Warum will die deutsche Regierung Italien nicht dabei haben? Weil Italien es vereitelt, dass Deutschland einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat erhält?

Frattini: Ich möchte nicht glauben, dass Berlin aus solchen Motiven handelt.

SZ: Manche in Italien glauben es.

Frattini: Viele. Sie denken, das sei die Rache Deutschlands. Nur: Das Problem mit der Bombe müssen wir jetzt lösen. Die Reform des Sicherheitsrats betrifft die Zukunft. Wenn wir diese Probleme vermischen, erreichen wir gar nichts.

SZ: Es gibt noch ein anderes bilaterales Problem. Ihr oberster Zivilgerichtshof hat entschieden, Deutschland dürfe sich nicht auf seine Staatenimmunität berufen, wenn es von früheren italienischen Zwangsarbeitern der Nazis vor italienischen Gerichten verklagt wird.

Frattini: Ich halte dieses Urteil für gefährlich. Wenn die Gerichte von Fall zu Fall entscheiden, ob einem Staat Immunität zukommt, wird das Prinzip der Staatenimmunität unberechenbar. Die Welt braucht aber Rechtssicherheit. Sonst gerät alles aus den Fugen.

SZ: Was kann Ihre Regierung tun?

Frattini: Wir möchten eine deutsch-italienische Expertengruppe berufen. Sie soll prüfen, wie wir den früheren Zwangsarbeitern ein Zeichen setzen können. Diese Menschen haben gelitten. Wenn wir ihnen nun 3000 Euro geben, ist es nicht das, was sie brauchen.

SZ: Was brauchen sie?

Frattini: Ich denke, eine symbolische Geste wäre wichtig, etwa eine von Deutschland und Italien gemeinsam errichtete Gedenkstätte oder ein Museum der Erinnerung.

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SZ: Deutschland erwägt, Italien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu verklagen, um die Staatenimmunität bestätigen zu lassen. Wäre es nicht besser, Berlin und Rom würden den IGH einträchtig um ein Gutachten bitten?

Frattini: Ich bin für jede Lösung offen, solange sie die Menschen nicht verletzt, die gelitten haben.

SZ: Auch Italien hat ein Interesse daran, die Staatenimmunität zu erhalten.

Frattini: Ja.

SZ: Andernfalls könnte auch Italien von Kriegsopfern verklagt werden, etwa von Menschen vom Balkan ...

Frattini: Ja.

SZ: Oder aus Libyen und Äthiopien.

Frattini: Ja. Jedenfalls wollen wir Berlin nicht in Schwierigkeiten bringen, sondern wir wollen vor allem dabei mithelfen, ein Problem zu lösen, das nicht nur die Bundesregierung betrifft.

SZ: Es ist kein Geheimnis, dass man in Deutschland verblüfft über den Wahlsieg Silvio Berlusconis ist. Viele fragen sich: Warum haben ihn die Italiener wieder gewählt. Können Sie das erklären?

Frattini: Berlusconi hat in 14 Jahren drei Mal gewonnen. Das hat kein anderer europäischer Politiker geschafft - Helmut Kohl ausgenommen. Der Grund dafür ist einfach: Berlusconi spricht direkt zum Volk. Er hat bei dieser Wahl den Bürgern zugesagt, den Müll von den Straßen Neapels zu räumen, Sicherheit in den Städten zu schaffen und es den Menschen zu ermöglichen, mit ihrem Geld bis ans Ende des Monats zu kommen. Die Linke hatte keine Gegenvorschläge dazu.

SZ: Und es stört die Italiener nicht, dass ihr Premier in Strafverfahren verwickelt ist?

Frattini: Die Bürger wissen, dass einige Richter Berlusconi attackieren. Trotzdem wählen sie ihn. Denn sie haben erlebt, dass Berlusconi in 14 Jahren nie rechtskräftig verurteilt wurde.

SZ: In der Vergangenheit hat Berlusconi als Premier keine Wunder gewirkt.

Frattini: Einige Jahre Regierungszeit reichen nicht, um Italien zu modernisieren. Aber wir beginnen nun, neue Mülldeponien in Neapel zu eröffnen. Und wir sorgen dafür, dass die Hypothekenzinsen trotz der Inflation bezahlbar bleiben. Das merken die Leute.

SZ: Ist es Berlusconis Erfolgsgeheimnis, Italien Hoffnung zu geben?

Frattini: Ja. Berlusconi hat immer gewonnen, weil er den Menschen Hoffnung gab. Die Leute brauchen einen Traum.

© SZ vom 20.06.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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